Stellen Sie sich vor, es würde keine Gefängnisse mehr geben. Mörder, Räuber und Vergewaltiger könnten frei herumlaufen – und vielleicht neben Ihnen wohnen oder arbeiten. Aber was wäre, wenn das nicht zu mehr, sondern zu weniger Kriminalität führen würde?

Dieser Überzeugung ist der ehemalige Gefängnisdirektor Thomas Galli. "Die Zweifel am System sind mit den Jahren immer stärker geworden", sagt er im Podcast. "Es ist augenfällig und letztlich auch in der Fachwelt unbestritten, dass es unterm Strich nicht resozialisierend wirkt, wenn man Menschen zur Strafe in diese geschlossenen Anstalten einsperrt." In Gefängnissen würden sich Subkulturen mit Werten und Regeln bilden, die unseren gesamtgesellschaftlichen Werten und Regeln widersprechen. Die Mehrheit der Straffälligen wird nach der Entlassung wieder zudem straffällig.

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Abschied vom Vergeltungsdrang

Galli plädiert für alternative Formen der Bestrafung, die den Einzelfällen besser gerecht werden. Gerichten sollten etwa nur mehr die Höhe des Unrechts, nicht aber der Strafe festlegen. Dazu müssten wir uns als Gesellschaft vom Vergeltungsdrang lösen. Häftlingen aus reiner Rache das Schlechteste zu wünschen würde uns als Gesellschaft nicht weiterbringen und auch keine weitere Straftaten verhindern. Ziel von Bestrafung müsste stets Resozialisierung und Wiedergutmachung sein. Nur in einigen wenigen Einzelfällen, etwa für sadistische oder mehrfache Mörder, sollte noch lebenslange Haft verhängt werden, so Galli. Aber selbst diese könnten in humaneren Bedingungen untergebracht werden. (Philip Pramer, 2.4.2021)