Leere Kirchen – nicht nur wegen Corona, sondern weil die Religiosität abnimmt

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Linz – Die alte Weisheit, dass Not das Beten lehre, stimmt schon länger nicht mehr. Die empirische Sozialforschung, die die Corona-Pandemie begleitet, zeigt: Sie stimmt immer weniger. Noch vor einem Jahr, in der Karwoche des Jahres 2020 und mitten im ersten Corona-Lockdown, stimmten auf einer fünfteiligen Skala fünf Prozent der Befragten völlig (Note 1) und zehn Prozent überwiegend (Note 2) der Aussage zu, dass sie "in der Corona-Krise häufiger als üblich" beteten. In der aktuellen Umfrage des Linzer Market-Instituts gibt es für diese Aussage nur noch zwei Prozent Einser und sieben Prozent Zweier. Aber 53 Prozent (2020: 48 Prozent) geben einen Fünfer, stimmen also gar nicht zu.

Jene Menschen, die sich selbst als religiös einschätzen, beten nach eigenem Bekunden zwar etwas öfter – allerdings auch für ein Viertel bis ein Drittel der religiösen Menschen hat sich durch Corona an der Glaubenspraxis nichts geändert.

Immer weniger Gläubige

Aber auch die Zahl der religiösen Menschen unter den österreichischen Wahlberechtigten (der Grundgesamtheit der Befragung) geht kontinuierlich zurück.

DER STANDARD hat in den Oster-Umfragen immer wieder fragen lassen: "Wenn jemand über Sie sagen würde: Das ist ein religiöser Mensch – hätte er/sie recht damit?" Da stimmten 2017 noch elf Prozent voll zu, jetzt sind es nur noch sieben Prozent. "Gar nicht" sagten vor vier Jahren 26 Prozent, heute sind es 29 Prozent.

"Die Abwendung von Glauben und Kirche passiert schleichend. Wenn sich ein Prozent im Jahr verabschiedet, dann fällt das statistisch zunächst kaum auf. Aber in längeren Zeitreihen merkt man es dann doch deutlich", sagt Market-Chef Werner Beutelmeyer.

Ein relativ starkes Bekenntnis zur Religiosität findet er vor allem bei Menschen über 50, "da sieht man das demografische Problem der Religionsgemeinschaften. Das ist auch eine Frage des Lebensumfelds – in der städtischen Bevölkerung sind rund drei Viertel "nicht religiös".

ÖVP-Wähler mehrheitlich nicht "schwarz"

Und auch von politischer Seite haben die Kirchen und Religionsgemeinschaften wenig Zuspruch zu erhoffen: "Selbst von den ÖVP-Wählern bezeichnet sich gut die Hälfte als wenig bis gar nicht religiös – nach der politischen Farbenlehre, die ‚Schwarz‘ als kirchennahe einstuft, ist der Wechsel zu Türkis, das keine Kirchenfarbe ist, also gut erklärbar."

Und wie steht es nun mit dem Glauben in der Corona-Krise? Die Aussage, dass der Glaube an Gott "in schweren Zeiten wie der Corona-Krise" helfen könne, bekam in der Osterzeit 2020 noch die Durchschnittsnote 2,62, jetzt liegt sie bei nur noch 2,79 – wiederum mit besonders schlechten Werten in den Städten.

ÖVP-Wähler geben im Schnitt die Note 2,55 auf der fünfteiligen Notenskala. Nur in der Sieben-Prozent-Minderheit der auf jeden Fall religiösen Befragten kommt eine Durchschnittsnote unter 2 heraus.

Schwindende Rolle der Kirche

Für die Kirche als Institution sieht es nicht besser aus: Dass sie während der Corona-Krise wichtig sei, benoteten die Befragten vor einem Jahr noch mit 2,9 – inzwischen lautet die Note nur noch 3,13.

Dass die Kirche in Österreich gut auf die Corona-Krise reagiert habe, wird mit der Note 3,38 bewertet. Der Papst, der im Vorjahr noch eine etwas bessere Note als die heimische Kirche bekommen hat, wird im Moment sogar schlechter bewertet, seine Note liegt bei 3,41.

Haltung zur Homosexualität kritisiert

Das könnte damit zusammenhängen, dass die päpstliche Lehrmeinung zur Homosexualität erst kürzlich breit in den Medien diskutiert und überwiegend negativ kommentiert worden ist.

DER STANDARD ließ dazu die offizielle Haltung abfragen: "Die Bibel sieht Homosexualität als Sünde, es ist klar, dass die Kirche homosexuelle Paare nicht segnen darf."

Das kommt in Österreich gar nicht gut an. 52 Prozent der repräsentativ ausgewählten 800 Befragen stimmen der Aussage "ganz und gar nicht zu" (Note 5) – wobei Frauen und Personen unter 30 Jahren sogar zu über 60 Prozent ihre Ablehnung bekunden.

Beutelmeyer: "Wie wir gesehen haben, sind aber 64 Prozent der österreichischen Bevölkerung wenig bis gar nicht religiös. Nun könnte man sagen, dass die über die kirchliche Lehrmeinung nicht so gut befinden können, weil sie dieser ja ohnehin nicht folgen wollen. Daher haben wir uns die Daten der erklärt religiösen Menschen noch einmal angeschaut. Da sieht man: Selbst von den sehr religiösen Menschen folgt nur ein Drittel der päpstlichen Haltung. Ebenso lehnt ein Drittel die Lehrmeinung zur Segnung von schwulen Paaren klar ab."

Im Gegenteil: Eine klare Mehrheit meint voll (39 Prozent) oder überwiegend (16 Prozent), dass die Kirche gerade jetzt ein positives Zeichen hätte setzen sollen, um homosexuelle Beziehungen anzuerkennen. Dem stimmen auch Gläubige in hohem Maße zu. (Conrad Seidl, 2.4.2021)