Laut WHO müsste man jede verfügbare Spritze jetzt verwenden.

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Im erbitterten Streit um die Verteilung von zehn Millionen vorgezogenen Biontech/Pfizer-Impfdosen haben die EU-Staaten am Donnerstag eine Lösung gefunden. Allerdings beteiligen sich nur 24 EU-Staaten an dem Solidaritätsausgleich für die ins Hintertreffen geratenen Staaten. Österreich, Slowenien und Tschechien, die gegen den Erstvorschlag der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft waren, erhalten Impfstoff im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil – nicht weniger, wie von der EU angedroht, aber auch nicht mehr, wie von Österreichs Regierung vergangene Woche in Aussicht gestellt.

Im Fall von Österreich sind das 198.815 Dosen. Das ist insofern pikant, als Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zunächst 400.000 zusätzliche Dosen für Österreich gefordert und seinen Vorstoß dann mit der Benachteiligung anderer Staaten – etwa Bulgarien und Lettland – begründet hatte. Insgesamt – so war aus Regierungskreisen zu hören – finde man aber das Ergebnis doch akzeptabel.

Die Impfstoffverteilung hat die EU-Staaten gespalten, die EU-Botschafter konnten sich nach zweitägigen Verhandlungen zuvor nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Die nunmehr vereinbarte Lösung wurde in einem vom EU-Vorsitz gestarteten Schweigeverfahren gefunden, bei dem bis 19 Uhr kein Einspruch erhoben wurde, wie Diplomaten mitteilten. Rund 2,85 Millionen der zehn Millionen Dosen werden für einen Solidaritätsausgleich genutzt, die Extradosen bekommen Bulgarien, Kroatien, Estland, Lettland und die Slowakei, nicht aber das ursprünglich vorgesehene Tschechien.

Aus dem Bundeskanzleramt in Wien hieß es, die rund 199.000 Impfdosen für Österreich seien ein "solides Ergebnis". Die "mangelnde Solidarität gegenüber Tschechien" sei aber "absolut nicht nachvollziehbar". Österreich erhalte nicht wie im Erstvorschlag vorgesehen 139.000 Impfdosen, sondern 199.000, was ein solides Ergebnis sei. "Unverständlich ist jedoch, dass Tschechien, ein Nachbarland Österreichs mit weiterhin hohen Fall- und Todeszahlen, nicht die Impfdosen erhält, die es bräuchte, um das Ungleichgewicht auszugleichen."

Zufrieden zeigte man sich hingegen für Bulgarien, das in Relation gesehen als Gewinner vom Feld ging.

Impfziel verfehlt

Ursprünglich hatte die EU vorgehabt, bis Ende März, also in diesen Tagen, 80 Prozent der über 80-Jährigen und des Gesundheits- und Pflegepersonals zu immunisieren. Wegen Lieferproblemen und daraus resultierender Streitigkeiten um die Verteilung der knappen Ressourcen – vor allem durch Lieferausfälle bei Astra Zeneca, aber auch infolge von jüngsten Produktionspannen, etwa beim Impfstoff von Johnson & Johnson – wird dieses Ziel verfehlt.

Während die Botschafterinnen und Botschafter noch um die Aufteilung rangen, warnte die Weltgesundheitsorganisation auf einer höheren Ebene – nämlich im globalen Vergleich – davor, dass Europa ins Hintertreffen gelangen könnte. Es gibt Anlass zur Sorge.

Denn offenbar tue die EU zu wenig oder nicht das Richtige, um die Corona-Pandemie unter Kontrolle zu bekommen. Die Geschwindigkeit, mit der in Europa geimpft werde – und zwar egal mit welchem der zugelassenen Vakzine –, sei "inakzeptabel langsam", kritisierte der WHO-Europadirektor Hans Kluge am Donnerstag. Der belgische Arzt, der zufällig justament zu Beginn der Pandemie im Februar 2020 sein Amt antrat, warnte: Mit dieser schleppenden Verimpfung verursache Europa eine "Verlängerung" der Pandemie.

Klare Worte

"Impfstoffe sind gegenwärtig unser bester Weg, um aus dieser Pandemie herauszukommen", erklärte Kluge. Daher sei keine Zeit zu verlieren, und das europäische Impfprogramm sei massiv zu beschleunigen – nicht nur durch eine Ankurbelung der Produktion, sondern auch durch den Abbau bürokratischer Hürden. "Jede einzelne Ampulle, die wir vorrätig haben, muss genutzt werden – jetzt."

Die Infektionslage in Europa bezeichnete die WHO als so "besorgniserregend" wie seit Monaten nicht mehr: Während noch vor vier Wochen wöchentlich weniger als eine Million Neuinfektionen verzeichnet worden seien, sei die Zahl in der vergangenen Woche bereits bei 1,6 Millionen gelegen. Bald werde Europa die Marke von 45 Millionen Infektionen seit Pandemiebeginn überschreiten. Die Zahl der Todesfälle durch das Coronavirus in der Region bewege sich "schnell auf die Million zu". (Gianluca Wallisch, APA, 1.4.2021)