"Ewige 80er" ist ein audiovisueller Essay von Jan Machacek und Oliver Stotz.

Foto: Sophie Pözl

Die Aussichten für den Tanz nach der Pandemie sind hervorragend. Sowohl was die Künstlerinnen betrifft als auch alle Institutionen, die deren Werke präsentieren. Jetzt, auf den letzten Kilometern vor Eindämmung der Pandemie, deutet sich eine Zukunft an, die größer sein könnte als die "Normalität" davor.

Anlass zu Optimismus geben die Tanzschaffenden selbst, aber auch die Häuser, aus denen spätestens seit Winterbeginn deutliche Anzeichen für eine Erweiterung ihres bisherigen Aktionsradius kommen.

Kurz zusammengefasst sieht das so aus: Etliche Choreografinnen und Tänzer haben während Corona den Wert von Perspektivwechseln entdeckt, die sich ergeben, wenn sie zusätzlich Streaming-tauglich arbeiten. Und die Veranstalter üben sich als Broadcaster, die ihre Webseiten nicht mehr nur zur Ankündigung, sondern als zweite Bühnen nutzen.

Festival online

Besonders geschätzt wird die Vergrößerung der Reichweite durch das Streaming. Endlich werden Interessierte eingebunden, die auch in "normalen" Zeiten nie zur Live-Aufführung reisen könnten. Das Brut-Theater jedenfalls verortete sein Publikum beim kürzlich online abgehaltenen Imagetanz-Festival zwischen Mexico City, Boston, St. Petersburg und New Delhi. Ein Vorteil: Im Tanz existiert keine Sprachbarriere.

Zu den Gewinnern gehört künftig auch die lokale Zuschauerschaft. Wer will, könnte nach Besuch einer Live-Aufführung die zusätzlich produzierte Online-Version sehen, ebenso Interviews mit den Beteiligten oder sich mit diesen zum Gespräch treffen. Und worauf bis heute oft vergessen wird: Es gibt viele Tanzaffine, die wegen Krankheit, Behinderung oder altersbedingter Einschränkungen nicht ins Theater kommen und diese Möglichkeit auch der mittelbaren Inklusion nützen könnten.

Live-Auftritt bleibt Norm

Ein weiterer Grund für die besondere Eignung von Tanz zum "simultanen" Auftritt live und im digitalen Raum ist historisch begründet. Den avancierten Tanz zieht es spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts hinaus aus dem Theaterraum. Hip waren damals Freiluftaufführungen, aber man erkundete genauso die Möglichkeiten des noch neuen Mediums Film. Letzterem verdanken wir bewegtes Anschauungsmaterial: wie etwa Mary Wigman 1925 die Hexe tanzte oder Anna Pawlowa 1926 den Schwan sterben ließ.

Seitdem arbeitet der Tanz immer wieder mit neuen Medien: von Film, Animation und Video bis hin zu digitaler Technologie (ein Pionier auf diesem Gebiet war Merce Cunningham).

Dabei bleibt der Live-Auftritt stets die künstlerische Norm: Körper aus Fleisch und Blut, die sich in Echtzeitpräsenz in realen Räumen bewegen. Die Tänzerinnen und Tänzer laden sich durch ihr Publikum mit Motivation auf und nehmen die Applaus-Anerkennung als Lohn mit, sobald die Aufführung im Orkus der Vergangenheit verschwunden ist.

Mediale Möglichkeiten

Bis zur Pandemie wurde das breite Spektrum an Optionen, mit Film, Video und digitalen Medien zu arbeiten, gebremst, weil die Veranstalter um ihr Live-Publikum und alle Beteiligten die Technik fürchteten. Wegen der Einschränkungen haben jetzt etliche Häuser ihre Tanzschaffenden dazu ermutigt, ihre medialen Möglichkeiten ernsthaft auszuloten. Viele haben großartige Ergebnisse geliefert.

So etwa der Wiener Alexander Gottfarb: Er übertrug Anfang Dezember des Vorjahres mit Encounters ein 50-stündiges Tanz-Experiment live über die Website des Tanzquartiers. Sehr professionell, aus zahlreichen Kameraper spektiven in einem alten Industriegebäude. "Die Übertragung hat zu einem Ausmaß an Erreichbarkeit geführt, das wir sonst nicht haben", freut sich der Choreograf.

Das Brut-Theater

Als Vorreiter des Tanz- und Performance-Streamens reüssierte bereits vor dem kürzlich zu Ende gegangenen Imagetanz-Festival das Brut-Theater. Dabei zeigte sich, dass die Online-Arbeiten umso besser werden, je offensiver die Künstler sich auf das Medium des streambaren Videos einlassen.

Für die Jungchoreografin Julia Müllner steht künstlerische Integrität an erster Stelle: "Ich wollte bei meiner Live-Performance keinen Kompromiss eingehen." Also hat sie mit der Künstlerin Camilla Soave ein Video als eigenständiges Werk geschaffen, das definitiv neugierig auf das in den Herbst verschobene Live-Stück macht.

Es gibt auch Bildschirmzauber

In den vergangenen Wochen haben unter anderen auch Jan Machacek, Claire Lefèvre, Philipp Gehmacher und Oleg Soulimenko mit Jasmin Hoffer ausgezeichnete Arbeiten auf die Bildschirme gezaubert, die ohne Corona so nicht zustande gekommen wären.

So wird in die Zukunft getanzt. Bisher zeigte sich allerdings, dass das Handy als Empfangsgerät wegen des kleinen Bildschirms suboptimal ist und dass die Übertragungen nicht zu datenlastig sein dürfen. Denn ein Stream ist nur so gut, wie er in durchschnittlich ausgestatteten Computern ankommt. (Helmut Ploebst, 1.4.2021)