Und was sagt die Justizministerin, fragt der Jurist Heinz Mayer im Gastkommentar. Die geplante Änderung der Strafprozessordnung sei ein "gezielter Kopfschuss gegen den Rechtsstaat".

Das Innenministerium hat eine Novelle zur Strafprozessordnung ausgearbeitet. Es handle sich "lediglich um eine kleine Ergänzung", heißt es. Kritiker sehen das aber ganz anders. Wo steht Justizministerin Alma Zadić?
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In regelmäßigen Abständen liefert unsere Koalition Zeugnisse ihres politischen Talents. So auch am Palmsonntag; das Innenministerium schickte im Rahmen eines größeren Gesetzespakets – etwas versteckt – auch eine kleine Novelle der Strafprozessordnung zur Begutachtung. Nachdem diese Ergänzung der Strafprozessordnung (StPO) – es handelt sich im Wesentlichen um einen neuen Paragrafen – doch einige Aufmerksamkeit verursacht hat, beruhigten das Innenministerium und das Justizministerium: "es handle sich lediglich um eine kleine Ergänzung aufgrund einer Entschließung des Nationalrates aus dem Jahr 2019. Alle Parteien seien damals dafür gewesen."

War die letzte größere Aktion unserer Bundesregierung, die Vorlage eines sogenannten Informationsfreiheitsgesetzes, eine bloße Mogelpackung, so handelt es sich bei der nunmehr geplanten Reform der StPO um einen gezielten Kopfschuss gegen den Rechtsstaat.

Zur Amtshilfe verpflichtet

Worum geht es? Im Wesentlichen sieht der neue § 112a StPO vor, dass eine Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen und Datenträgern in Behörden und öffentlichen Dienststellen des Bundes, der Länder und der Gemeinden sowie von anderen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts nur dann zulässig ist, wenn sich das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen den zur Amtshilfe verpflichteten Organwalter – und das ist in all diesen Fällen der Behördenleiter – richtet. Richtet sich das Ermittlungsverfahren hingegen gegen Mitarbeiter der betreffenden Behörden, ist ein Ersuchen um Amtshilfe an den Behördenleiter zu stellen. Behördliche Sicherstellungen durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei sind in diesen Fällen nicht mehr zulässig.

Was bedeutet das? Während die Staatsanwaltschaft derzeit, hat sie den Verdacht auf strafbare Handlungen etwa im Bereich eines Bundesministeriums, allenfalls mit der Kriminalpolizei in den betreffenden Einrichtungen unmittelbar schriftliche Aufzeichnungen und Datenträger beschlagnahmen kann, soll das in Hinkunft nicht mehr möglich sein. Die Staatsanwaltschaften haben in diesen Fällen den Leiter der betreffenden Dienststelle – also etwa den zuständigen Bundesminister – um Amtshilfe zu ersuchen. Dieser ist aufzufordern, die entsprechenden Aufzeichnungen und Datenträger zur Verfügung zu stellen. Was heißt das im Einzelfall? Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen hohe Beamte und Kabinettsmitarbeiter eines Bundesministers. Sie muss den Bundesminister ersuchen, schriftliche Aufzeichnungen und Datenträger, die für die Ermittlung relevant sind, vorzulegen. Damit man sich vorstellen kann, was das in der Praxis bedeutet: Der Bundesminister bekommt ein Ersuchen der Staatsanwaltschaft.

"Wie wir wissen, kann man vergessen, ob man überhaupt ein Tablet oder einen Laptop hat."

Da der Bundesminister über die schriftlichen Aufzeichnungen und Datenträger ja nicht unmittelbar verfügt, wird er sich wohl zu seinem Mitarbeiter begeben müssen und diesem sagen, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt und seinen Laptop und sein Handy haben will. Darüber hinaus den gesamten E-Mail-Verkehr mit bestimmten Adressaten in einem bestimmten Zeitraum. Für den betreffenden Mitarbeiter tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf: Wie wir wissen, kann man vergessen, ob man überhaupt ein Tablet oder einen Laptop hat (und wenn ja: wo sich dieses oder dieser gerade befindet); da Laptops gelegentlich auch äußerln geführt werden, könnte ja sein, dass ein solcher unterwegs verlorengeht. Und ein Handy kann ohne weiters in die Donau fallen.

Der Untersuchungsausschuss erlebt gerade, dass Behörden (in diesem Fall das Finanzministerium) nicht einmal aufgrund einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bereit sind, Akten vorzulegen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Effizienz von Amtshilfeersuchen mit Sicherheit sehr gering sein wird; dies vor allem dann, wenn der Behördenleiter – zum Beispiel der betreffende Bundesminister – Gefahr läuft, im Falle des Erfolgs der strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft selbst in Bedrängnis zu kommen.

Eklatante Leseschwäche

Die Klubobfrau der Grünen, Sigrid Maurer, hat dazu am Tag nach dem Palmsonntag öffentlich erklärt, es sei doch kein wesentlicher Unterschied, ob die Staatsanwaltschaft durch Beschlagnahme oder im Wege der Amtshilfe in den Besitz solcher Aufzeichnungen und Datenträger komme; ermittelt werden könne in jedem Fall. Das wirft natürlich die Frage auf, ob es fachliche Unkenntnis ist oder ob ich von übermäßigem Misstrauen geplagt bin. Ich entscheide mich dafür, der Frau Klubobfrau ein außerordentliches Maß an Ahnungslosigkeit zu attestieren; ich möchte ihr nicht unterstellen, einfach den türkisen Spin nachzuerzählen. Mehr an Höflichkeit kann ich leider nicht bieten.

Das Innenministerium und Frau Maurer berufen sich darauf, dass die geplante Reform lediglich eine Entschließung des Nationalrats umsetze; gemeint ist – nach Zitat in den Erläuterungen – die Entschließung des Nationalrats vom 25. September 2019 (131/E 26.GP). Wer behauptet, diese neue Bestimmung des § 112a setze lediglich eine Entschließung des Nationalrats um, hat entweder eine eklatante Leseschwäche oder sagt absichtlich die Unwahrheit. Die Entschließung des Nationalrats fordert nämlich die Bundesregierung lediglich dazu auf, durch eine entsprechende Gesetzesinitiative dafür zu sorgen, "dass sensible nachrichtendienstliche Aufzeichnungen oder Datenträger" im Falle einer Beschlagnahme gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung gesichert werden. Dass man eine Sicherstellung bei Behörden und Ämtern verhindern will, ist mit keinem Wort auch nur angedeutet.

Kreuzzug gegen WKStA

Sehr geehrte Frau Justizminister Alma Zadić, haben Sie zu diesen Vorgängen eigentlich auch eine Meinung? Unter Ihren Augen wird von Ihrem Koalitionspartner gerade der Kreuzzug gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft – sie ist im Wesentlichen von dieser Reform betroffen – weitergeführt und deren Ermittlungstätigkeit in Wirtschaft und Korruptionssachen massiv eingeschränkt. Ihr Koalitionspartner ist im Begriff, einen "Rechtsstaat neu" nach polnischen und ungarischen Vorbildern zu schaffen. Ihre Klubobfrau erkennt offenbar den Ernst der Lage nicht. Wäre da nicht ein klares Wort von Ihrer Seite erforderlich? (Heinz Mayer, 2.4.2021)