"Gated Communitys", also eingezäunte Wohngebiete für Reiche, gibt es in Wien im Gegensatz zu vielen Großstädten der Welt nicht. Und auch keine Slums oder Elendsviertel.

Ob auf seiner Webseite oder bei der Rede nach der erfolgreichen Wahl im Herbst: Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hebt die "soziale Durchmischung" in Wien gerne hervor. Gemeint ist das Tür-an-Tür-Wohnen von Bauarbeiter und Bankerin, von Arbeitslosen und Akademikern – sprich Menschen unterschiedlicher Milieus.

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Durchmischung ist rückläufig

Die soziale Durchmischung ist seit jeher eines der erklärten Ziele der roten Wohnbaupolitik. Der Karl-Marx-Hof in Döbling wurde nicht umsonst in der Nähe reicher Villenviertel errichtet. Auch international wird Wien gerühmt, weil zwei Drittel der Bevölkerung im geförderten Wohnbau leben.

Aber stimmt das Selbstbild der sozial ausgeglichenen Stadt? Oder kann man anhand einer Adresse erahnen, ob jemand gut oder schlecht verdient? Experten haben wiederholt gewarnt, dass die soziale Durchmischung in Wien rückläufig ist. Jetzt hat ein Soziologenteam der Uni Wien im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) erstmals eine öffentliche Studie dazu erarbeitet, die als Grundlage zur Debatte über die Entwicklung der Stadt dienen soll.

Wohlstandsenklaven

Aus dieser geht hervor, dass es im Stadtgebiet durchaus viele durchmischte Zonen gibt. Bei der grafischen Darstellung zeigen sich etwa Transdanubien oder auch Teile des zweiten Bezirks als bunter Fleckerlteppich, nicht aber ganz Wien.

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Eine gewisse Differenzierung der Stadtviertel aufgrund finanzieller Mittel ist für Thomas Ritt von der Arbeiterkammer unbedenklich. Dass etwa Favoriten ein Arbeiterbezirk ist und die Bewohner dort weniger verdienen als in Wieden, sei kein Geheimnis, so der Ökonom. Die räumliche Trennung von Arm und Reich sei in Wien deshalb keineswegs extrem.

Polarisierung

Dennoch stellen Ritt und die Autoren der Studie der Stadt einen bedenklichen Befund aus: Die Tendenz zur Polarisierung verschärft sich. Die Innere Stadt und den Westen Wiens bezeichnen die Forscher als "Wohlstandsenklaven", die sich zwischen den Vergleichsjahren 2012 und 2017 immer mehr vom restlichen Stadtgebiet abgekoppelt haben, exklusiver und größer geworden sind. Etwa in Währing – zwischen Gürtel und Gersthof – ist der soziale Status deutlich gestiegen.

Dort sind nun weniger statusniedrige Haushalte ansässig, erklärt Studienautorin Hannah Quinz. Indes verfestigte sich in gewissen Gebieten – jenen mit höherer Arbeitslosigkeit sowie niedrigerem Bildungsstatus und Einkommen – die Armut.

Eine Zahl macht diese Spreizung besonders deutlich: Die Einkommensentwicklung im Großteil der Stadt lag unterhalb der Inflation, während sich in der Innenstadt, im 13. und 19. Bezirk das Einkommen um 20 Prozent und mehr erhöhte.

Wachsende Ungleichheit

Quinz äußert im STANDARD-Gespräch Bedenken, dass diese Tendenz anhalten könnte, sofern nicht gegengesteuert wird. Dabei gelte es eben nicht nur statusschwache Viertel zu durchleuchten, sondern auch Wohlstandszonen.

Als Ursache für die Entwicklung sieht die Soziologin den überteuerten privaten Wohnungsmarkt und Hürden beim geförderten Neubau. Vor allem spiegle sich darin die wachsende Ungleichheit im ganzen Land wider. Das könne nicht allein auf kommunaler Ebene behoben werden.

Ritt sieht die wachsende Ungleichheit als Resultat der Wirtschaftskrise 2008/09. Alles deute darauf hin, dass die Pandemie diese verschärfe. Der Bund müsse gegensteuern.

Allerdings ergeben sich durch das "Sozialraum-Monitoring", wie die Studie heißt, auch Vorschläge für die Lokalpolitik. Die kleinräumige Analyse zeige etwa, dass geförderter Wohnbau zur Durchmischung beitrage und gegen die Vertreibung statusniedriger Haushalte wirke. In Lagen, in denen der Bau neuer Gemeindebauten schwer umsetzbar sei, sollte man etwa Sozialverpflichtungen beim Ausbau von Dachböden durch private Investoren erwägen. (Flora Mory, 2.4.2021)