Bundeskanzler Sebastian Kurz hat im Ausland gerade keine gute Presse.

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Der heftig geführte Streit zwischen den EU-Staaten um zehn Millionen vorgezogene Biontech/Pfizer-Impfdosen hat Donnerstagabend ein Ende gefunden. Allerdings beteiligen sich mit Österreich, Slowenien und Tschechien drei Länder nicht an einem Solidaritätsausgleich für beim Impfen ins Hintertreffen geratene Staaten, obwohl Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) immer wieder betonte, dass es ihm genau darum gehe – um Solidarität mit anderen Mitgliedsstaaten. Diese drei Länder erhalten Impfstoff im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil – nicht weniger, wie von der EU angedroht, aber auch nicht mehr, wie von Österreichs Regierung vergangene Woche in Aussicht gestellt. Im Fall von Österreich sind das 198.815 Dosen.

Rund 2,85 Millionen der zehn Millionen Dosen werden für einen Solidaritätsausgleich genutzt, die Extradosen bekommen Bulgarien, Kroatien, Estland, Lettland und die Slowakei, nicht aber das ursprünglich vorgesehene Tschechien. Der tschechische Regierungschef Andrej Babiš übte deswegen heftige Kritik am Vorgehen der EU. Er verstehe nicht, wie der portugiesische EU-Vorsitz einen "Kompromiss" ankündigen könne, wenn damit Tschechien, Österreich und Slowenien nicht einverstanden seien, sagte Babiš gegenüber der Nachrichtenagentur ČTK.

"Solides Ergebnis"

Aus dem Bundeskanzleramt in Wien hieß es, die rund 199.000 Impfdosen für Österreich seien ein "solides Ergebnis". Die "mangelnde Solidarität gegenüber Tschechien" sei aber "absolut nicht nachvollziehbar". Österreich will nun, so Kurz in einer Aussendung, Tschechien bilateral unterstützen und dem Nachbarland 30.000 Impfdosen abgeben. Auch andere EU-Staaten hätten dies vor.

Bulgarien, das in Relation gesehen als Gewinner vom Feld ging, zeigte sich bereits zuvor zufrieden: "Das sind gute Nachrichten für uns und für alle in Europa. Das zeigt, dass sich EU-Staaten solidarisch zeigen können", schrieb der bulgarische Regierungschef Bojko Borissow auf Facebook.

Auch in Zagreb war man mit dem Ergebnis glücklich. "Wir haben Kroatien mit zusätzlichen 747.000 Dosen von Pfizer/Biontech bis Ende Juni versorgt", erklärte Regierungschef Andrej Plenković in einer Aussendung. Die estnische Amtskollegin Kaja Kallas lobte die "Solidarität und Zusammenarbeit" in der EU. Ihr Land erhält 62.000 zusätzliche Impfdosen.

Kurz' "Glaubwürdigkeitsproblem"

In internationalen Medien schoss man sich einen Tag nach der Einigung vor allem auf Kanzler Kurz ein, dessen Manöver auf EU-Ebene nicht mit weiteren Impfdosen belohnt wurde – und stattdessen sogar dazu führte, dass ein Verbündeter in diesem Streit, Tschechien, weniger erhielt als vorgesehen. Einzelne Staaten, darunter Österreich, wollen nun bilateral unterstützen.

Die "Süddeutsche Zeitung" etwa schreibt: "Kurz geht es, so der Eindruck in Brüssel, weniger um die Versorgung kleinerer osteuropäischer Länder, deren Bürger sich als 'Europäer zweiter Klasse' fühlen könnten. Er will eher einen Fehler korrigieren: Wien hat nicht die maximale Menge des Vakzins von Johnson & Johnson bestellt und fürchtet Lücken." Das, so die Zeitung, führe dazu, dass Kurz ein "Glaubwürdigkeitsproblem" habe, "daheim und in Teilen Europas".

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vertritt eine ähnliche These, dass Kurz mit seinem Manöver ablenken wollte: "Es spricht einiges für die Brüsseler Lesart, dass Kurz davon ablenken will, dass er nicht zugriff, als in der EU kürzlich Dosen verteilt wurden. Aber eigene Versäumnisse haben noch wenige Politiker davon abgehalten, auf Brüssel zu schimpfen, wenn ein Punktgewinn beim heimischen Publikum winkte."

"Scheitern an mehreren Fronten"

Das Onlineportal "Politico" schreibt, das Ergebnis sei für Kurz ein "Scheitern an mehreren Fronten": Er habe es nicht geschafft, zusätzliche Impfdosen für sein Land zu besorgen; er "verriet" Länder, die ihn ursprünglich unterstützten; und er schadete laut "Politico" seinen eigenen Ambitionen, in Europa Anführer der Mitte-rechts-Parteien zu werden. Außerdem zitiert das Portal einen EU-Diplomaten mit der Aussage, dass Kurz nun "Persona non grata" in den meisten EU-Staaten sei.

Die "Financial Times" zitiert in dieser Angelegenheit ebenfalls einen EU-Diplomaten: "Wien hat den Streit verloren, und mit seinen Mätzchen auch Freunde." Dieses Verhalten, so der Diplomat, werde "nicht so schnell vergessen".

Kurz "schwer gestürzt"

Scharfe Kritik an Kurz gibt es auch im Inland von SPÖ und Neos. "Wir haben uns vollkommen ins Aus manövriert. Bravo!", schrieb die Neos-Europaabgeordnete Claudia Gamon am Freitag auf Twitter. Sie kritisierte, dass Österreich die bedürftigen Länder nicht mit eigenen Impfdosen unterstützt habe: "Österreich nimmt an dieser solidarischen Verteilung gar nicht teil. Das offizielle Österreich lässt andere EU-Staaten im Stich."

Kurz sei "am EU-Parkett nicht nur ausgerutscht, er ist schwer gestürzt", sagte der stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende Jörg Leichtfried am Freitag. Die Regierung habe zuerst auf 1,5 Millionen Dosen Impfstoff von Johnson & Johnson freiwillig verzichtet. Damit hätten, so Leichtfried, im Juni 1,5 Millionen Menschen in Österreich geimpft werden können. Dieser Verzicht sei grob fahrlässig gewesen. "Dann schlägt Kurz wild um sich, um Schuldige für das Impfchaos in Österreich zu suchen, attackiert die EU und fordert mehr Impfstoffe. Das Ergebnis dieses völlig undiplomatischen Vorgehens ist: Österreich bekommt keine einzige Dose mehr als vorgesehen", so Leichtfried. Dass sich Österreich nun nicht einmal mehr am Solidaritätsmechanismus beteilige, zeige, "wie plan- und ziellos Kurz auch in der EU agiert", so Leichtfried. "Österreich hat es nicht verdient, einen Kanzler zu haben, der unser Land ins internationale Abseits stellt."

Der SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Andreas Schieder, bemängelte: "Zuerst hat sich Bundeskanzler Kurz als Aufdecker und Sprecher gegen Ungerechtigkeit inszeniert, sobald es aber darum geht, diese vermeintlichen Ungerechtigkeiten abzustellen, will man nichts mehr davon wissen. Wie vorhergesagt ging es eben nie um gerechte Verteilung oder Solidarität mit bisher benachteiligten Mitgliedsstaaten, sondern immer nur um den eigenen Vorteil." Nach Einschätzung von Schieder "wurde an allen Fronten das Schlechteste erreicht: Österreich bekommt nicht mehr Impfstoff als ohnehin vorgesehen, und die EU-PartnerInnen sind brüskiert. Das türkis-grüne Impfchaos setzt sich auf allen Ebenen fort."

Kritik auch von der Caritas

Caritas-Präsident Martin Landau kritisiert ebenfalls die "mangelnde Solidarität" Österreichs im Zusammenhang mit dem sogenannten Impfstoffausgleich in der EU: "24 Mitglieder beteiligen sich am Solidaritätsausgleich für die ins Hintertreffen geratenen Staaten, aber Österreich ist nicht dabei. Ich halte das für fatal. Wir brauchen bei der Bekämpfung der Pandemie viel mehr Solidarität. Wenn ich daran denke, wie ein Alois Mock die ÖVP zur Europapartei gemacht hat, bin ich konsterniert."

Filzmaier: Überlagert andere Frage

Der Politologe Peter Filzmaier sieht indes im EU-Impfstoffstreit eine gewisse Ablenkung. Die eigentliche Frage sei, ob Österreich bei der Bestellung etwas falsch oder zu spät gemacht habe. Auch Kurz müsse sich diesbezüglich fragen, ob er nicht früher davon hätte wissen müssen.

Infolge der österreichischen Haltung im Impfstoffstreit sieht Filzmaier ein langfristiges Problem innerhalb der Europäischen Union. "Die EU als komplexes Gebilde lebt ja von Allianzen." Österreich, das lange in der EU unterrepräsentiert gewesen sei, habe versucht, bei den "Sparsamen Vier" (Niederlande, Dänemark, Schweden, Finnland) dabei zu sein, "aber das endet jetzt auch wieder". Auf inhaltlicher Ebene werde es nunmehr für Österreich schwieriger werden, Allianzen zu finden, meint Filzmaier.

Filzmaier ortet eine "mangelnde Stringenz" und "viel Ad-hoc-Politik" in der Bundesregierung, auch zur EU. Einerseits würden EU-Erfolge anerkannt und die EU als Teil der Lösung gesehen, andererseits gebe es "auch nicht das volle Bekenntnis" und "nationale Einzelausritte" wie bei der angekündigten Bestellung des russischen Impfstoffs Sputnik V. "Das ist ein in sich nicht schlüssiger Mix", so der Experte für politische Kommunikation. (red, APA, Reuters, 2.4.2021)