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Die Grünen suhlen sich im Unglück, das die ÖVP ereilt: Immer neue Chats belegen die Arroganz und die Unverfrorenheit, mit der die türkise Mannschaft ihre Macht missbraucht, sich Einfluss sichert und Posten verteilt, quasi einen Staat im Staat bildet. Nicht dass die Grünen das nicht schon geahnt hätten, aber jetzt, da es so offen auf dem Tisch liegt und der Kanzler ernsthaft angeschlagen ist, da wissen sie kaum noch, wohin mit ihrer Schadenfreude. Genüsslich bohren Mandatare der Grünen in den offenen Wunden des türkisen Koalitionspartners, fordern Konsequenzen, legen Rücktritte nahe. In den Augen der ÖVP ist das vor allem eines: ein Affront, ein schwerer Vertrauensbruch.

Das Verhältnis zwischen ÖVP und Grünen ist am Boden, an allen Ecken und Enden kriselt es, in normalen Zeiten wäre die Situation schon eskaliert. So wird diese Zweckgemeinschaft, die von Anfang an keine Liebesbeziehung war, nur noch vom Kampf gegen die Pandemie und dem daraus erwachsenden Verantwortungsbewusstsein zusammengehalten. Niemand würde es verstehen oder gar gutheißen, wenn die Koalition mitten in dieser außerordentlichen Krise, in die uns das Coronavirus verdammt hat, alles hinschmeißt und wir neu wählen müssten.

Grundsätzliche Abneigung

Ob Kennzeichnungspflicht bei Lebensmitteln, Tierschutz, Umweltschutz, Steuerpolitik, Menschenrechte, Umgang mit Minderheiten oder die sogenannte Ausländerpolitik – Grüne und ÖVP liegen meilenweit auseinander, in vielen Fällen sind die Gegensätze so krass, dass ein inhaltliches Zusammenkommen gar nicht möglich ist und jeder Kompromiss von Schmerzen getragen wird. Verdeckt wird das durch die Pandemie. Aber jetzt, wo die ÖVP durch immer neue Enthüllungen so im Eck ist, bricht auch die emotionale und ideologische Entfremdung für alle sichtbar auf. Vorbehalte und Vorurteile treten in den Vordergrund, da wird die grundsätzliche Abneigung zwischen diesen beiden Parteien wieder manifest. Die Koalition hängt am seidenen Faden.

In den Umfragen schwindet der Zuspruch, theoretisch ist auch die gemeinsame Mehrheit dahin. Das trägt nicht zur Aufhellung der Stimmung bei. Besonders stark hat Sebastian Kurz in der allgemeinen Wertschätzung abgebaut, das wird die Haltbarkeitsdauer von Türkis-Grün nicht verlängern, eher im Gegenteil: Wenn der Kanzler nervös wird, leidet darunter die Koalition.

Skandal umhängen

Dass die ÖVP versucht, den Grünen auch einen Skandal umzuhängen, ist nur recht und billig: Die Bestellung von Dieter Brosz, einem grünen Parteikader und Intimus von Parteichef Werner Kogler, zum Abteilungsleiter für Sportstrategie war ungeschickt, dumm und unredlich, ist in der Dimension des Machtmissbrauchs aber nicht mit den Vorgängen um Thomas Schmid und dessen Bestellung zum Öbag-Vorstand vergleichbar.

Dennoch müssen die Grünen aufpassen, sich nicht in den Sumpf der Freunderlwirtschaft zu begeben, Sündenfälle sind bereits geschehen. Die Grünen müssen jeden Ansatz, Teil der Verhaberungsgesellschaft zu werden, unterbinden, sie müssen der Versuchung widerstehen, Mitarbeiter in die ÖBB oder sonst wohin zu versorgen, sonst ist ihre Glaubwürdigkeit dahin. Damit wäre ihre Kritik an der ÖVP und deren selbstherrlichem Umgang mit der Macht wirkungslos. Dann wären sie in jenem Sumpf angekommen, den die ÖVP jahrzehntelang so hingebungsvoll bewässert hat. (Michael Völker, 4.4.2021)