Olga Flor: ergrimmt über die politischen Zeitläufte.

Foto: Lisa Rastl

Seit Abschaffung der Gladiatorenkämpfe haben sich die Verhältnisse für allfällige Athleten enorm verbessert. Der Gruß, den noch antike Kampfsportler nach Betreten der Arena an den Kaiser richten mussten, galt seiner Verfügungsgewalt: "Ave Caesar, morituri te salutant!" Die Todgeweihten entboten ihrem Peiniger vor dem Biss ins Gras ihren schönen Dank.

Demgegenüber besitzen heutige Gladiatoren den Vorzug, ihr physisches Dasein auf Wunsch in die Länge ziehen zu können. Die Grazer Autorin Olga Flor, die über solide naturwissenschaftliche Kenntnisse verfügt, macht für ein solches physisches Wunder Gründe geltend. Es sind naturgemäß stets die falschen; daraus bezieht ihr kleiner, gallbitterer Roman "Morituri" seine etwas bemüht zähnefletschende Komik.

Zwar verstricken wir Kinder der Spätmoderne uns unausgesetzt in Kämpfe. Sie sollen helfen, den Rang zu bestimmen, den wir in der Gesellschaft, notabene in einer populistisch angekränkelten wie der unsrigen, für uns beanspruchen dürfen. Zu diesem Zweck beteiligen wir uns an immateriellen Prozessen. Wir schöpfen symbolische Werte, und wir werden aufgrund unserer "Verdienste" von unseren Mitmenschen unaufhörlich valorisiert.

Aussteiger im Wald

Nur so, im Schweiße unserer Wissensproduktion, dürfen wir hoffen, als "Singularitäten" (Andreas Reckwitz) anerkannt zu sein. Die Figuren in Flors Romansatire bewegen sich auf schmalem Grat: Materielles Wohlergehen stellt sie vor keine Probleme. Der emeritierte Ziviltechniker Maximilian haust zum Beispiel als Öko-Aussteiger in waldreicher Alpinlandschaft. Er taxiert seine Umgebung mit Blick auf ihre produktiven Möglichkeiten – er ist es gar nicht anders gewohnt.

Flors Geschöpfe wechseln unentwegt die Tonhöhe. Da enthüllt dem Hobby-Imker der Blick auf sein Bienenvolk ein "intellektuelles Habitat der reichsbürgerlichen Selbstversorger". "Morituri" gehört einer Tradition an, in der es den Figuren grauenhaft missrät zu sagen, was sie empfinden. Ödön von Horváth steht für diese Spracharmut Pate; in gewisser Weise sprudelt aus der nämlichen, schlammbraunen Quelle auch der Aufdeckungsfuror Elfriede Jelineks.

Flor pustet durch mehrere solcher verbogenen Sprachrohre ihre gleichnishafte Geschichte. Eine tüchtige Bürgermeisterin lässt, durch schmutziges Geld vorfinanziert, eine esoterisch Verjüngungsklinik in die Pampa zaubern. Maximilian soll durch "Parabiose" mit einem Nordafrikaner ihrer beider Blutkreislauf miteinander vereinen.

Ziel ist die Errichtung eines "Blutlanglaufparcours". Ein solches menschliches Versuchskaninchen stellt sich, kaum weniger todgeweiht als seine antiken Vorstreiter, die bange Frage: "Bin ich der Held meiner eigenen Körpergeschichte?"

Blutmischereien

So weit, so bizarr. Zur feierlichen Eröffnung des Blutmischer-Instituts hat sich obendrein ein schöner, junger, medienaffiner "Präsident" aus einem Nachbarland angekündigt. Ein nicht näher bezeichneter Attentäter möchte seine anti-muslimischen Affekte ausleben. Eine "Verfasserin von Gebrauchstexten" steckt Stilblüten zu politisch nutzbaren Textbuketts zusammen.

Alle Figuren eint der nämliche Umstand: Sie sind aufgrund der wenig validen Ansichten, die sie von sich und voneinander hegen, Anwärter auf die Ewigkeit. Sind die Aussichten unter demokratiepolitischen Vorzeichen auch trübe, die moralische Verkommenheit wünscht von sich, sie möge unablässig walten. Leider fährt Flor ihren Figuren verlässlich dann in die Parade, wenn diese sich aus der Umklammerung durch die Verhältnisse zu lösen versuchen. Zwischen den Wirtshaustischen, an denen "Kameradschaftsbundvorsitzende" hocken, bleibt Platz für Kauderwelsch. Unter Böllerschüssen reift die Einsicht, die das Gemeinwesen zusammenhält: "Wir wollen keine Gleichberechtigung, wir wollen Rache!"

Leider hat die Autorin ihren Figuren zu viele Lebensäußerungen zugemutet. Die allwissende Erzählerin weiß von vornherein zu gut, woran es krankt. Im Wassertropfen bricht und spiegelt sich der Menschheit ganzer Jammer: Flor sollte, ihrer Wut zum Trotz, ihren Geschöpfen das nächste Mal mehr Fleisch an die Knochen zaubern. Todgeweiht bleiben sie ohnedies. (Ronald Pohl, 3.4.2021)