Thomas Köcks recht Skurrile Helden.

Caro Stark

In Vorarlberg scheint die Sonne dieser Tage noch ein bisschen heller als in den anderen Bundesländern, spiegeln sich doch ihre frühsommerlichen Strahlen draußen in den Gastgärten im flüssigen Gold frisch gezapften Biers. Doch durch die segensreiche Dreieinigkeit von niedriger Inzidenzzahl, Zutrittstests und Registrierungspflicht hat im Ländle nicht nur die Gastronomie schon vor Ostern ihre Auferstehung erlebt, auch Kultur darf wieder auf analoge Weise genossen werden.

Kafkaeskes Setting

Im Dornbirner Kulturhaus zeigte das Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung zum Beispiel am frühen Gründonnerstagabend die Premiere eines echten (Thomas) Köck: "dritte republik (eine vermessung)". Der preisgekrönte österreichische Dramatiker hat dem dritten Teil seiner Kronlandsaga ein kafkaeskes Setting verpasst: quasi "Das Schloss" & "Der Landarzt", vermixt.

Eine Frau soll nach Ende des Ersten Weltkriegs die Grenzen neu vermessen, mitten im Winter, in einer "zerfickten Drecksprovinz", im "beschissensten aller Jahrhundertstürme".

Die Landvermesserin friert, wütet und geifert, trifft auf einen Kutscher, eine blinde Fallschirmspringerin, die in den Seilen hängt, einen Patienten und einen wirtschaftsweisen Reeder. Gemeinsam wird über die Themenfelder Grenzen, Nationen sowie Körper- und Staatsoptimierungswahn gestapft, es geht auch um Menschen, die auf Handydisplays starren, um schreiende, in Sachen "Orgasmusdramaturgie" zu bedauernde Männer und vieles mehr.

Apokalypse und Amüsement

Der in der Bernhard/Schwab/Jelinek-Nachfolge schreibende Autor mischt Apokalypse und Amüsement, Furor und Fatalismus, Gegenwart und Gestern, Pallaver und Pathos, Beisl und Burgtheater, Lakonik und Poesie, Galgenhumor und Selbstironie so versiert und lustvoll wie ein Guerilla-Küchenchef die Zutaten. Yammi!

Leider drückt Stephan Kasimir in seiner stilsicheren Inszenierung (Ausstattung: Caro Stark) zu sehr aufs Tempo und peitscht seine Truppe atemlos durch die surrealistische Textlandschaft. Jeanne Marie Bertram ist eine propere Landvermesserin, die in homogenisiertem Theaterdeutsch kunstfertig zwischen Katie-Holmes-Liebheit und Hilary-Swank-Toughness wechselt.

Aus einer Operette

Man hätte sich einen Schuss mehr Verena Scheitz gewünscht oder Adele-Neuhauser-Knorrigkeit. Der Kutscher-Alkie von Jen Ole Schmieder scheint in seiner Überdrehtheit aus einer Operetteninszenierung entliehen. Maria Fliri evoziert zumindest als Patient mit Slim-Fit-Fixierung einige Lacher, oder passieren die wegen der angeklebten Kurz-Ohren?

Endlich ein Mensch und keine übermotivierte Schauspielmaschine: die wundervolle Simone Loser als Botin. Und auch Joachim Rathke gelingt es als Reeder, in normalmenschlicher Art den Inhalt seines Textes zu vermitteln.

Am Ende gönnt Köck seiner Heldin einen Abgang à la Truman-Show, durch eine kleine Tür gelangt die Landvermesserin ins Freie, aufs weite Meer. Möge ihr die Sonne golden scheinen! Und hoffentlich gibt’s da, wo sie strandet, auch ein frisches Bier. (Stefan Ender,2.4.2021)