Der Abendhimmel hat Menschen seit jeher fasziniert. Sämtliche frühen Hochkulturen haben die Bewegung der Himmelskörper studiert und Theorien zu den kosmischen Vorgängen entwickelt. Jahrtausendelang war sichtbares Licht die einzige Form der Information, die uns von fernen Himmelskörpern erreichte – und damit ein recht eingeschränkter Frequenzbereich von elektromagnetischen Wellen. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde es möglich, eine völlig neue Informationsquelle für die astronomische Forschung zu erschließen: Röntgenstrahlung. Beobachtungen mittels dieser hochenergetischen Strahlung zeigen, dass sich im Universum viel mehr abspielt, als reine Lichtbeobachtungen vermuten lassen.

Die Erdatmosphäre ist für Röntgenstrahlung undurchlässig. Das ist zwar ein Glücksfall für Leben auf der Erde, aber eine gewisse Herausforderung für die Röntgenastronomie. Denn es bedeutet, dass sie nur durch Weltraumteleskope, die außerhalb der Erdatmosphäre positioniert sind, durchführbar ist. Der an der Masaryk-Universität Brünn tätige Astrophysiker Norbert Werner hat sich schon früh in seiner wissenschaftlichen Karriere für die Röntgenastronomie begeistert. Für seine Beiträge in diesem Forschungsfeld wurde er nun mit dem Ignaz-L.-Lieben-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ausgezeichnet.

Norbert Werner ist Astrophysiker an der Masaryk-Universität Brünn.
Foto: Radek Míca

Beschämende Situation

Der Ignaz-L.-Lieben-Preis ist der älteste und mit 36.000 US-Dollar (rund 30.000 Euro) am höchsten dotierte Preis der ÖAW, der jährlich an herausragende Nachwissenschafter vergeben wird, die ihre Leistungen in Bosnien-Herzegowina, Kroatien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn oder in Österreich erbracht haben. Norbert Werner lieferte maßgebliche Beiträge zum Verständnis von sogenannten Heißen Atmosphären. "Wenn wir uns ansehen, woraus unser Universum besteht, müssen wir feststellen, dass wir uns in einer ziemlich beschämenden Situation befinden", sagt Werner. Betrachtet man die gesamte Energiedichte im Universum, macht rund 70 Prozent die sogenannte Dunkle Energie aus. Bislang ist sehr wenig über sie bekannt, sie ist jedenfalls dafür notwendig, um zu erklären, warum unser Universum expandiert – und das noch dazu mit zunehmender Geschwindigkeit.

Weitere 25 Prozent entfallen auf die Dunkle Materie. Auch sie ist weitgehend unbekanntes Terrain, wenn auch nicht ganz so mysteriös wie die Dunkle Energie. Die Dunkle Materie wurde eingeführt, um Beobachtungen von Gravitationseffekten zu erklären, die sich nicht auf die uns sichtbare Materie zurückführen lassen. So spielt die Dunkle Materie eine wesentliche Rolle dabei, zu erklären, wie Galaxien entstehen und was sie zusammenhält.

Um die Entwicklung von Galaxien zu erklären, bedarf es Dunkler Materie. Diese Aufnahme zeigt die Galaxie NGC 2442, die wegen ihrer asymmetrischen Form den Spitznahmen "Meathook galaxy" trägt.
Foto: ESA/Hubble & NASA, S. Smartt et al.

Extrem heißes Gas

Bleiben also noch fünf Prozent des Universums übrig, die aus der uns bekannten, herkömmlichen Materie bestehen. "Von diesen fünf Prozent haben sich aber nur aus einem Bruchteil Sterne, Planeten und Galaxien gebildet – also jener Teil des Universums, den wir mit optischen Teleskopen sehen können", sagt Werner. Das ist also unsere beschämende Bilanz: "Über 95 Prozent des Universums wissen wir nichts. Und von den fünf Prozent, die aus normaler Materie bestehen, sehen wir weniger als die Hälfte."

So weit, so unzufriedenstellend. Doch an dieser Stelle kommt nun die Röntgenastronomie ins Spiel, die uns erlaubt, den hohen Grad unserer Unwissenheit über das Universum zumindest ein wenig zu unseren Gunsten zu verschieben. Werner nutzt Röntgenstrahlung vor allem zur Erforschung von extrem heißem Gas, das sich zwischen Galaxien befindet. "Rund um Galaxienhaufen können wir dieses heiße Gas detektieren", sagt Werner. Denn in der Umgebung dieser massiven Objekte wird das heiße Gas dicht genug, dass es Röntgenstrahlung aussendet. Der Name "heißes" Gas erscheint übrigens durchaus angemessen, es handelt sich um Temperaturen von zehn bis hundert Millionen Grad Celsius.

Kein Verbrennen trotz Millionen Grad

Dennoch ist die Dichte des Gases auch um Galaxienhaufen vergleichsweise sehr gering. "Die Dichte ist geringer als jene des besten Vakuums, das wir erzeugen können", sagt Werner. Daraus ergibt sich ein bemerkenswerter Effekt: Man stelle sich den äußerst hypothetischen Fall vor, dass ein Astronaut in dieses heiße Gas gelangen würde. "Aufgrund der geringen Dichte wäre die Energiedichte so gering, dass der Astronaut nicht verbrennen würde – trotz hundert Millionen Grad."

Mittels Röntgenspektroskopie konnte Werner die Temperatur des heißen Gases feststellen, die Dichte bestimmen sowie die chemische Zusammensetzung. Eine seiner, wie er findet, interessantesten Entdeckungen gelang Werner bereits während seiner Dissertation an der Universität Utrecht in den Niederlanden vor knapp 15 Jahren. Damals konnte er Filamente, die Galaxienhaufen verbinden, mittels Röntgenspektroskopie untersuchen. Dort befindet sich nicht nur heißes Gas, sondern auch Dunkle Materie, wie er später mit Kollegen nachweisen konnte.

Für den Astrophysiker Norbert Werner sind Schwarze Löcher die "pochenden Herzen von Galaxien".
Foto: Afp/EUROPEAN SOUTHERN OBSERVATORY

Schwarze Löcher im Herzen

In seiner Forschung befasst sich der Forscher auch mit Schwarzen Löchern. Werner fand heraus, dass es eine Art Feedbackschleife zwischen heißem Gas und Schwarzen Löchern gibt: Wenn das Gas abkühlt, wird es von Schwarzen Löchern, die im Zentrum einer Galaxie sitzen, verschluckt. Doch in der Folge heizt das Schwarze Loch das Gas wieder auf. Wenn das Gas erneut abkühlt, geht der Kreisprozess von vorne los. Werner sagt dazu: "Aus diesem Grund bezeichne ich Schwarze Löcher auch gerne als die pochenden Herzen von Galaxien."

Momentan beschäftigt sich Werner mit der Frage, wie er Nanosatelliten mit einer Größe von bloß zehn bis 30 Zentimetern für seine Forschung einsetzen könnte. Der erste Kleinstsatellit dafür ist vergangene Woche auf einer Sojus-Rakete gestartet. "Durch den technischen Fortschritt werden diese Nanosatelliten immer besser und gleichzeitig billiger", sagt Werner, "ich glaube, dass sich jedes Astronomieinstitut einen Satelliten wird leisten können, nicht nur die großen Raumfahrtbehörden." Von dieser Entwicklung erhofft sich der Astrophysiker eine Demokratisierung und Diversifizierung der astronomischen Forschung, "die viele brillante Ideen hervorbringen wird". (Tanja Traxler, 3.4.2021)