Microsoft Edge gibt es jetzt sogar in einer Linux-Version.

Screenshot: Proschofsky / STANDARD

"Der beste Browser, um Chrome oder Firefox herunterzuladen": Eine Beschreibung für Internet Explorer und Microsoft Edge, die zugegebenermaßen mit einer gehörigen Portion Zynismus formuliert ist. Aber auch eine, der ein wahrer Kern kaum abzusprechen war. Immerhin kannten die gemeinsamen Nutzungszahlen der beiden Microsoft-Browser über viele Jahre hinweg nur eine Tendenz: scharf nach unten. Egal was Microsoft Edge an minimalem Marktanteil für sich gewinnen konnte, der IE verlor parallel dazu noch mehr. Dass die beiden überhaupt noch eine Rolle spielten, lag vor allem an der Vorinstallation unter Windows – und an so manch veralteter Unternehmensanwendung. Ein Browser, für den sich jemand freiwillig entscheidet, das waren die Microsoft-Produkte hingegen schon lange nicht mehr.

Kehrtwende

Mit dieser Vorgeschichte darf ein Blick auf die aktuellen Zahlen zur Verbreitung einzelner Browser durchaus verblüffen: Laut Statscounter hat es die aktuelle Variante von Microsoft Edge mit einem Marktanteil von 8,04 Prozent bei Desktop-Systemen nämlich erstmals geschafft, Mozillas Firefox (7,97 Prozent) hinter sich zu lassen. Und auch die aktuelle Nummer zwei – Apples Safari – rückt bereits in Sichtweite (10,13 Prozent). Dieser globale Schnitt gilt zwar nicht gleichermaßen für alle einzelnen Länder, so steht etwa Firefox in Österreich (17,32 Prozent) noch erheblich besser da, der Trend ist aber überall derselbe. Mit 12,78 steht auch hierzulande der Edge so gut da wie schon lange kein Microsoft-Browser mehr.

Das wirft natürlich die Frage auf, wie es zu diesem lange nicht mehr für möglich gehaltenen Comeback kommt. Die Antwort liefert ein Motto, das sich in der Computerwelt schon des Öfteren bewährt hat: "If you can't beat them, join them" (also: "Wenn du sie nicht schlagen kannst, schließe dich ihnen an"). Hatte Microsoft lange versucht, alles von Grund auf selbst zu entwickeln – und dafür massiv Ressourcen verbrannt –, nutzt man nun einfach den Open-Source-Code des von Google vorangetriebenen Chromium-Projekts, das auch die Basis für Chrome bildet. Statt bei der Unterstützung aktueller Webstandards einen zunehmend aussichtsloser werdenden Kampf gegen die Google-Vorherrschaft zu führen, überlässt man dieses Feld weitgehend der Konkurrenz und konzentriert sich lieber auf die Entwicklung gezielter Verbesserungen.

Erfolgsrezept

Ein Plan, der aufzugehen scheint: Die altbekannten Kompatibilitätsprobleme mit diversen Webseiten erspart man sich, während man im direkten Vergleich zu Chrome mit dem einen oder anderen Zusatz-Feature leicht gut dastehen kann. Beispiele dafür sind etwa die gerade erst eingeführten vertikalen Tabs, aber auch so manche Performance- oder Laufzeit-Verbesserung unter Windows, die zwar später auch bei Chrome einfließen – aber Edge zunächst gute Schlagzeilen brachten. Auch mit einem eigenen Tracking-Schutz begibt man sich in Sphären, die Google aufgrund seiner engen Verflechtung mit der Werbebranche aus naheliegenden Gründen nicht so ohne Weiteres kopieren kann. Das Feedback fällt entsprechend sowohl aus der Fachpresse als auch aus Nutzerkreisen im zunehmenden Maße positiv aus. Dass der Softwarehersteller dabei sehr offensiv alte Vorurteile abzubauen versucht – etwa indem man mittlerweile sogar eine Linux-Version von Edge anbietet –, kann natürlich auch nicht schaden.

Folgen für das Web

Für Microsoft ist diese Entwicklung also äußerst erfreulich, aber ist sie das auch für das Web? Dazu gibt es zwei Perspektiven: Zunächst ist diese Kooperation definitiv gut für die Weiterentwicklung von Chromium – und damit indirekt für alle darauf basierenden Browser. So hat der Edge-Hersteller in den vergangenen Monaten eine ganze Reihe an konkreten Verbesserungen eingebracht – von Optimierungen für eine bessere Akkulaufzeit über eine bessere Medienwiedergabe bis zum Ausbau des Webstandard-Supports. Im Vergleich zu dem, was Google Monat für Monat zu Chromium beiträgt, mag sich all das in einem ziemlich überschaubaren Rahmen bewegen, und doch stellt das unleugbar einen Fortschritt dar.

Gleichzeitig ist aber unübersehbar, dass damit die Dominanz von Chromium weiter gestärkt wird – und das ist vor allem eine schlechte Nachricht für Mozilla, verschärft sich damit doch ein Trend, der schon in den vergangenen Jahren zunehmend zu beobachten war: Immer mehr Webentwickler orientieren sich nur mehr an Chrome/Chromium, für Browser mit eigener Render Engine wird es zunehmend schwerer. Und das betrifft nun mal vor allem Firefox mit seinem Gecko, ist doch Safaris Webkit nah verwandt mit Googles Blink, während die meisten anderen Browser – von Opera über Vivaldi bis zu Brave – ohnehin schon länger Chromium als Basis verwenden.

Ausblick

Ob der aktuelle Trend anhält, muss sich trotz all dem Gesagten allerdings erst zeigen. Immerhin heißt die Ähnlichkeit zu Chrome auch, dass es für zufriedene Nutzer des Google-Browsers wenig wirklich schlagende Gründe gibt, auf Edge zu wechseln. Die meisten der erwähnten Zusatz-Features lassen sich auch via Erweiterung nachreichen, und wem es um die Stärkung der eigenen Privatsphäre geht, der wird sich wohl nicht von Google ausgerechnet zu Microsoft begeben – da gibt es auch unter den Chromium-basierten Browsern bessere Alternativen.

Insofern ist Edge vor allem ein Chrome-Pendant für jene, die tief im Microsoft-Ökosystem verankert sind. Klingt nach einem etwas ernüchternden Ausblick, gleichzeitig sollte aber nicht vergessen werden, dass dies dank Office und Windows nicht gerade eine kleine Gruppe darstellt. Und für genau diese gibt es nun eben deutlich weniger Grund, sich einen alternativen Browser zu besorgen, als es noch vor nicht allzu lange Zeit der Fall war. So könnte dann nach all den Jahren des Spotts Microsoft jene Firma sein, die zuletzt lacht. (Andreas Proschofsky, 7.4.2021)