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Am Gründonnerstag schritten Gläubige, Mönche und andere christliche Geistliche um das angebliche Grab Jesu in Jerusalem.

Foto: Reuters/Amma Awad

Da hinten liegt ein Zigarettenstummel, der muss noch weg. Der Mann, der den kleinen Platz vor der Jerusalemer Grabeskirche mit Besen und Schaufel reinigt, lässt sich Zeit. Er nähert sich dem Stummel wie ein Adler der Beute. Er teilt sich die Arbeit in viele kleine Etappen, damit sie ihm nur nicht zu bald ausgeht. Es ist ja keiner hier, der Dreck machen könnte, und der Tag ist noch lang.

"Letztes Jahr war alles zu, dieses Jahr ist es anders", sagt der Securitymann in der Grabeskirche. Er lehnt an einer mehrere Hundert Jahre alten Mauer und raucht eine jener Zigaretten, die der Bodenreiniger später wegkehren wird. Jerusalem zu Ostern im Jahr 2020, das war einfach nur Stille. Die Priester feierten unter sich, die Gläubigen beteten zu Hause, alle praktizierten Nähe zu Gott in sozialer Distanz.

Dieses Jahr hingegen sind die Kirchen offen und Kreuzwegprozessionen finden statt, aber die Menschen, die daran teilnehmen sollen, fehlen. Keine Pilger sind im Land. Die, die hier sind, sind von hier.

Zum Beispiel Daisy. Sie lebt in Tel Aviv und ist auf Kurzbesuch in Jerusalem. Die 33-jährige Philippinerin läuft mehr, als dass sie geht, als sie die Grabeskirche verlässt. "Ich habe nur ein paar Stunden frei", sagt die Altenpflegerin, die eigens für die Gründonnerstagsmesse angereist ist. "Immer wenn ich frei habe, fahre ich nach Jerusalem und gehe in die Kirche." Wirklich oft sei das nicht. "Mit alten Menschen gibt es immer viel Arbeit." Zum Glück überschneide sich Ostern heuer zum Teil mit dem jüdischen Pessachfest. "Da sind meine Arbeitgeber zu Hause und können für ein paar Stunden selbst auf die Oma schauen, und ich kann in die Kirche", sagt Daisy.

Unter Kontrolle

Israel hat dank Massenimpfung das Gröbste überstanden. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist gegen Covid-19 immunisiert. Lokale sind wieder offen, die Gastgärten zum Bersten voll. Die Epidemie ist noch hier, aber mit rund 300 Neuansteckungen pro Tag ist sie unter Kontrolle. Damit das so bleibt, sind die Grenzen auch weiterhin geschlossen.

In keiner Stadt ist die Flughafensperre so stark spürbar wie in Jerusalem. 80 Prozent der Jerusalem-Urlauber sind Auslandsgäste, nur jeder fünfte ist Israeli. Die Zeit rund um Ostern ist Hauptsaison für Pilgerreisen. In normalen Jahren zwängen sich christliche Gläubige durch die Via Dolorosa, um den letzten Weg Jesu nachzuempfinden, aber auch abseits des christlichen Viertels sind die Altstadtgassen voll. Das Jahr 2019 brach alle Nächtigungsrekorde, die Vorausbuchungen für 2020 sagten eine neue Spitze voraus. Dann kam Corona – und die Stadt zum Erliegen.

"Es ist schon sehr, sehr seltsam", sagt Magdalena, 35-jährige Doktorratsstudentin aus Polen, die in Jerusalem lebt und die Gründonnerstagsmesse in der Grabeskirche besucht hat. "Ich war zu spät in der Messe und hatte immer noch Platz, sehr seltsam." In den Tagen vor Ostern "passt sonst in der Kirche keine Stecknadel zwischen die Menschen". Besonders schlimm sei es zum christlich-orthodoxen Ostern. "Da wird immer jemand zerquetscht", meint Magdalena.

Dieses Jahr ist ausreichend Luft in der Kirche. Jeder zweite Messbesucher ist Nonne oder Priester. Alle tragen Masken, nicht alle über Mund und Nase. Ein Mönch trägt Mundschutz mit Camouflagemuster und sticht damit hervor. Die Zeremonie ist zwar dieselbe wie in den vergangenen Jahrhunderten, aber aus Hygienegründen wird die Kommunion nur in die Hand verabreicht, nicht in den Mund. Und zum Friedensgruß gibt es Augenzwinkern.

Platz für alle Menschen

"Wir sind schon sehr gesegnet, dass wir hier feiern können", sagt die 63-jährige Regina aus Kanada. "Nicht überall auf der Welt haben sie das Glück." Sie sei aber strenggläubige Katholikin, "und in meinem Herzen ist Platz für alle Menschen, die heuer nicht feiern können".

Leandro ist extra aus Nazareth angereist, wo er als Priester stationiert ist. Wie es sich anfühle, wenn die Geistlichen in der Mehrheit und die Laien in der Minderzahl sind? "Ach, es gibt doch immer mehr Hirten als Schafe", meint Leandro. Dass die Schafe dank Pfizer bald übermütig werden könnten, macht ihm Sorge. "Allzu schnell haben die Menschen diese schwierige Zeit wieder vergessen", fürchtet er – "und alles, was Gott uns damit sagen will." Was die versteckte Botschaft der Pandemie sei? "Dass wir Menschen voll Sünde sind. Und dass wir eine höhere Macht brauchen, nämlich Gott."

Der 67-jährige Issy braucht primär Geld für ein neues Gebiss. Issy betreibt einen Souvenirshop am Eingang zur Altstadt. Dass sein Sortiment seit mehr als einem Jahr unangetastet ist, merkt man den vergilbten, gekräuselten Ansichtskarten an. Die Tourguides, für die hier geworben wird, sind teils schon in Konkurs. Issys Laden hat überlebt. Nun, da Pessachfest ist und jüdische Pilger aus ganz Israel nach Jerusalem reisen, um die Klagemauer zu besuchen, sperrt er wieder auf. Issy gibt die Hoffnung nicht auf. "Jerusalem hat schon viel erlebt", sagt er. "Es wird auch das überstehen." (Maria Sterkl aus Jerusalem, 3.4.2021)