Kein Hoax: Manche Kaninchen können auf ihren Vorderpfoten laufen, um eine genetisch bedingte Schwäche auszugleichen.
Foto: Carneiro M et al. 2021/PLOS Genetics

Es klingt nach einem Aprilscherz: In den vergangenen Tagen mehrten sich Meldungen über eine Forschungsarbeit, die der Ursache für im Handstand laufende Kaninchen nachging. Das kurze Video eines weißen Kaninchens, das mitgeliefert wurde, könnte auf den ersten Blick auch eine gewitzte Bearbeitung sein. Doch es gibt sie tatsächlich, die Kaninchenvariante, die auf ihren Vorderpfoten geht und die Thema der Ende März im Fachjournal "PLOS Genetics" veröffentlichten Studie war.

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Französische Forschende schrieben etwa anlässlich eines Welt-Hasen-Kongresses 1996 über diese besonderen Hauskaninchen, die seit 1935 dokumentiert sind – erstmals in der Tiermedizinklinik Maisons-Alfort, von der sich auch ihre Bezeichnung "Sauteurs d‘Alfort" (Springer von Alfort) ableitet.

Im Gegensatz zu ihren Artgenossen können diese Tiere zwar in den Handstand "springen", wenn sie sich rascher fortbewegen wollen, nicht aber schnell hüpfen. Ein internationales Forschungsteam fand nun heraus, dass eine bestimmte genetische Mutation daran schuld ist: Trägt ein Kaninchen diese Version in seinen beiden Kopien des sogenannten RORB-Gens, kann es nicht hoppeln wie Tiere ohne Mutation. Wenn es einen Zahn zulegen will, landet es stattdessen im Handstand – und trippelt auf den Vorderbeinen weiter. Bei langsamer Fortbewegung ist es aber nicht von anderen Hauskaninchen zu unterscheiden.

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Kein koordiniertes Hoppeln

Das Team um Miguel Carneiro (Universität Porto, Portugal) und Jennifer Vieillard (Universität Uppsala, Schweden) kam dem Grund für die ungewöhnlichen Handstände auf die Schliche, indem es zunächst Sauteur-Kaninchen mit hoppelfähigen Artgenossen kreuzte und anschließend die Genome der Nachfahren analysierte. Zwölf der 52 Enkel konnten nicht wie die anderen hüpfen und hatten von beiden Elternteilen eine RORB-Mutation vererbt bekommen. Diese doppelte Genvariante sorgt dafür, dass es wesentlich weniger funktionsfähige RORB-Rezeptoren in den Nerven des Rückenmarks gibt. Der Mangel beeinträchtigt offenbar die genaue Abstimmung der Hinterbeine: Bestimmte Nervensignale können nicht richtig weitergeleitet werden, was das koordinierte Hoppeln verunmöglicht.

Überraschenderweise reicht die Koordination bei vielen betroffenen Kaninchen aber aus, um das Hinterteil elegant in die Senkrechte zu bringen und auf den Vorderbeinen zu laufen. Die Forschenden schreiben in ihrem Paper aber auch, dass sich die einzelnen Sauteur-Kaninchen in ihrer alternativen Fortbewegung stark voneinander unterscheiden: "Bei manchen Individuen kann das abweichende Erscheinungsbild schwach ausgeprägt sein, und obwohl sie ihre Hinterläufe nicht synchron bewegen können, ähnelt die Schwingphase ihrer Fortbewegung jener der anderen Kaninchen."

Krankheiten besser verstehen

Auch andere Tierarten mit RORB-Mutationen fallen in ihren Bewegungsmustern auf. Bei Mäusen tritt etwa ein Watscheln auf, das an den Gang einer Ente erinnert, und auch sie nutzen mitunter nur ihre Vorderpfoten zur Fortbewegung. Das Gen dürfte also eine entscheidende Rolle bei der Fortbewegung von Säugetieren spielen. Die Forschungsergebnisse könnten helfen, motorische Defizite und Krankheiten besser zu verstehen und an ihrer Behandlung zu arbeiten.

Da bei den Sauteur-Kaninchen Genmutationen von beiden Elternteilen nötig sind, damit sich die Variante so stark ausprägt, dürften sie in freier Wildbahn selten sein. Außerdem ist die Tatsache, dass die betroffenen Tiere nicht so schnell davonspringen können, evolutionär eher ein Nachteil. Zumindest solange, bis – in einer hypothetischen Zukunft – genügend Artgenossen die Vorderpfotenstände als besonders attraktiv empfinden und sich lieber mit den Akrobaten paaren. (Julia Sica, 4.4.2021)