Dave Grohl, Kurt Cobain and Krist Novoselic von Nirvana beim Interview zum Europa-Release ihres Albums "Nevermind".

Foto: imago images/Future Image

Wie würde die Musik von Nirvana klingen, wenn Sänger und Gitarrist Kurt Conain nicht im Jahr 1994 gestorben wäre? Vielleicht wie die Foo Fighters, die Band rund um den einstigen Nirvana-Drummer Dave Grohl? Oder so, wie sich die in ihren Anfangsjahren fälschlicherweise als die "deutschen Nirvana" bezeichneten Tocotronic heute anhören? Man weiß es nicht.

Ein aktuelles Kunstprojekt namens "Lost Tapes of the 27 Club" hat für Fans der legendären Grunge-Band jedoch einen kleinen Trost parat: Hier komponierte eine künstliche Intelligenz einen Song, der stark an den legendären Nirvana-Stil erinnert. Das Lied namens "Drowned in the Sun" enthält langsame Passagen mit Gitarren-Riffs, die an Stücke wie "Come as you are" erinnern ebenso wie einen Refrain aus Power-Chords, der an die zahlreichen lauteren Werke erinnert. Auch der Text weist mit Zeilen wie "I don’t care/I feel as one, drowned in the sun" Elemente auf, die eine starke Ähnlichkeit mit Cobains Stil aufweisen.

"Drowned in the Sun" : Der "neue" Nirvana Song

Lost Tapes of the 27 Club

Google Magenta schreibt die Songs

Abgesehen vom Gesang – der aus der Kehle des Nirvana-Coverband-Sängers Eric Hogan stammt – ist der gesamte Song am Computer entstanden. Zum Erstellen der Musik wurde Googles AI Magenta genutzt, wie die Initiatoren in einem Interview mit dem Rolling Stone sagen. Dieses kann bestehende Werke von Künstlern analysieren, um daraus neue Werke im gleichen Stil zu erstellen. Zuletzt hat auf diese Weise Sony auch einen weiteren Song im Stil der Beatles erstellt.

Sony CSL

Für das Lost Tapes-Projekt hat Magenta die Midi-Dateien der Songs analysiert: Dabei handelt es sich um Dateien, die keine eigentlichen Aufnahmen, sondern lediglich die Daten über das Lied– etwa Höhe der Noten, Dauer und Stärke des Anschlags – enthalten und in dieser Form von einer Software wiedergegeben werden können. Aus der Analyse entstand schließlich ein neues Stück, aus dem die Teammitglieder wiederum die besten Momente herausfilterten.

"Je mehr Midi-Dateien man eingibt, desto besser", sagt Sean O’Connor vom für Projekt verantwortlichen Verein Ober The Bridge gegenüber dem Rolling Stone: "Wir haben also 20 bis 30 Songs als Midi-Dateien genommen und sie nur auf die Hook, das Solo, die Gesangsmelodie oder die Rhythmusgitarre heruntergebrochen und diese einzeln durchlaufen lassen."

Wenn man ganze Songs durchlaufen lasse, "fängt das Programm an, wirklich durcheinander zu kommen, wie es klingen soll", fährt er fort: "Aber wenn Sie nur einen Haufen Riffs haben, wird es etwa fünf Minuten lang neue, von der KI geschriebene Riffs ausgeben, von denen 90 Prozent wirklich schlecht und unhörbar sind. Also fängt man an, sich durchzuhören und kleine Momente zu finden, die interessant sind."

Die Texte wiederum sind mit Hilfe eines künstlichen neuronalen Netzwerks entstanden. Hier wurden Cobains Texte eingegeben, wodurch die AI die Tonalität der Werke einzuschätzen versuchte. Dabei habe es viel "Trial and Error" gegeben, wie O’Connor sagt: Unter anderem mussten etliche Seiten an Text durchforstet werden, um Passagen zu finden, die auch zu der von Magenta komponierten Musik passt.

Bewusstsein für Depressionen

Die AI-Kompositionen sind dabei kein reiner Selbstzweck. Der hinter dem Projekt stehende Verein Over The Bridge möchte damit vor allem das Bewusstsein für Depressionen und andere psychische Probleme unter Musikerinnen und Musikern schaffen, wie es auf der eigenen Website heißt.

Demnach geben 71 Prozent aller Menschen in der Musikindustrie an, bereits Angstzustände und Panikattacken erlebt zu haben, 68 Prozent erlebten Zustände der Depression – und die Rate der Selbstmordversuche ist in der Musikbranche doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Bevölkerung.

Mit Songs wie dieser Nirvana-Hommage möchte man auf diese Thematik aufmerksam machen. Der "27 Club" ist wiederum eine Auflistung von Musikerinnen und Musikern, die bereits im zarten Alter von 27 Jahren gestorben sind – darunter auch Jimi Hendrix, Amy Winehouse und Janis Joplin. Eine vollständige Liste des "Clubs" gibt es unter diesem Link.

Amy Winehouse, Jimi Hendrix und The Doors

Der Nirvana-Song ist dabei nicht der erste, der von der AI komponiert wurde – auch an Stücken von Jimi Hendrix, Amy Winehouse und The Doors hat sich die Künstliche Intelligenz bereits versucht. Wobei Nirvana eine ganz besondere Herausforderung darstellten: Denn im Gegensatz zu Hendrix war Cobain nicht unbedingt dafür bekannt, besonders exakt zu spielen. (Stefan Mey, 3.4.2021)

Lost Tapes of the 27 Club
Lost Tapes of the 27 Club
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