Das Herz des Spiels: Die Fahrerkabine.

Foto: Viewapp/Aerosoft

Es gibt viele Dinge, auf die Wienerinnen und Wiener in den vergangenen Monaten verzichten mussten: Konzerte etwa, oder der Besuch in einem zünftigen Beisl. Und so manch einer wird angesichts des ungewollten Trends zum Home Office vielleicht auch die Fahrten mit den Fahrzeugen der Wiener Linien vermissen – und an diese Menschen, ebenso wie an Straßenbahn-begeisterte Möchtegern-Bim-Piloten richtet sich Tram Sim: Ein Straßenbahnsimulator des Studios ViewApp, herausgegen vom auf Simulatoren spezialisierten Publisher Aerosoft, bei dem man die Straßenbahnlinie 1 vom Stefan-Fadinger-Platz über die Wiener Innenstadt bis zum Prater fährt.

ÖPNV Simulationen

Das Team rund um Tram Sim hatte seinen Auftritt (siehe Video oben) unter anderem bei de rein virtuell abgehaltenen Gamescom 2020 – also zu jenem Zeitpunkt, als die Welt gerade wegen dem Microsoft Flight Simulator völlig aus dem Häuschen war.

Auch ich hielt es für eine gute Idee, mich während des Lockdowns mal als virtueller Bimfahrer zu versuchen – wiewohl ich der Transparenz halber betonen muss, dass sich meine Simulatoren-Erfahrung auf den besagten Flugsimulator und den legendären Goat Simulator beschränkt. Für gewöhnlich spiele ich eher Shooter und RPGs, und auch im Kollegenkreis verhält es sich ähnlich: "Mich interessiert eigentlich nur, ob Du dort auch jemand überfahren kannst," meinte einer im Vorfeld des Tests. Ich gelobte, auch dieses mögliche Feature zu testen.

Die Zeichen richtig deuten

Bevor ich aber in der freien Wildbahn fahren darf, muss ich in die Fahrschule – auch bekannt als Tutorial. Normalerweise sind Tutorials fad, aber hier gibt es einen Bonus: Man lernt nicht fürs Spiel, sondern fürs Leben. Nicht selten stellte sich bei mir in dem kurzen Training ein regelrechter "Aha"-Moment ein: So funktionieren also die Weichen! Dafür sind alle die vielen Knöpfe da! Und so funktionieren die komischen Punkte-Ampeln, die bei jeder Station stehen!

Und abschließend verrät mit Andi, der freundliche Fahrlehrer mit der roten Krawatte, einen wichtigen Aspekt zum Gameplay: Während der Fahrt kann ich sogenannte Tram Sim-Punkte (TSP) sammeln, indem ich verschiedene Aufgaben des Bimfahrer-Lebens erfülle. Also etwa genaues Anhalten an der Station, oder pünktliches Losfahren.

Zeichen wie diese waren für mich bisher ein regelrechtes Mysterium.
Foto: Viewapp/Aerosoft

Inklusive Corona-Modus

Startet man anschließend ein Spiel, so stehen einem verschiedene Auswahlmodi zur Verfügung, etwa die Tageszeit, die Jahreszeit und der Start-Bahnhof. So kann man etwa auch nachts fahren und den Sternenhimmel genießen oder im Winter das verschneite Wien bewundern.

Nachts beim Parlament...
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Im Weihachtsmodus wird einem obendrein auch die weltberühmte Wiener Weihnachtsdekoration angezeigt.

...und zur Adventszeit an der Wiener Börse.
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Sehr dünn ausgefallen ist allerdings die Wahl der Verkehrsmittel. Ursprünglich war es nur möglich, mit den Flexity-Trams von Bombardier zu fahren, inzwischen wurde über ein Update zumindest die alte E2-Hochflur-Straßenhbahn von Siemens hinzugefügt. Aber wo bleiben die ULFs? Ich suchte sie vergebens.

Dafür gibt es in TramSim etwas, das man in anderen Spielen so gut wie nie findet: Einen Corona-Modus. Dieser stellt das Innere meiner E2-Straßenbahn noch deutlich trister dar, denn meine Fahrerkabine ist abgesperrt, und die Fahrgäste tragen allesamt Masken.

Weihnachten mit Maske.
Foto: Viewapp/Aerosoft
Während der Fahrt bitte nicht mit dem Fahrer sprechen – erst recht nicht während einer Pandemie.
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Stimmung wie im echten Leben

Im Spiel selbst offenbaren sich die Stärken von Tram Sim: Die Grafik, der Sound – und somit das realistische Feeling einer heimischen Straßenbahn. Entlang der Strecke wurden diverse architektonische Landmarks liebevoll herausgearbeitet, von den Prachtbauten an der Ringstraße zum kleinen Handyshop an der Technischen Universität. Und auch das Innere der Fahrzeuge wurde schön erfasst. Kritikpunkt ist wiederum das Design der Fahrgäste, deren es Aussehen sich oft wiederholt und deren Bewegungen recht hölzern wirken.

So sieht eine Straßenbahn von innen aus.
Foto: Viewapp/Aerosoft

Der Ton wiederum ist sehr realistisch. Während meiner Fahrt höre ich das Rumpeln, das Summen beim Anfahren, das Zischen der Türen beim Öffnen, das Ansagen der nächsten Station klingt wie im echten Leben – und mein Lieblingsbutton ist ohnehin jener für die Warnklingel: Hört sich das in der Realität wirklich auch so penetrant an?

Mit Vollgas durch die Stadt

Und das Gameplay? Die Herausforderung des Spiels besteht tatsächlich darin, die Straßenbahn zum richtigen Zeitpunkt anzuhalten, so dass die Fahrgäste einsteigen können. Dann öffnet man die Türen und schließt sie wieder. Und dann fährt man wieder los und bemüht sich, den Fahrplan einzuhalten.

Aber das muss man freilich nicht. Man kann auch einfach Vollgas geben und so an den Wahrzeichen der Stadt im Eiltempo vorbeibrettern, die Aussicht von der in der Realität nur wenigen Menschen zugänglichen Fahrerkabine genießen. Die Fahrgäste kommen dann halt nicht zur Arbeit oder zum Geburtstagsfest – aber zum Glück ist das ja alles nur ein Spiel.

Dieser Fahrgast telefoniert schon die ganze Zeit. Er hat wohl gar nicht gemerkt, dass ich seine Haltestelle ausgelassen habe.
Foto: Viewapp/Aerosoft

Außerdem wurde von den Entwicklern ein Challenge-Modus eingebaut. Hier kann zum Beispiel getestet werden, ob man es schafft, zu einem bestimmten Punkt anzubremsen – worin ich wiederum glorreich gescheitert bin.

Über sieben Meter vom Ziel entfernt habe ich angehalten. Und das vor so einem großen Publikum, direkt am Ring.
Foto: Viewapp/Aerosoft

Man muss auch offen sagen: Das Spiel ist auf Dauer nicht sonderlich abwechslungsreich. Und das liegt zu einem gewissen Teil in der Natur der Sache: Eine Straßenbahn ist kein LKW und kein Flugzeug, sie muss sich an die strikte Vorgabe der Gleise halten. Hinzu kommt aber auch, dass zumindest in der aktuellen Version von den Entwicklern nur eine einzige Strecke vorgesehen ist. Diese gehört zwar noch zu den interessantesten innerhalb Wiens – aber trotzdem wird sie irgendwann fad.

Tram Sim ist nicht GTA

Gut ist daher umgesetzt, dass man auch aus der Fahrerkabine aussteigen und sich mit den WASD-Tasten als Mensch halbwegs frei bewegen kann. So kann man etwa auch in die hinteren Waggons einsteigen und zu einem gewissen Grad die Gegend erkunden: Den Heldenplatz kann man zwar nicht betreten, aber dafür wird man von den Passanten am Schwedenplatz angeredet, man möge die andere Person doch "bitte vorbei lassen" – in jenem charmant-arroganten Unterton, den es sonst nirgendwo anders auf der Welt gibt.

Nachts, einsam und allein in meiner Straßenbahn.
Foto: Viewapp/Aerosoft

Und der Wunsch des Kollegen, ich möge doch bitte Passanten überfahren? Der wurde nicht eingeplant – zumindest ist es mir kein einziges Mal gelungen. Zusammenstöße mit Autos sind zwar möglich, aber nicht sonderlich spektakulär: Es wird dem Spieler lediglich über eine Texteinblendung angezeigt, dass es eine Kollision gab, nicht mehr. Tram Sim ist halt nicht GTA. Hier gibt man sich gesittet, Aggressionen muss man anderswo abbauen.

Das Gleiche gilt auch für den Free-Roam-Modus, in dem man sich als Passant bewegt. Wer sich probeweise vor eine vom Computer gesteuerte Straßenbahn stellt, der wird von dieser lediglich geschoben, nicht überfahren. Und Autos bleiben einfach stehen. Noch ein Fun Fact zu diesem Punkt: In der SciFi-Welt von Tram Sim sind alle Autos selbstfahrend und haben keine Fahrer.

Die Autos in Tram Sim sind fahrerlos.
Foto: Viewapp/Aerosoft

Mit der Badener Bahn zum Prater fahren

Ein Blick in die Zukunft zeigt wiederum auch, dass Tram Sim durch diverse Mods und DLCs noch ausgebaut werden könnte. So soll mit einem kostenpflichtigen DLC der Betriebsbahnhof Favoriten zum Streckennetz hinzugefügt werden. Hobbymodder sollen wiederum die Möglichkeit haben, die Trams entsprechend zu modifizieren.

Und schon jetzt gibt es die Möglichkeit, die eigene Tram mit dem Download spezieller Repaints zumindest optisch aufzupäppeln. Auf diese Weise bin ich auch mit der Badener Bahn gefahren...

Foto: Viewapp/Aerosoft

...und habe meiner Tram einen Soutpark-Paintjob verpasst.

Foto: Viewapp/Aerosoft

Fazit: Spielspaß, der rasch nachlässt

In Summe ist Tram Sim – abgesehen von ein paar Bugs – ein netter Simulator, der vor allem Fans des öffentlichen Nahverkehrs ansprechen dürfte. Die Grafik und vor allem der Sound sind gut gelungen. Allerdings hätte man vom Start weg mehr Fahrzeugtypen integrieren können, und auch das Streckennetz ist extrem dürftig. Das hat leider zur Folge, dass der Spielspaß recht schnell endet und das Spiel nach ein bis zwei Abenden an Attraktivität verliert. Und das ist bei einem Anschaffungspreis von knapp 30 Euro schon etwas wenig. (Stefan Mey, 3.4.2021)

Disclaimer: Das Rezensionsexemplar wurde von Aerosoft zur Verfügung gestellt.