Der englische Begriff “Disruption“ hat im Deutschen mehrere Bedeutungen. Unter anderem versteht man darunter Unterbrechung, Störung, Zusammenbruch, Zerrüttung oder Belästigung. Betrachtet man das Verhalten des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, so könnten einem diese Begrifflichkeiten durchaus als zutreffend vorkommen. “The Donald“ steht für viele politische Gegner sicher für eine Belästigung und Störung ihres gewohnten Systems bis hin zu einem Zusammenbruch von ebendiesem. Für seine nicht wenigen Fans ist seine Form der Irritation oder Disruption des Bestehenden ein Segen. In der Evolutionstheorie steht eine disruptive (aufspaltende) Selektion für einen Prozess in welchem Formen, die am häufigsten vorkommen, zurückgedrängt werden beispielsweise durch Parasiten, Fressfeinde oder ansteckende Krankheiten. Interessant in diesem Kontext ist, dass Individuen, die seltene Merkmale, wie beispielsweise eine besondere Größe oder Kleinheit, aufweisen einen Vorteil haben. Sie können durch diese Eigenschaften ökologische Nischen besetzen und sind dadurch selektionsbegünstigt.

Donald, der Disruptive

Sehen wir uns in diesem Kontext einmal die Person des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika an. In gewisser Art und Weise lassen sich durchaus Parallelen zu dem beschriebenen Phänomen finden. Der besonders verbal Auffällige sorgt für einen Selektionsdruck unter seinen politischen Gegnern mit eher “durchschnittlichen“ Merkmalen oder Fähigkeiten. Mit seinem sich von anderen unterscheidenden extremen Phänotypus ist er in gewissen Epochen der gesellschaftlichen Entwicklung im Vorteil. Eine weitere Gemeinsamkeit zur Theorie der “disruptiven Selektion“ lässt sich für den geneigten Beobachter erkennen. Ebenjene kann zur einer sogenannten bimodalen Häufigkeitsverteilung führen und dadurch zu einer Aufspaltung der Populationen in zwei getrennte Arten. Auch Trump spaltet die Gemeinschaft in zwei Lager. Nun aber genug mit biologistischen Modellen.

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Gesellschaftlicher Umbruch durch scheinbare Pathologie

Das oft gerne diagnostizierte scheinbar Pathologische an Trump ist bei Wahlen ein Selektionsvorteil. Seine Persönlichkeitsmerkmale wie eine gehörige Portion an Extraversion und Offenheit für Erfahrungen machen ihn zum perfekten “Disruptor“ für bestehende festgefahrene Systeme und Narrative. Dies machte Besagten zu einem gefürchteten Verhandlungspartner in der EU und bei einstigen Verbündeten der USA. Einzig den gewitzten ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, respektierte der politische Borderliner, während sich Angela Merkel und Emmanuel Macron die Zähne ausbissen.

So ist es gar nicht unwahrscheinlich, dass er, der Auffällige, bei den kommenden Urnengängen zum US-Präsidenten erneut auftauchen und möglicherweise, basierend auf den Spätfolgen der Coronakrise, erfolgreich sein könnte. Wenn ihm zwar Corona und andere Faktoren die Wiederwahl gekostet haben, so könnten ihm die sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Pandemie ein Comeback ermöglichen. Dies unter der Voraussetzung, dass Joe Biden nicht abliefert. Dann ist der Gottseibeiuns schneller wieder im Weißen Haus als die Demokraten schauen können, denn so wie es aussieht ist das Virus ähnlich unberechenbar und mutationsfähig wie Trump.

Comeback für Donald?
Foto: AFP/OLIVIER DOULIERY

Eine Korrelation impliziert keine Kausalität

Die Realität ist, dass politische und wissenschaftliche Vorhersagen und Diagnosen die Pandemie betreffend zunehmend auf den Prüfstand kommen und hier tut sich erneut ein Zeitfenster für Trump und analoge Populisten weltweit auf. Eine Korrelation bedeutet im wissenschaftlichen Kontext keine Kausalität und daher sind sichere Prognosen für die Menschen schwer zu treffen. Die Verhältnismäßigkeit diverser Maßnahmen wird immer mehr in Frage gestellt und Folgewirkungen sozialer, ökonomischer und psychischer Natur finden mit einer Latenz statt.

Es scheint ebenfalls so als wäre Corona dem Homo sapiens in seiner Befähigung zur Mutation und Anpassung immer einen Schritt voraus. Das lässt Politiker und Wissenschafter - ob berechtigt oder nicht - in der Bevölkerung vermehrt alt aussehen. Als Reaktion auf das Dilemma ist ein Paradigmenwechsel dringend notwendig. Das Leben ist eine große Wechselwirkung und dieser Tatsache sind sich Trump dank seiner Lebenspraxis und das Virus (obwohl es wahrscheinlich kein Bewusstsein besitzt) im Vergleich zu manchen Bürokraten in politischen Ämtern bewusst. Eine Stärke der Natur, die uns trotz aller akademischen Bildung und des technologischen Fortschrittes immer wieder in die Schranken weist. (Daniel Witzeling, 12.4.2021)

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