Geflüchtete aus Palma kommen im Hafen von Pemba an.

Foto: EPA/LUIS MIGUEL FONSECA

Offiziell heißt sie Cabo Delgado, doch von ihren Einwohnern wird die Provinz nur "Cabo Esquecido", das vergessene Kap, genannt. Selbst fremden Reisenden fällt der Grund dafür schon auf den ersten Blick auf: Die vierspurige Autobahn auf der tansanischen Seite des Rovuma-Flusses mündet in eine stattliche, mit riesigen Elefantenstoßzähnen aus Beton geschmückte Brücke – um sich auf mosambikanischer Seite dann schnurstracks in einen Feldweg zu verwandeln.

Der ungeteerte Buschpfad schlängelt sich hunderte Kilometer durch Mosambiks Nordosten, nur hin und wieder tauchen am Wegrand strohbedeckte Lehmhütten ohne Strom- und Wasseranschluss auf. Nichts deutet darauf hin, dass nur wenige Kilometer entfernt an der Küste derzeit mehr Geld als irgendwo anders auf dem afrikanischen Kontinent investiert wird: Auf einer Halbinsel neben dem Hafenstädtchen Palma, das bislang nur für seinen verwunschenen Charme und seine verwegenen Schmuggler bekannt war, soll eine der weltgrößten Anlagen zur Erdgasverflüssigung im Wert von 20 Milliarden Doller entstehen.

Bauarbeiten eingestellt

Palma geriet vor wenigen Tagen in die internationalen Schlagzeilen, als angebliche "IS-Terroristen" ein Blutbad unter den 75.000 Bewohnern des Städtchens anrichteten. Dem fielen erstmals auch zahlreiche Angestellte ausländischer Subunternehmer zum Opfer: Der im "vergessenen Kap" seit fast vier Jahren tobende Konflikt wurde zum Weltereignis. Der französische Konsortiumführer Total stellte inzwischen sämtliche Bauarbeiten ein. Eigentlich sollte das Megaprojekt spätestens 2024 fertig sein und das gesamte südliche Afrika wirtschaftlich anschieben. Jetzt könnte es als gigantische Bauruine enden.

Militärberater aus den USA, Südafrika und Portugal eilen in die verwunschene Region, um Mosambiks Armee im Antiterrorkampf zu üben. Obwohl Fachleute davor warnen, den Konflikt um die hochexplosiven Gasfelder mit militärischen Mitteln meistern zu wollen.

Keine Hilfe für Provinz

Was auf der Fahrt durch das vergessene Kap noch auffällt: In der Mitte jeder größeren Siedlung steht ein Schrein, der einem Kämpfer der Frente de Libertação de Moçambique (Frelimo) gewidmet ist. Ausgerechnet von Cabo Delgado ging nämlich vor einem halben Jahrhundert die Befreiung der portugiesischen Kolonie aus: Es ist die Wiege der noch heute regierenden Frelimo und ihres Präsidenten Filipe Nyusi. Womöglich meinte die Elite der inzwischen in unzählige Korruptionsskandale verwickelten Partei, die Unterstützung der Cabo-Delgado-Bewohner sicher in der Tasche zu haben. Jedenfalls ließen sie in die fast ausschließlich muslimische bevölkerte Provinz des ansonsten mehrheitlich christlichen Landes kaum einen Metical, die Währung des südostafrikanischen Staats, fließen.

Nur 0,3 Prozent der Provinzbewohner verfügen über einen Hochschulabschluss, mehr als ein Drittel der Jugendlichen besucht keine Schule, nur zwölf Prozent der hiesigen Haushalte sind ans Stromnetz angeschlossen. Die Provinz könne "lediglich Analphabetismus, Elend, Armut und Konflikte vorzeigen", heißt es in einem Bericht des Instituts für Sicherheitsfragen (ISS) in Pretoria – obwohl sie die rohstoffreichste Region des Landes sei.

Umsiedlung statt Infrastruktur

Als vor zehn Jahren die enormen Erdgasvorräte vor Cabo Delgados Küste bekannt wurden, wähnten sich auch die Anrainer im Glück. Ihnen wurden blühende Landschaften, Arbeitsplätze und Krankenhäuser versprochen. Doch was sie stattdessen bekamen, waren Umsiedlungen, konfiszierte Felder und zerstörte Fischpfründe. Vor drei Jahren gingen in Palma zahlreiche junge Männer auf die Straße, um gegen ihre Vernachlässigung bei der Jobvergabe auf den Baustellen zu protestieren.

Unterdessen breitete sich unter den Jugendlichen der Provinz eine radikalere Form des Islam aus – angeblich von feurigen Wanderpredigern aus Tansania und Somalia genährt. Im Oktober 2017 schlugen die sich "Ansar al-Sunna" nennenden Extremisten erstmals in dem Hafenstädtchen Mocimboa da Praia zu. Zunächst griffen sie nur Regierungsgebäude und die Polizeistation an. Fühlt sich die Gruppe von der Bevölkerung jedoch nicht ausreichend unterstützt, wendet sie sich mit immer brutaleren Mitteln auch gegen sie: Im Dorf Nanjaba enthaupteten die Jungs (arabisch: al-Shabab) mehr als 50 Dorfbewohner.

Waffen gegen Waffen

Die Armee stand ihrer Grausamkeit nicht nach: Sie bombardierte Dörfer, folterte Gefangene und ließ sie anschließend verschwinden. Derweil schottete die Regierung die Provinz von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten ab, um freie Hand im Umgang mit den "Terroristen" zu haben. Als sich diese vor zwei Jahren schließlich dem "Islamischen Staat im Irak und Syrien" (IS) anschlossen, sah man sich bestätigt. Terroristen kann man nur mit Waffen beikommen, so die herrschende Maxime – auch wenn selbst Militärs einräumen, Probleme wie am vergessenen Kap könnten niemals nur militärisch gelöst werden. "Wir müssen uns fragen, warum sich unsere Kinder von den Extremisten rekrutieren lassen", wirft Mosambiks ehemaliger Gesundheitsminister Ivo Garido ein: "Es ist die Armut und die Arbeitslosigkeit." (Johannes Dieterich, 6.4.2021)