Präsident Reuven Rivlin mit der Abgeordneten und dem Abgeordneten der Yamina.

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Ein Verzweiflungsschimmer ist dem Präsidenten ins Gesicht geschrieben, als er noch einmal nachfragt: Ob den beiden Politikern auch wirklich bewusst sei, was sie hier tun? Es sind zwei Vertreter der Rechtspartei Yamina, die den israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin Montagmittag besuchen. Alles hatte auf sie gewartet. Und dank Livestreams können alle Israelis mitansehen, wie sich die kleine Fraktion, die in den schwierigen Regierungsbildungstüfteleien das Zünglein an der Waage spielt, entscheidet: Unterstützt sie wieder eine Regierung Netanjahu? Oder tendiert sie zu Netanjahus Widersacher Yair Lapid vom oppositionellen Block? Bisher hatte sich Yamina nicht festgelegt.

Nun wird es aber ernst. In Israel sieht das Gesetz vor, dass der Präsident einem der gewählten Parteienvertreter den Auftrag zu Regierungsverhandlungen gibt. Der Zuschlag geht traditionell an jenen Politiker, der die höchsten Chancen hat, eine Stimmenmehrheit im Parlament hinter sich zu versammeln.

Um zu wissen, wer das sein könnte, spricht der Präsident an diesem Montag mit Vertretern aller Parteien und fragt sie, wen sie unterstützen.

Noch unsicher

Yamina ist die fünfte von dreizehn Fraktionen, aber die erste mit Überraschungswert. Auf die Frage an ihre Vertreter, wen sie als Regierungschef sehen, erklären die beiden Abgesandten: Das sei ohne Zweifel Parteichef Naftali Bennett.

Die Kleinpartei mit nur sieben Parlamentssitzen lässt sich also weiter offen, ob sie Netanjahu oder den "Block des Wandels" unterstützt. Und Präsident Rivlin, sichtbar genervt, sagte nach dem Gespräch: Es sei leider wahrscheinlich, dass die vierten Neuwahlen in fünfte münden. Denn derzeit hat keiner der beiden Blöcke Aussicht auf eine Mehrheit im Parlament.

Israelisch-arabische Beteiligung

Stimmt nicht, brüllt in der Nähe ein Mann im pinken Shirt ins Megafon. Die Demonstranten, die sich vorm Präsidentenhaus versammelt haben, fordern einen Abgang Netanjahus. Dieser sei "ein Diktator" und müsse ins Gefängnis – ein Verweis auf den Korruptionsprozess des Premiers, der ebenfalls am Montag am Jerusalemer Bezirksgericht fortgeführt wurde. Laut den Demonstranten wäre ein Wandel leicht möglich – wenn nur das Anti-Netanjahu-Lager bereit wäre, sich auf die Stimmen der arabischen Vereinigten Liste zu verlassen. Israelische Wähler befürworten in Umfragen mehrheitlich eine Regierung unter israelisch-arabischer Beteiligung.

Die Parteien sind weniger aufgeschlossen. Nach der dritten Wahl im März 2020 hatte sich der Mitte-links-Block dagegen entschieden. Die Folge: monatelanges Chaos unter einer "Notfallsregierung" und dann vierte Neuwahlen. Eine der beiden arabischen Listen, die Raam-Partei unter Mansour Abbas, ist neben Yamina der zweite mögliche Königsmacher, der auch eine Unterstützung Netanjahus nicht ausschließt. Ihr Besuch bei Präsident Rivlin war zu Redaktionsschluss ausständig.

Wem auch immer Rivlin den Zuschlag erteilt: Das Gesetz gibt ihm nur 28 Tage Zeit, um eine Koalition zu bilden. Die Erfolgschancen sind nach der vierten Neuwahl noch geringer als zuvor. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 5.4.2021)