Die Beziehung zu Schwester oder Bruder ist eine, die man sich nicht ausgesucht hat – und trotzdem meist die längste im Leben.

Foto: Regine Hendrich

Ehen werden geschieden, Freundschaften verlaufen sich, und Eltern sind irgendwann nicht mehr da. Bruder und Schwester aber bleiben meist ein Leben lang. Sie prägen uns wie kaum jemand anderer. Anlässlich des Weltgeschwistertags am Samstag hat DER STANDARD mit außergewöhnlichen Geschwistern gesprochen.

Nada und Shirin El-Azar sagen über sich, dass sie "in jeder Hinsicht grundverschieden" sind – sowohl äußerlich als auch charakterlich. Trotzdem sind die beiden Schwestern unzertrennlich. Felix R. und Anna R. verstehen sich so gut, dass sie zehn Jahre lang in einer Einzimmerwohnung zusammengewohnt haben. Paul Morocutti ist 19 Jahre älter als Katharina Morocutti und hat sich immer väterlich um seine Schwester gekümmert. Susi und Sonja wussten Jahrzehnte nichts von Halbschwester Steffi und haben sie mit 40 schließlich kennengelernt.

Tut es einer Beziehung gut, wenn beide in der gleichen Geschwisterkonstellation aufgewachsen sind? Und fühlen sich Zwillinge besonders verbunden? Das haben wir Maria und Raoul gefragt. Sie sind seit sechs Jahren ein Paar und haben beide einen Zwilling.


"Wir sind grundverschieden"

Aber trotzdem sind sie beste Freundinnen: Nada und Shirin El-Azar

Wenn sie sagen, dass sie Schwestern sind, würden ihnen das viele nicht glauben, sagen Nada und Shirin El-Azar. "Ich bin typisch arabisch, dunkelhäutig mit Naturlocken. Meine kleine Schwester ist hellhäutig mit glatten Haaren und vollkommen anderen Gesichtszügen, eher europäisch aussehend", sagt Nada.

"Viele glauben nicht, dass wir verwandt sind": Nada (24) und Shirin (23). Trotz aller Unterschiede sind die beiden Frauen unzertrennlich.

Auch sonst seien sie "in jeder Hinsicht grundverschieden", erzählen die Schwestern aus Wien: Nada, 24 Jahre, ist das Energiebündel, die Rebellische, die mit Netzstrümpfen in die Schule ging. Shirin, 23 Jahre, ist die Ruhige, die sich selbst als introvertiert beschreibt. "Ich brauche oft länger, um aufzutauen." Nada ging ins Gymnasium und studierte, Shirin brach die Schule ab und machte eine Ausbildung zur Masseurin. Auch der Musikgeschmack der beiden unterscheidet sich: Shirin hört Deutschrap, den Nada nicht leiden kann. "Ich steh mehr auf 80er, Gothic und Techno."

Nicht nur das führte zu Differenzen, als die beiden noch bei ihren Eltern gewohnt haben und sich ein Zimmer teilen mussten. Shirin sei ein "Chaoskopf", sagt ihre Schwester, die es gerne ordentlich hat. Shirin schläft gerne länger, während Nada einen leichten Schlaf hat und Frühaufsteherin ist. "Wenn da nur ein kleines Geräusch ist, wacht sie schon auf", berichtet ihre Schwester.

Trotz aller Unterschiede halten die jungen Frauen zusammen. "Wir streiten uns und sind nach zwei Stunden wieder ein Herz und eine Seele", sagt Shirin. Die beiden sind die jüngsten von fünf Geschwistern, und dadurch, vermuten sie, ist ihre Beziehung besonders eng. Eine Schwester sei wie eine beste Freundin – nur besser. "Man muss nicht viel tun, damit es funktioniert", sagt Nada. "Ich habe Shirin einmal drei Wochen nicht angerufen, weil ich keinen Bock hatte. Und es war trotzdem okay." Einer Schwester ist man eben keine Erklärung schuldig.


"Nur beim Kochen gab es Konfliktpotenzial"

Anna R. und Felix R. haben zehn Jahre lang auf 35 Quadratmetern zusammengewohnt

Das gemeinsame Wohnen auf engem Raum ist das Geschwisterpaar aus der Steiermark von klein auf gewohnt. Mit ihren zwei anderen Geschwistern haben sich Anna und Felix R. mehrere Jahre zu viert ein Zimmer geteilt. "Das hat uns schon zusammengeschweißt. Auch wenn es hin und wieder Streit gab, weil ein Kind Ball spielen wollte und das andere mit dem Puppenhaus", erzählt Anna. Sie ist die Älteste und Felix der Drittälteste.

Für ihr Studium ging Anna nach Wien, Felix zog später bei ihr ein – in eine 35-Quadratmeter-Wohnung. Dort wohnten die beiden zehn Jahre lang zusammen. Da es eine Eigentumswohnung der Eltern ist, konnten sich die beiden Geld sparen. "Es war immer klar, dass wir uns irgendwann jeder was suchen werden. Aber einstweilen hat es für uns beide gepasst." Die Wohnung bestand aus einer Küche und einem großes Zimmer, in dem beide in einem Hochbett schliefen. Das habe sie in vielem geschult, sagt Felix. "Wir können immer gut schlafen, auch wenn es noch hell ist, weil zum Beispiel der andere länger gelesen hat." Aber auch darin, aufmerksam zu sein und Rücksicht zu nehmen. "Wenn man bemerkt hat, dass der andere sich schlaflos herumwälzt, hat man dann doch das Licht ausgeschaltet."

Die Geschwister Felix R. (30) und Anna R. (34).
Foto: privat

Im Haushalt haben sie sich die Aufgaben aufgeteilt "und uns am Riemen gerissen, dass wir hin und wieder einen gemeinsamen Großputz machen", sagt Felix. Einen großen Streit habe es nie gegeben, sagen die beiden. "Wir haben ähnliche Vorstellungen vom Leben und Wohnen. Das ist eine gute Basis. Außerdem sprechen wir Dinge, die uns stören, sofort an, und zwar ohne am anderen herumzunörgeln." Nur ein Konfliktpotenzial habe es gegeben: Felix hat den Hang zum aufwendigen Kochen, bei Anna muss es schnell gehen. "Wenn ich sehr hungrig war, musste ich mich verziehen, sonst hätte es schon sein können, dass wir streiten."

Für ihre Partner habe die Wohnkonstellation immer gepasst. "Sie haben sich auch gut verstanden und es nicht problematisch gefunden, wenn wir einmal zu viert in der Wohnung übernachtet haben", erzählt Anna. Da sie denselben Freundeskreis hatten, waren auch Einladungen kein Problem. Auch zu Konzerten oder ins Theater seien sie häufig zusammen gegangen. Was die beiden aber nicht teilen, sind ihre Hobbys. Anna geht gerne klettern, Felix fährt Einrad.

Vergangenes Jahr, bevor Österreich in den Lockdown gegangen ist, sind die beiden schließlich mit ihren Partnern zusammengezogen. Felix wohnt mittlerweile in Deutschland. Anna wohnt bei ihrem Freund, sie erwarten ein Kind.


"Er war mein Ersatzpapa"

Zwischen Katharina und Paul Morocutti liegen 19 Jahre Altersunterschied

Als seine Schwester Katharina zur Welt kam, war Paul 19 Jahre alt. "Da war ich gerade im Maturamodus, und mich hat überhaupt nicht interessiert, dass ich eine kleine Schwester habe." Das sollte sich bald ändern.

Als Katharina drei war, zog Paul nach Wien, kam aber an den Wochenenden nach Kärnten und unternahm viel mit seiner Schwester. "Ich kann mich noch genau erinnern, wie er mit seinem Motorrad vorgefahren ist", erzählt Katharina. Paul hat ihr schwimmen beigebracht. Als sie älter war, nahm er sie mit ins Gasthaus und zu seinen Freunden. "Das war für mich ein Highlight. Ich habe mich so mit ihm verbunden gefühlt", sagt Katharina.

Die Kärntner Geschwister Katharina (24) und Paul Morocutti (43) sind 19 Jahre auseinander. Für Katharina war ihr großer Bruder deshalb eher wie ein Vater.
Foto: Ferdinand Neumüller

Mit 17 – ihr Bruder wohnte mittlerweile wieder in Kärnten in einem Haus – zog Katharina kurzerhand zu ihm und seiner Freundin. "Da bin ich aufgeblüht", erzählt die junge Frau. "Pauli hat mich in schwierigen Situationen unterstützt, und dadurch ist unsere Beziehung noch enger geworden." Paul half seiner Schwester bei Schulaufgaben und beim Lernen für den Führerschein. "Er war mein Ersatzpapa." Und auch er hatte väterliche Gefühle. "Das war so eine Art Schutzauftrag. Ich wollte natürlich, dass es meiner Schwester gut geht."

Nicht selten hielten andere sie tatsächlich für Vater und Tochter – später dann auch für ein Liebespaar. "Die Blicke der Leute waren oft sehr irritierend, aber wir hatten unseren Spaß damit", sagt Katharina. "Pauli fand es lustig, dass die Leute wirklich geglaubt haben, dass er so eine junge Freundin hat."

Inzwischen wohnt Katharina in Wien. "Wir haben aber noch immer regen Kontakt, und ich komme gerne zu ihm, seiner Frau und seinen beiden Buben nach Kärnten."

Trotz des guten Verhältnisses gibt es aber auch Auseinandersetzungen, die die beiden nicht unerwähnt lassen wollen. Durch den großen Altersunterschied sind es keine typischen Geschwisterstreitigkeiten, sondern eher Themen, die man sonst mit seinen Eltern austrägt. Zum Beispiel war Paul der Meinung, Katharina solle nach dem Bachelorstudium noch einen Master machen – sie aber wollte arbeiten. "Mein Bruder tut manchmal so, als wisse er viel besser, was für mich und mein Leben gut ist", sagt Katharina. Aber auch wenn sie sich hin und wieder ärgert, weiß sie: "Er will ja nur das Beste für mich."


"Es war ein Blick in ein vertrautes Gesicht"

Susi und Sonja erfuhren erst mit 40, dass es Halbschwester Stefanie gibt

Mehr als vier Jahrzehnte haben Susi und Sonja nicht gewusst, dass sie eine jüngere Halbschwester haben. Als sie vor circa sechs Jahren von Steffi erfuhren, sei das zunächst "natürlich ein Schock" gewesen, sagen die Schwestern. Aber ihnen war gleich klar: Sie wollen sie so schnell wie möglich kennenlernen.

Susi (48), Steffi (41) und Sonja (52): Drei Schwestern die glücklich sind, einander gefunden zu haben.
Foto: privat

Via E-Mail nahmen sie Kontakt auf und verabredeten sich. Vor dem Treffen im Alten AKH in Wien war die Aufregung zunächst groß. "Aber dann hat es sich gleich so angefühlt, als wäre die Steffi immer schon eine von uns", sagt Sonja. Ab diesem Zeitpunkt an war Steffi eine Freundin, eine Vertraute, die Dritte im Bunde. Als wäre es nie anders gewesen.

Die optische Ähnlichkeit zwischen den Frauen ist groß. "Als ich Steffi angeschaut habe, war das ein Blick in ein Vertrautes Gesicht", sagt Sonja. Aber nicht ihr Äußeres, auch ihr Charakter ähnle sich, sagen die Frauen. Obwohl sie einander jahrelang nicht kannten, haben sie ähnliche Interessen: Sie sind alle drei frankophil und waren mehrere Monate in Paris, sie mögen Pferde und haben sogar gemeinsame Freunde. "Wir haben auch dieselbe Art zu reden. Wenn ich mit Steffi rede, ist es, als würde ich mit der Sonja telefonieren", sagt Susi. Sie fühle sich Steffi sehr verbunden und für sie ist es schade, dass sie nicht schon früher von ihr gewusst hat. "Wir hätten 40 Jahre lang zu dritt sein können."


"Wir haben beide einen Zwilling"

Maria und Raoul sind seit sechs Jahren ein Paar und davon überzeugt, dass ihre Zwillinge ihre Beziehung nur noch besser machen

Dass sie beide einen Zwilling haben, war mit ein Grund dafür, warum eine gemeinsame Freundin Maria und Raoul einander vorgestellt hat. Und einer, warum sie sich so gut verstehen, vermuten die beiden. "Weil wir wissen, wie es sich anfühlt, noch eine Person zu haben, mit der man eine besondere Beziehung hat. Wir sind nicht eifersüchtig", erklärt Raoul.

Für sie sei es aber auch sonst ein großer Gewinn, eine Zwillingsschwester zu haben, sagt Maria. "Man ist immer zu zweit, hat eine Verbündete. Wir haben alles im Team machen können, einander geholfen." Wenn die eine zum Beispiel nicht aufessen konnte, hat das die andere für sie erledigt. Dass die optische Ähnlichkeit zu Schwester Sonja nicht sehr groß ist, sieht sie als Vorteil. Sie seien dadurch nie in direkter Konkurrenz gestanden.

Das sagt auch Raoul: "Dadurch, dass mein Bruder Kevin und ich keine eineiigen Zwillinge sind, haben wir nie unsere Individualität verloren." Die Brüder, die ihre Bildungslaufbahn ab dem Kindergarten zusammen absolviert haben, teilten sich vieles auf. "Da hat halt nur einer das englische Buch gelesen und es dem anderen erzählt."

Kevin, Sonja, Maria und Raoul (alle 33) bei einem Treffen in Vor-Corona-Zeiten. Die Zwillingsschwestern haben heute, am Weltgeschwistertag, Geburtstag. Wir gratulieren!
Foto: privat

Die Beziehung zu einem Zwilling sei anders, enger, sagen auch ihre Geschwister. "Mit unseren Brüdern teilen wir viel weniger. Maria und ich haben die gleichen Überzeugungen", erzählt Sonja, Marias Schwester. Und Kevin, der Bruder von Raoul: "Mit einem Zwilling hat man so viele geteilte Erinnerungen wie sonst mit niemandem. Man muss oft nur ein Wort sagen, und der andere weiß schon, was man meint."

Mittlerweile wohnen Maria und Raoul in einem anderen Land als ihre Geschwister. Die Distanz habe zunächst gutgetan, weil jeder seine eigenen Erfahrungen machen konnte. Für Kevin bedeutete das, Verantwortung zu übernehmen, "weil ich mich früher oft auf den Raoul verlassen habe". Für Maria, Eigenschaften an sich zu entdecken, die davor eher ihrer Schwester zugeordnet wurden. "Zum Beispiel fand ich es gut, im Studium einmal die Organisierte und Disziplinierte sein zu können." Trotzdem geht ihr ihre Schwester ab, vor allem jetzt, da beide Kinder haben. Früher haben sie sich ausgemalt, sie würden einmal mit ihren Familien in einem großen Haus zusammenleben. (Lisa Breit, 10.4.2021)