Pflegerinnen aus Osteuropa haben oft mit mangelnder Wertschätzung und entsprechend schlechten Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

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Pflegerinnen aus Osteuropa zählen zu jenen Berufsgruppen, die während der Corona-Pandemie immer wieder beklatscht wurden. Im Alltag haben sie aber oft mit mangelnder Wertschätzung und entsprechend schlechten Arbeitsbedingungen zu kämpfen, wie nun erneut eine Studie zeigte.

Die Live-in-Pflege, bei der Betreuungskräfte mit ihren Klienten unter einem Dach leben, ist als tragende Säule des Sozialsystems fest etabliert: 33.000 Menschen nahmen diese im Jahr 2020 in Anspruch. Sie verspricht, den Wunsch zu erfüllen, im eigenen Heim gut umsorgt alt werden zu können.

Staat oder Familie?

Was sie nicht zu gewährleisten vermag, sind gute Arbeitsbedingungen für die größtenteils weiblichen Betreuerinnen aus Osteuropa. Zu diesem Schluss kam die Soziologin Brigitte Aulenbacher von der Johannes-Kepler-Universität Linz, die gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz das Feld der über Agenturen vermittelten 24-Stunden-Pflege analysierte. In dem Buch "Gute Sorge ohne gute Arbeit" haben die Forscher ihre Erkenntnisse zusammengefasst.

Das zunehmend verbreitete Modell basiert auf der Annahme, die Betreuung älterer Menschen sei weniger Aufgabe des Wohlfahrtsstaates, sondern liege in erster Linie in der Zuständigkeit der Familie. Die Fürsorge zu Hause ist zur käuflichen Dienstleistung geworden, die in Österreich vornehmlich von selbstständigen Arbeitskräften erbracht wird. Das Selbstständigenmodell untergräbt zum Teil jedoch faire Arbeitsbedingungen, wie die Forscher in etlichen Gesprächen erfuhren.

Arbeitszeit und Ruhephasen

Haushalte sind mit die schwierigsten Arbeitsplätze, Arbeitsschutzbestimmungen greifen hier weniger. "Die alltäglichen Arbeitsbedingungen liegen hierzulande vor allem in Händen der Betreuerinnen und der Haushalte, Absprachen sind das Ergebnis individueller Aushandlung", sagt Aulenbacher.

Da die 24-Stunden-Betreuung permanente Verfügbarkeit suggeriert, birgt sie oft Konfliktpotenzial. "Die Arbeitszeit von der Ruhezeit abzugrenzen ist eine der größten Herausforderungen", sagt die Forscherin.

Während vielen Beteiligten bewusst ist, dass es Pausen braucht und niemand tagesfüllend durcharbeiten kann, kennt die Soziologin auch andere Erzählungen. Es sind Fälle, in denen Pflegerinnen nach getaner Betreuung aufgefordert werden, Gartenarbeit zu erledigen oder in landwirtschaftlichen Betrieben am Hof mitzuhelfen.

Solche Reibungspunkte ließen sich vermeiden, wenn sich Pflegekräfte eine Unterkunft abseits der Haushalte leisten könnten. "Mit den bezahlten Gehältern und den österreichischen Lebenshaltungskosten ist das aber nicht erschwinglich", sagt Aulenbacher. Pro Tag erhalten die Betreuenden im Schnitt zwischen 65 und 85 Euro. Davon müssen Sozialversicherung und teilweise auch die Reisekosten bezahlt werden.

Wirtschaftliche Not

Organisiert wird die Live-in-Betreuung hierzulande zum Gutteil durch 950 bei der Wirtschaftskammer registrierte Agenturen. Sie werben Arbeitskräfte teilweise über Partneragenturen in den Herkunftsländern an und vermitteln sie im Rahmen einer Bedarfserhebung.

Wie das Forscherteam feststellte, verschieben sich die Orte der Rekrutierung. "Wenn es Alternativen in den Herkunftsländern gibt, nimmt die Zahl der Betreuerinnen ab", sagt Aulenbacher zusammenfassend. Aufgrund der Wirtschaftsentwicklung finden sich in der Slowakei im Raum um Bratislava kaum noch Menschen, die der anstrengenden Arbeit nachgehen wollen.

In Reaktion darauf gehen Agenturen Richtung Osten, wo Menschen größerer wirtschaftlicher Not ausgesetzt sind. Genau das ist die vorrangige Motivation, in den Betreuungssektor zu gehen. Beim Festlegen der Rahmenbedingungen eines Arbeitsverhältnisses bildet diese finanzielle Zwangslage eine schlechte Verhandlungsbasis.

Schwarze Schafe

Vielen Betreuungskräften ist zudem nicht bewusst, dass sie ein Gewerbe anmelden müssen, sie rechnen mit einer Anstellung. Sich vom Ausland aus umfassend über die Bedingungen zu informieren sei oft schwierig. Zwar bieten viele Agenturen gute Informationen, allerdings gibt es in der Branche auch immer wieder Kritik an schwarzen Schafen.

Heute stammen die meisten Live-in-Pflegerinnen aus Rumänien, knapp 29.000 sind hierzulande als selbstständige Personenbetreuerinnen registriert. Insgesamt arbeiten 62.000 Betreuerinnen in der Sparte, meist teilen sich zwei Kräfte eine Arbeitsstelle. Pflegebedürftige oder ihre Angehörigen müssen dafür monatlich rund 2500 Euro aufbringen. Wie das Soziologenteam berechnete, setzt die Branche jährlich etwa 990 Millionen Euro um.

Da immer mehr Vermittler auf den rasch wachsenden und umkämpften Markt drängen, ist das Feld stark in Bewegung. Pflegekräfte organisieren sich zunehmend in eigenen Interessengemeinschaften und vernetzen sich über soziale Netzwerke wie Facebook, wo Austausch und Beratung stattfinden.

Daneben wird seitens der Agenturen an Zertifikaten gefeilt, die Arbeitsbedingungen sind dabei jedoch selten ein Thema. Auch das staatliche Gütesiegel stellt primär die Qualität der Vermittlung und der weiteren Dienstleistungen ins Zentrum.

Faire Zusammenarbeit

Eine Entschärfung der prekären Situation erfordert laut Aulenbacher einen umfassenden Blick auf die gesamte Pflege- und Betreuungsinfrastruktur. "Nur an einer Stelle zu justieren wird nicht reichen", sagt sie. Oft werde die Live-in-Pflege in Anspruch genommen, da andere Angebote – wie mobile Pflegedienste oder betreutes Wohnen – fehlen.

Darüber hinaus brauche es Formen fairerer transnationaler Kooperation. Das bestehende Wirtschafts- und Wohlfahrtsgefälle mache es den Agenturen, die über niedrige Preise konkurrieren, leicht, Arbeitskräfte zu finden, die zu enorm schlechten Konditionen arbeiten.

Überrascht hat die Forscher, dass viele Seiten das Angestelltenmodell zur Sprache brachten. Wer die Träger dieses Modells sein könnten, ist eine offene Frage. Nach derzeitiger Rechtslage könnte die Anstellung nicht von Vermittlungsagenturen übernommen werden.

"Aktuell wären die Haushalte in der Pflicht, was diese möglicherweise überfordern würde. Als andere Option könnten die Wohlfahrtsträger Anstellungen vornehmen", sagt die Soziologin. (Marlene Erhart, 12.4.2021)