Knapp 50 Jahre nach Ende des Apollo-Programms der US-Raumfahrtagentur Nasa machen sich Raumfahrer wieder auf dem Weg zum Mond – diesmal unterstützt durch all die neuen Technologien, die in der Zwischenzeit die Digitalisierung gebracht hat. Gleichzeitig brechen unter dem Schlagwort New Space auch private Unternehmen in den Weltraum auf.

Im Mondorbit entsteht eine Raumstation als Ausgangspunkt für bemannte Mondlandungen. Technik dafür kommt auch aus Österreich.
Illustration: Nasa

Neben neu entwickelten Landemodulen, Orion-Raumkapsel und Hightech-Raumanzügen wird ein zentrales Element der nun in Vorbereitung befindlichen Nasa-Mission Artemis, die frühestens 2024 wieder Menschen auf den Mond bringen soll, auch eine Raumstation im Mondorbit sein.

Dieses sogenannte Lunar Gateway wird in einem ersten Ausbauschritt aus einem minimalen Wohnmodul sowie aus dem Power and Propulsion Element (PPE) bestehen, das Solarkollektoren, einen elektrischen Antrieb, Kommunikationstechnologie und andere grundlegende Infrastruktur aufnimmt.

Künftig könnten zudem ein größeres Wohnmodul, ein Roboterarm, eine Betankungsmöglichkeit und andere Einrichtungen am Lunar Gateway dazukommen. Die langfristig ausgelegte Mond-Forschungsinfrastruktur soll die Raumfahrt zudem auf einen bemannten Flug zum Mars vorbereiten.

Raumfahrttechnik von der Stange

Mit der neuen Raumfahrtoffensive verändert sich auch, wie die technologischen Lösungen dafür gedacht werden. Lange Zeit war jedes System, das ins All geschickt wurde, eine Spezialanfertigung, die allein für den intendierten Zweck nutzbar war. Das ändert sich gerade. Die Raumfahrtindustrie tüftelt heute an einer Technik, die modular aufgebaut, hochgradig Standardisiert, flexibel und für jede mögliche Anwendung skalierbar ist.

"Die Modularität der Systeme spielt heute in den verschiedensten Bereichen der Raumfahrttechnologie eine große Rolle", resümiert Kurt Doppelbauer, der als Vizepräsident für den Bereich Geschäftsentwicklung in der Aerospace-Sparte von TTTech tätig ist. Der auf Netzwerkplattformen und Sicherheitssteuerungen spezialisierte Konzern, der 1998 als Spin-off der TU Wien startete, hat jene Technologie entwickelt, die zum Standard für die internen Datennetzwerke moderner Raumfahrzeuge avancierte.

Sie wurde bereits in der Orion-Raumkapsel verbaut und kommt nun auch bei den anderen Bestandteilen der Artemis-Mission zum Einsatz. Auf der Erde werden Varianten davon in Luftfahrt, Industrie oder hochautomatisierten Fahrzeugen eingesetzt.

Illustration eines Orion-Raumfahrtzeugs beim Anflug auf die Raumstation Lunar Gateway.
Illustration: Nasa

Beliebig erweiterbar

Für das Lunar Gateway liefert TTTech gemeinsam mit dem Raumfahrtzulieferer Ruag Space Austria nun auch eine Umsetzung der Technologie für die Raumfahrt. Damit wird das "zentrale Nervensystem" der Raumstation um den Mond also aus Wiener Laboren in Wieden und Meidling kommen.

Das sogenannte TTEthernet (Time Triggered Ethernet) kann man sich als ein Heimnetzwerk vorstellen, das auf die Erfordernisse der bemannten Raumfahrt zugeschnitten ist. "Dieses zentrale Netzwerk schickt Kommandos an den Antrieb der Raumstation genauso wie vielleicht einen Videostream an den Monitor des Astronauten", veranschaulicht David Jelem, der bei TTTech für das Lunar-Gateway-Projekt zuständig ist.

Gleichzeitig organisiert das System nach einem Andocken ganz automatisch den Datenverkehr zwischen den einzelnen Modulen der Station und ist beliebig erweiterbar.

Damit sicherheitskritische Daten, die keinesfalls verlorengehen dürfen, gemeinsam mit nichtsicherheitskritischen Daten ein gemeinsames Netz teilen können, ist eine spezielle Technologie nötig. In früheren Systemen – etwa dem Bordnetz der Internationalen Raumstation ISS – werden diese Daten in zwei getrennte Netze aufgeteilt. TTEthernet, das gemeinsam von Nasa, TTTech und anderen Vertretern der Weltraumindustrie 2011 in einem Space Act Agreement zu einem offenen Industriestandard gemacht wurde, funktioniert aber anders.

Ausgehandelte Zeitleiste

Alle kritischen Befehle werden hier anhand einer im Vorhinein ausgehandelten Zeitleiste deterministisch abgearbeitet, was bedeutet, dass jeder Sender und Empfänger weiß, wann er eine Nachricht senden oder erwarten muss. "Dieser vordefinierte Zeitplan stellt eine zuverlässige Übertragung sicher, die keine Datenkollisionen erlaubt", resümiert Jelem.

Hardwaretechnisch wird die Technologie als sogenannte anwendungsspezifische integrierte Schaltung (ASIC) umgesetzt, also als ein Chip, der extra für diese konkrete Aufgabe designt wird. Eine spezielle Produktionstechnik der Chips samt abschirmender Keramikhülle sowie umfassende Test- und Qualitätssicherungsmaßnahmen sollen die Elektronik auf ihren bisher einzigartigen Langzeiteinsatz in den Tiefen des Weltraums, wo die Strahlungsbelastung noch viel intensiver als im Erdorbit ausfällt, vorbereiten.

Bei der Gestaltung des Netzwerks als Deep-Space-sichere Hardware kommt die Ruag ins Spiel. Dort werden die Spezialchips nebst weiteren Systemkomponenten und Elektronikbauteilen auf Platinen gepackt und in Modulen assembliert. Bevor das System 2022 dem US-Raumfahrtfertiger Maxar, der das gesamte PPE baut, übergeben werden kann, stehen noch Designverbesserungen und eine umfassende Qualifikationskampagne an.

Die Technologie muss Hitze, Kälte, starken Vibrationen, den Lasten eines Raketenstarts und den Bedingungen im Vakuum widerstehen. Eigene Simulationen befassen sich mit der Beständigkeit gegenüber Strahlung, erklärt Adrian Girschik, der das Projekt bei Ruag Space Austria leitet.

Einfach erweiterbar

Aufbau und Flexibilität der Computermodule sind dabei so gestaltet, dass Astronauten das Bordsystem einfach um neue Computersysteme erweitern können. "Die Gehäuse, die wir bauen, können vier Module aufnehmen und verfügen über zwei getrennte Stromversorgungen, sodass ein Totalausfall unwahrscheinlicher wird", sagt Girschik.

"Durch den erweiterbaren, modulare Aufbau lassen sich die Systeme leicht an die Kundenanforderungen anpassen." Mit der Strategie kommt für Ruag-Geschäftsführer Andreas Buhl auch das Thema einer Serienfertigung für die Raumfahrt in Reichweite: "Wenn die Kernelemente hochgradig Standardisiert sind, können die Komponenten vergleichsweise günstig in den verschiedensten Kontexten zum Einsatz kommen." Ein Ansatz, der der Expansion der Raumfahrt in den kommenden Jahrzehnten einen enormen Schub verleihen könnte. (Alois Pumhösel, 11.4.2021)