Zwei Sessel, drei Personen.

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Ankara – Die Sitzordnung bei dem Treffen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und der EU-Spitze in Ankara hat in sozialen Medien für Irritationen und Kritik gesorgt. Während für EU-Ratspräsident Charles Michel ein großer Sessel neben dem türkischen Staatschef reserviert war, bekam EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei dem Gespräch am Dienstag einen Platz auf einem Sofa in einiger Entfernung von Erdoğan und Michel zugewiesen.

Dort saß sie dem türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu gegenüber, der ebenfalls an dem Gespräch teilnahm. Von der Leyen reagiert in dem Video sichtlich pikiert auf die Situation. Während Michel und Erdoğan Platz nehmen, ist die Kamera auf sie gerichtet, zu vernehmen ist ein erstauntes "Ähem!", aber kein Protest.

Kritisiert wird für seine Reaktion auch Michel. Er nahm auf die Situation überhaupt keinen Bezug, sondern setzte sich schlicht auf den ihm zugewiesenen Sessel. Er hätte die Angelegenheit durchaus zur Sprache bringen oder auch seinen Sessel von der Leyen anbieten können, heißt es nun. Aus dem Büro von Michel verlautet gemäß Berichten der Plattform "Politico" allerdings, es sei bei dem Treffen ohnehin alles mit rechten Dingen zugegangen. Der Ratspräsident sei in der internen Rangordnung der EU über der Kommissionschefin angesiedelt. Michel sei daher das korrekte Gegenüber für Erdoğan gewesen.

Michel wollte Eklat vermeiden

Von der Leyen wies nun ihre Mitarbeiter an, alle beteiligten Parteien zu kontaktieren, die an der Planung des Treffens beteiligt gewesen seien. Ziel sei es, die Ursachen zu verstehen, die Position der EU-Kommission "klar zu erläutern" und zu verhindern, "dass sich solche Vorfälle in der Zukunft" wiederholen, sagte ein Sprecher der Kommissionschefin.

Michel erklärte am späten Abend, dass er die Situation als bedauerlich empfunden habe. Er und Ursula von der Leyen hätten vor Ort entschieden, die Sache nicht durch einen öffentlichen Eklat noch schlimmer zu machen, schrieb Michel auf Facebook. Stattdessen habe man die Substanz der politischen Diskussion in den Vordergrund gestellt.

Thema Frauenrechte

Unter anderem auf Twitter wurde danach daran erinnert, dass der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei Treffen mit Erdoğan auf Augenhöhe sitzen durfte. Besonders auffällig ist die Angelegenheit, weil von der Leyen in der Diskussion auch die zunehmenden Verschlechterungen der Lage von Frauen in der Türkei ansprechen wollte.

Die EU-Kommission ging dennoch nicht direkt auf die Angelegenheit ein. Dort wurde darauf verwiesen, dass von der Leyen das Treffen mit Erdoğan genutzt habe, um mit ihm eine lange und sehr offene Diskussion über Frauenrechte und den Rückzug der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen und Kinder vor Gewalt zu führen. Daran, dass die EU-Spitze Erdoğan in dieser Weise hofiert, hatte es bereits vor dem Besuch deutliche Kritik gegeben.

Ähnliche Protokollvorfälle hatten schon in der Vergangenheit mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Unter anderem hatte es in der Türkei selbst massive Kritik gegeben, als der türkische Botschafter in Israel 2010 auf einem Sofa platziert wurde, das deutlich niedriger als der Sessel des damaligen stellvertretenden Außenministers Danny Ayalon war. Russlands Präsident Wladimir Putin brachte 2007 seinen Hund zu einem Treffen mit Angela Merkel mit – von der weithin bekannt ist, dass sie Hunde fürchtet. (red, APA, 7.4.2021)