Múte Inequnaaluk Bourup Egede dürfte nächster Regierungschef in Nuuk werden.

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In der nördlichsten Hauptstadt der Welt könnte bald schon einer der jüngsten Regierungschefs des Planeten für frischen Wind sorgen. Gut möglich, dass dieser von links her wehen wird: Der 34-jährige Múte Egede, Vorsitzender von Grönlands Inuit-Ataqatigiit-Partei, ist drauf und dran, die Geschicke der Rieseninsel zu lenken. Gerade einmal 9.900 Stimmen reichten in dem 56.000-Einwohner-Land von der sechsundzwanzigfachen Größe Österreichs für 37 Prozent der Stimmen und zwölf Parlamentssitze bei der vorgezogenen Wahl, die am Dienstag abgehalten wurde.

Die das Land seit seiner Autonomie von Dänemark 1979 fast durchgehend regierende sozialdemokratische Siumut-Partei von Ministerpräsident Kim Kielsen landete mit 29 Prozent und zehn Mandaten auf Platz zwei. Für die Mehrheit in dem 31 Sitze umfassenden Inatsisartut, dem Parlament in der Hauptstadt Nuuk, braucht Egede einen Koalitionspartner – diesen zu suchen wird seine erste Aufgabe sein.

Eine Option könnte die Partei Naleraq sein, die eben jene vier Sitze erringen konnte, die Egede zur Mehrheit im Inatsisartut fehlen. Naleraq, die 2014 vom Siumut-Dissidenten und ehemaligen Regierungschef Hans Enoksen gegründet wurde, kritisiert zwar ebenfalls den Bergbau, gilt aber aktuell als weit rabiater in ihrem Separatismus als Egedes Partei. Theoretisch könnten auch die sozialliberalen Demokraatit (drei statt bisher sechs Mandate) und die konservative Atassut Egede die nötigen Mandate verschaffen.

Schon drei Jahre lang Minister

An Erfahrung mangelt es dem künftigen Premier trotz seines geringen Alters jedenfalls nicht. 2015 nahm er erstmals im grönländischen Parlament Platz, nachdem er das grönländische Mandat im Kopenhagener Folketing knapp verpasst hatte. Die Partei, die sich zu Deutsch "Gemeinschaft der Menschen" nennt und sich den demokratischen Sozialismus auf die Fahnen heftet, übernahm er 2018 – und führte sie nach Jahren in der Opposition prompt auf Platz eins. Zuletzt gelang dies seinem Vor-Vorgänger Kuupik Kleist, der bisher als einziger Nicht-Siumut-Politiker die Regierung führte. Zuvor, 2016 bis 2018 nämlich, diente Múte Egede als Minister im Kabinett Kielsen.

Der verheiratete Vater einer Tochter hatte vor der Wahl einen strikten Kurs gegen die geplante Uranausbeutung im Bergbaugebiet Kvanefjeld eingeschlagen. Während Inuit Ataqatigiit zu Beginn primär die Unabhängigkeit Grönlands von Dänemark zum Ziel hatte, adaptierte die Partei in den vergangenen Jahren ihren Separatismus: Erst müsse die Insel wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen, dann könne man mit Kopenhagen zu verhandeln beginnen.

Dem Nachnamen des künftigen Ministerpräsidenten wohnt in Grönland freilich ein ganz eigener Hall inne: Hans Egede galt im 18. Jahrhundert als einer der Gründerväter der europäischen Kolonisierung der abgelegenen Insel im Polarmeer. Der norwegisch-dänische Pfarrer galt als "Apostel der Grönländer" und verschrieb sich der Missionierung seiner Bewohner.

Umweltrisiken im Fokus

Múte Egede hingegen bewegt sich, was die Unabhängigkeit Grönlands betrifft, ganz auf Parteilinie: erst Entwicklung, dann Abspaltung. Kvanefjeld, das einem australisch-chinesischen Bergbauunternehmen gehört, könnte zwar die dafür nötigen Devisen in den Nuuker Staatssäckel spülen, berge aber immense Risiken für die Umwelt. Neben Uran wird dort auch eines der größten Seltene-Erden-Depots der Welt vermutet, vor allem Neodym hat das Interesse ausländischer Konzerne geweckt, das Metall wird nicht nur für Windturbinen und Elektroautos gebraucht, sondern auch für Kampfjets.

Das Thema Kvanefjeld spaltet seit Jahren nicht nur die grönländische Gesellschaft, die vor allem an der milderen Westküste in fünf Gemeinden lebt. Auch der damalige US-Präsident Donald Trump wurde 2019 hellhörig, als ihm die Bedeutung der Seltenen Erden Grönlands nahegebracht wurden. Kurzerhand bot er Kopenhagen, das die Insel einst kolonisiert hatte und bis heute einen Gutteil der Staatsfinanzen stellt, einen Kauf des Eilands an – vergebens.

Die bisher regierende Koalition aus Siumut, den pro-dänischen Demokraten und einer kleinen Unabhängigkeitspartei war neben dem Streit um Kvanefjeld auch wegen Konflikten und Skandalen in der bisher größten Regierungspartei Siumut gescheitert. Die Neuwahlen könnten nun dem Bergbauprojekt, das von der alten Regierung noch zaghaft grünes Licht bekommen hatte, den Garaus machen. (flon, 7.4.2021)