Wien-Donaustadt hat wahrscheinlich viele bezaubernde und ruhige Plätze zu bieten. Der Wohnbau, in dem eine 78-jährige Angeklagte mit einer Nachbarin im Clinch liegt, gehört aber eher nicht dazu.

Foto: Robert Newald

Wien – Gelegentlich schwappt die Heiterkeit des Bezirksgerichts auch ins Landesgericht über. Das ist nämlich die Berufungsinstanz, wenn Angeklagte mit der Entscheidung des Bezirksgerichts nicht einverstanden sind. So wie die 78-jährige Elisabeth B., die ihre teilbedingte Geldstrafe für die Körperverletzung einer Nachbarin nicht akzeptiert.

Vorsitzender Ulrich Nachtlberger muss mit seinen Kolleginnen Sonja Höpler-Salat und Sonja Weis nun also beurteilen, ob die untere Instanz einen Fehler gemacht hat. Der Senat tut dies im Egon-Schiele-Saal des Landesgerichts für Strafsachen Wien. Der mit dem Künstler übrigens nur indirekt zu tun hat, obwohl die Kopie seines Selbstbildnisses an der Wand hängt. Wie man dem Innenministeriumsmagazin "Öffentliche Sicherheit" im Jahr 2012 entnehmen konnte, geht es in Wahrheit um den Richtertisch.

Der sollte eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg verschrottet werden, ein Richter wollte das schöne Möbelstück aber retten und behauptete, vor diesem Holztisch habe sich Schiele bei seinem Prozess in Neulengbach verantworten müssen. Das Möbel wurde im Landesgericht aufgestellt und gab dem Saal, in dem Frau B. nun sitzt, seinen Namen.

Nachbarschaftsstreit in Transdanubien

Zunächst fasst Beisitzerin Weis das bisherige Verfahren und die Urteilsbegründung vom 5. November zusammen. Es geht um einen offenbar ausgeprägten Nachbarschaftsstreit in Transdanubien, der am 21. Jänner 2020 eskaliert sein soll. Die Angeklagte habe in der Vergangenheit mit dem "lauten und ausgelassenen Verhalten" der Kinder von Nachbarin K. immer wieder ein Problem gehabt. Umgekehrt sah offenbar K. ein Risiko darin, dass die 78-Jährige ihren Hund im Stiegenhaus nicht an der Leine und nicht mit Beißkorb führte.

So soll es auch bei der Rückkehr vom Gassigehen am Tattag gewesen sein. Frau K. zückte also ihr Mobiltelefon und filmte das Vergehen. Das Erstgericht hat die Aufnahmen noch begutachtet, die Berufungsinstanz vertraut darauf, dass tatsächlich "ordinäre Beschimpfungen" durch Frau B. zu hören seien. Auch eine "ausholende Handbewegung" der Pensionistin erkannte der Richter im ersten Prozess.

Schmerzen, aber keine sichtbaren Verletzungen

Frau K. behauptet, die Angeklagte habe sie entweder mit der Leinenrolle oder der Faust auf den Kopf geschlagen. Genau will die jüngere Frau es nicht gesehen haben, da sie die Hände zum Schutz vor ihren Kopf hob. Sichtbare Verletzungen trug sie laut gerichtsmedizinischem Gutachten keine davon, klagte aber über Schmerzen, die durchaus von einem Schlag herrühren könnten.

"Ich habe sie nicht geschlagen, weder mit der flachen Hand und erst recht nicht mit der Faust!", stellt Angeklagte B. nun klar. "Das ist von Anfang bis Ende eine erfundene Geschichte. Frau K. will nur, dass ich und der Hund aus dem Haus verschwinden", ist sie überzeugt.

Sie kann Nachtlberger auch noch ein Detail verraten, das sie im ersten Verfahren nicht erwähnt hat. "Der Grätzelpolizist hat mir erzählt, dass die Frau K. erst zu einer anderen Polizeiinspektion gegangen ist und mich anzeigen wollte. Der dortige Polizist hat ihr aber gesagt, ohne Beweise kann er nichts machen. Da ist sie wutentbrannt davongelaufen und ein paar Stunden später zu einer anderen Polizeiinspektion gegangen", behauptet die Angeklagte.

Stiegenhausgespräch mit Grätzelpolizisten

Vor der Beratung des Gerichts ergänzt die unbescholtene, großmütterlich wirkende Angeklagte im Stehen noch etwas, ehe sie den Saal verlässt. "Es gab auch einmal ein Stiegenhausgespräch. Da haben die anderen Parteien sich auch aufgeregt. Ich bin damals die Dritte gewesen, die endlich Ordnung gefordert hat!", bezieht sie sich offenbar auf die Kindergeräusche. "Und der Grätzelpolizist hat bei dem Gespräch zu Frau K. gesagt: 'Wir wissen, Sie nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau.'"

Der Senat weist die Berufung dennoch ab, die Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 13 Euro, 20 Tagessätze bedingt, ist somit rechtskräftig. "Es gibt keine vernünftigen Zweifel, dass es sich so zugetragen hat", begründet Nachtlberger die Entscheidung. "Das Bezirksgericht hat ein sehr ausführliches Beweisverfahren durchgeführt, und auf dem Video von Frau K. ist der Tumult, Beschimpfungen und eine ausholende Handbewegung von Ihnen zu sehen. Wir überprüfen hier nur, ob das Erstgericht etwas vergessen hat und ob seine Begründung plausibel ist, und haben keinen Fehler entdeckt."

Es bleibt bei 520 Euro

"Darf ich was sagen?", fragt B. am Ende der Ausführungen. "Nein, die Verhandlung ist geschlossen", bescheidet der Vorsitzende, was die Angeklagte ignoriert. "Mit der Handbewegung habe ich nur gesagt: 'Da kommt eh niemand'", beteuert sie nochmals, keinen Angriff gestartet zu haben. Einfluss hat das keinen mehr, sie wird die 520 Euro bezahlen müssen. (Michael Möseneder, 7.4.2021)