Futurismus mit verdreckter Arbeiterkluft in der Oper "Solaris".

Armin Bardel

Stanisław Lems Roman Solaris ist als Inspirationslolli schon etwas abgelutscht: Der 1961 erschienene Science-Fiction-Klassiker wurde von Andrei Tarkowski und Stephen Soderbergh verfilmt, mehrmals verbühnenstückt, verhörspielt, veropert. Drei Jahre nach Detlev Glanert bei den Bregenzer Festspielen wagte sich 2015 auch Dai Fujikura in Paris an eine musiktheatralische Umsetzung des Stoffs.

Die Neue Oper Wien nahm seine Oper am Dienstagabend vor einer Handvoll getesteter Berichterstattender im Semperdepot auf und zeigt sie ab Mitte Mai kostenlos auf ihrer Homepage. Vielleicht wird die Produktion aber auch noch einmal analog zu erleben sein, wer weiß schon, was die Zukunft bringt.

In Lems Roman führt einen die Zukunft auf einen Planeten, auf dem Wissenschafter ein geheimnisvolles Meer zu erforschen versuchen. Der Psychologe Kris Kelvin trifft als irdischer Neuzugang auf der Forschungsstation auf eine geistig angeknackste Crew, ein Mitglied hat gerade Suizid begangen. Humanoide Evokationen aus dem Erinnerungsreservoir der Besatzungsmitglieder machen selbiger das Leben schwer.

Gefühle oder nachgeahmte Oberfläche

Kelvin erscheint seine Ex-Freundin Hari, die in jungen Jahren Selbstmord begangen hat. Ist sie ein Mensch oder nur ein Trugbild? Empfindet sie wirkliche Gefühle, oder ist alles an ihr nur perfekt nachgeahmte Oberfläche?

Wenn man Saburo Teshigawaras Libretto liest, denkt man sich: ojemine. Das ist ziemlich zäh, das zieht sich. Dieses ewige Hin und Her zwischen Kelvin und Hari: Liebst du mich? Oder doch nicht? Wer bin ich? Warum bin ich hier? Warum kann ich hier nicht weg? Die Musik von Dai Fujikura entspricht der bleiernen Eintönigkeit des Librettos kongenial. Der 1977 in Japan geborene Wahlbrite kreiert mal mehr und mal weniger bewegte Klangflächen, auf denen die Singstimmen ihre langen Bahnen ziehen. So weit, so öd.

Erstklassiges Mittelmaß

Was für ein Glück, dass die künstlerische Umsetzung dieser musikalisch-textlichen Mittelmäßigkeit erstklassig geraten ist: Kathrin Kemps Bühne nimmt Bezug auf das Semperdepot, dessen gusseisernen Säulenwald und dessen hölzernen Boden. Linker Hand versinnbildlicht eine silberne Welle den geheimnisvollen Ozean, mittig dominiert eine schräge spiegelnde Scheibe die Szene. Die fantastischen Kostüme von Anna-Sophie Lienbacher – kann man die wo kaufen? – kreuzen Futurismus mit verdreckter Arbeiterkluft. In Kombination mit dem stimmungsvollen Licht (Norbert Chmel) entsteht eine Stimmung, als wäre man zusammen mit den Protagonisten unter Tage, in einem dunklen Bergwerk der Erinnerungen.

Und auch Regisseurin Helen Malkowsky tut mithilfe der glänzenden Sangeskräfte ihr Bestes, die spröde Story zu verlebendigen: Timothy Connor ist ein Kelvin von viriler Präsenz, sein leichtgängiger Bariton ist wie zu nobler Geschmeidigkeit gebändigte Kraft. Simona Eisingers Sopran schillert (als Hari) quecksilbrig; Martin Lechleitner (Snaut) bietet neben Showstarqualitäten auch einen hellen, intensiven Tenor. Und Christian Kotsis bringt als Kelvin die mephistophelische Seite der Hauptfigur zu güldenem Glanz. Hinten im Eck koordiniert Walter Kobéra die Sänger und das Amadeus Ensemble Wien, wie er es seit Jahrzehnten verlässlich tut. The future is bright. (Stefan Ender, 8.4.2021)