Er wünschte sich Mozart zum Abschied: Hans Küng.

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Tübingen – Es war ein Telefonat irgendwann im Spätsommer des Jahres 2006. Der große Reformtheologe und brillante Denker Hans Küng hatte am Schreibtisch in seiner Tübinger Villa Platz genommen. Im Jogginganzug. Was man verstehen müsse, sei er doch eben vom Schwimmtraining gekommen.

Sport, speziell das Schwimmen und Skifahren, war stets die zweite große Leidenschaft von Hans Küng – neben dem schier endlosen Kampf für seine katholische Kirche. Sportlich überliefert ist diesbezüglich auch folgendes Zitat: "Manchmal muss man verzichten, um Schaden von sich abzuhalten. Nehmen Sie etwa Lance Armstrong. Was nützen ihm seine sieben Siege bei der Tour de France, wenn die Leute denken, er hat ja doch jedes Mal betrogen. Unter Umständen wäre ein einziger, echter, sauberer Sieg viel besser für ihn gewesen. Man kann nicht immer alles haben. Manchmal muss man erkennen: Hier habe ich meine Grenzen."

Zurück zum Ur-Jesus

Doch Grenzen anzuerkennen und sich im wissenschaftlichen Verzicht zu üben lässt sich in der langen Biografie des gebürtigen Schweizers nur schwer festmachen. Mit Ausdauer, Vehemenz und Intelligenz hat Küng, der mit 20 an die Päpstliche Universität in Rom ging, gegen den Fundamentalismus und den Dogmatismus in der katholischen aber auch evangelischen und orthodoxen Kirche gekämpft. Stets ging es Küng immer um den konkreten, geschichtlichen Jesus. Hier sah er die Diskrepanz mit der institutionellen Kirche. Erinnert sei an einen Kernsatz: Man stelle sich Jesus "bei einem triumphalen Pontifikalamt im Petersdom" vor. Oder bei "einer aufwendigen Staatsreise des ‚Stellvertreters‘ mit dem Papamobil".

Vor allem aber stand Küngs "Weltethos" und seine Haltung zu anderen Religionen in einem krassen Gegensatz zu Josef Ratzingers "allein seligmachender katholischer Kirche" und dessen dogmatischer Christologie. Was den Konflikt zwischen den einstigen Kollegen an der katholischen Fakultät der Universität Tübingen stets am Köcheln hielt. Küng betonte zwar immer, er wolle keinen "unversöhnlichen Gegensatz" mit Ratzinger, blieb aber im Umgang mit dem heute pensionierten Papst stets streitbar und selbstbewusst.

Auch konnte man Küng eine gewisse Eitelkeit nicht absprechen: "Wer im Neuen Testament den dogmatisierten Christus sucht, lese Ratzinger, wer den Jesus der Geschichte und der urchristlichen Verkündigung sucht, lese Küng."

Zuletzt war es jedoch um den wohl lautesten Kritiker krankheitsbedingt leise geworden. Wenn die letzte Wirklichkeit Gott sei, dann sei der Tod nicht Zerstörung, sondern Verwandlung, heißt es in Küngs Autobiografie: "Also nicht ein Enden, gar Verenden, sondern ein Vollenden, nicht eine Minderung, sondern eine Erfüllung, die unendliche Erfüllung." Am vergangenen Dienstag verstarb Hans Küng 93-jährig. (Markus Rohrhofer, 7.4.2021)