Innenminister Karl Nehmammer (ÖVP) hat die Razzia gegen angebliche Muslimbrüder im vergangenen November groß inszeniert. Seit Wochen ist davon nichts mehr zu hören.

Foto: APA/ BMI

Seit eineinhalb Jahren beschäftigt die mutmaßliche österreichische Muslimbruder-Szene die Behörden. Vergangenen Herbst mündeten monatelange Ermittlungen und tausende Observationsstunden in dutzende Hausdurchsuchungen. 30 Personen wurden danach vorgeführt und befragt, jedoch nicht festgenommen.

Seither ist der Akt zur Causa zwar auf tausende Seiten angewachsen – in den letzten Wochen jedoch vor allem um Beschwerden und Einsprüche seitens der Beschuldigten. Ansonsten scheinen die Ermittlungen in einer der größeren Kriminaloperationen der letzten Jahre nicht wirklich voranzukommen. Ein Ende ist nicht absehbar, heißt es auch seitens der Staatsanwaltschaft Graz. Um die groß aufgezogene Razzia ist es erstaunlich ruhig geworden.

Die Ermittler sind mit der Auswertung der sichergestellten Datenträger und Materialien beschäftigt. 213 Mobiltelefone, 139 Computer und 282 Datenträger wurden sichergestellt, wie aus dem Akt hervorgeht. Manche Computer und Festplatten wurden nach Beschwerden wieder an die Beschuldigten zurückgegeben, andere befinden sich nach wie vor im Besitz der Behörden. Unverständlich, meint der Rechtsanwalt eines von den Ermittlern zum Kern der Szene gezählten Beschuldigten: Die Behörden könnten das Material von Datenträgern – auch wenn sie aufgrund von nicht ausgehändigten Passwörtern noch keinen Zugang erhalten haben – spiegeln und diese zurückgeben. Verwunderung unter Verteidigern herrscht auch darüber, dass zum Teil immer noch Befragungen von Personen als Zeugen und Zeuginnen ausständig seien, die in zentralen Rollen in abgehörten Telefongesprächen vorkommen.

"Tappen im Dunkeln"

Der Grazer Wolfgang Schlegl, in der Sache als Rechtsanwalt aktiv, kann nur vermuten, warum in der Causa nichts weitergeht: "Entweder sind die Behörden mit der Menge an Daten überfordert oder kommen mit der technischen Auswertung nicht zurande, vielleicht aber haben sie zu wenig Personal dafür, oder sie hoffen noch darauf, belastendes Material zu finden, für das es bislang keine Anhaltspunkte gab", sagt der Verteidiger. Sein Kollege Andreas Schweitzer sieht die Ermittler "im Dunkeln tappen". Es seien in der Zwischenzeit keine neuen Beweise aufgetaucht. Beschwerden der Anwälte würden nur "halbherzig" behandelt, was laut Schweitzer ein Indiz dafür sein könnte, dass die Ermittler in Arbeit untergehen.

Ob strafrechtlich relevante Gegenstände gefunden wurden, will Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) im Rahmen einer parlamentarischen Anfragebeantwortung an Abgeordnete Stephanie Krisper (Neos) nicht sagen. Objekte, die gegen das Symbolgesetz verstoßen, seien nicht sichergestellt worden. Aus dem Akt jedenfalls geht hervor, dass am Tag der Razzia gegen angebliche Muslimbrüder rund 390.100 Euro an Bargeld sowie etliche Fremdwährungen sichergestellt wurden. Bei vielen Beschuldigten steht der Vorwurf der Terrorismusfinanzierung im Raum. Zumeist geht es um den Verdacht, dass über Tarnvereine an die Terrororganisation Hamas gespendet wurde. Außerdem wurden zwei vorläufige Waffenverbote ausgesprochen. Bei einem Beschuldigten wurden eine Pumpgun und zwei Pistolen samt Munition gefunden. Die Person hatte aber eine Waffenbesitzkarte.

Kanzler nicht informiert

Von den Hausdurchsuchungen waren insgesamt 130 Personen betroffen. 60 Kinder und Jugendliche waren anwesend. Das Innenministerium betont in dem Zusammenhang schonend vorgegangen zu sein, so seien Bedienstete mit besonderer Schulung im Umgang mit Kindern herangezogen worden. Ein offener Brief, den unter anderem die Bundesjugendvertretung und das Black-Voices-Volksbegehren unterzeichneten, beklagt hingegen Kinderrechtsverletzungen: So würden betroffene Kinder Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung zeigen.

Nehammer ist laut eigener Auskunft in "zeitlich unmittelbarem Vorfeld" über die Operation informiert worden. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sei im Vorfeld hingegen nicht informiert gewesen. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) teilt mit, dass sie erst aus den Medien davon erfahren habe. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, 8.4.2021)