Im Frühsommer zur Erntezeit sollte sie dann so aussehen – die Wachauer Marille. Wenn es ihr aber jetzt zu kalt ist, bildet sie den goldenen Fruchtkörper erst gar nicht aus.

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Eines vorweg: Der Autor dieser Zeilen ist nicht ganz unbefangen. Aufgewachsen in der größten Marillenanbaugemeinde Österreichs inmitten der Wachau und selbst bis heute als kleiner Nebenerwerbs-Aprikosenzüchter tätig, hat er Freud und Leid der goldenen Kugeln quasi schon mit der Muttermilch inhaliert.

Zur Freud gehört, dass diese wunderbare Frucht, die ihren nicht ganz geklärten Ursprung im heutigen Armenien oder auch im fernen Indien oder China haben könnte, einfach alles kann: Sie taugt als Obst, Saft, Schnaps, Likör, Marmelade, Kosmetika, Schmuck, Aphrodisiakum, ja wahrscheinlich sogar als Schuhcreme.

In seiner schneeweiß-rosigen Blütenpracht, die der Marillenbaum dieser Tage zeigt, erfreut das Steinobst auch als bloßes Anschauungsobjekt. In langen Blechkolonnen schieben sie sich dann durch das für den Schwerverkehr recht ungeeignete Wachauer Tal: Hobbyfotografen, Obst-Influencer und Seelenbaumler, früher, in grauer Vor-Corona-Zeit, gab es vor allem auch den gewöhnlichen, fürs G'schäft ganz wichtigen Heurigenschlucker. Dieser Art von Wachautourist braucht man denn auch gar nicht mit Nahaufnahmen von austreibenden Marillenzweigerln kommen, weil er sich eh lieber den Grünen Veltliner im Glaserl anschaut.

Wenn die Triebe frösteln

In die Wachau fand die Marille, die als Sorte Ungarische Beste auf ein weiteres großes Anbaugebiet in der Pannonischen Tiefebene verweist, vermutlich erst im 16. Jahrhundert über den Donaustrom. Obwohl sie ihre Hauptverbreitung im Mittelmeerraum hat, gefiel es ihr klimatisch auch hierzulande gut. Bislang.

Denn immer wieder – erst im letzten Seuchenjahr und leider auch heuer – droht ein ziemlicher Ernteausfall. Der Grund: Die klimawandelbedingt häufiger auftretenden ungewöhnlich frühen warmen Tage bringen die Marille dazu, früh zu blühen. Wenn dann bald darauf ein unguter April mit Schnee, Eis und Temperatursturz dreinfährt, ist die Gefahr groß, dass es die noch zarten Triebe "g'freat", wie der Wachauer sagt – dass es sie also ordentlich fröstelt und schüttelt. Brrrr!

Darüber zu spekulieren, dass dieser Fall eintritt (der dann meist eh nicht ganz so arg eintritt), gehört zwar seit Wachauergedenken zur alljährlichen Folklore dazu; dass mit dem Klimawandel und dessen Wetterkapriolen aber wirklich nicht gut Marillen essen ist, dämmert mittlerweile auch jedem. Das Wort Marille könnte übrigens von spanisch "amarillo" (gelb) stammen, Aprikose vom lateinischen "praecox" (frühreif) – da haben wir‘s. Also liebe Aprikose, Aphrodisiakum hin oder her: Lass dir ruhig Zeit, komm besser nicht mehr gar so früh! (Stefan Weiss, 8.4.2021)