Wohnraum wird immer stärker "finanzialisiert", gleichzeitig geraten viele Mieter derzeit krisenbedingt in finanzielle Schwierigkeiten.

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Wird die Zahl der Delogierungen in Österreich durch Corona stark zunehmen? Das befürchten jedenfalls Mieterschützer und andere professionelle Beobachter der derzeitigen Lage. Aus gutem Grund: Schon infolge der vorletzten größeren Krise – der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 – war es zu einem starken Anstieg an registrierten Obdach- und Wohnungslosen in Österreich gekommen, bis zum Höchstwert von fast 24.500 im Jahr 2013. Seither lag die Zahl immer über 22.000, aber mit einem Abwärtstrend seit 2016.

Der leichte Rückgang hat auch damit zu tun, dass es immer mehr Betreuungsplätze für Obdach- und Wohnungslose gibt. Die Bemühungen, Obdach- und Wohnungslosigkeit zu verhindern, hätten sich in den letzten Jahren tatsächlich intensiviert, sagt Elisabeth Hammer, Obfrau der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (Bawo).

Die Bawo würde nun aber gerne gleich einen Schritt weiter gehen und nicht nur die durch Corona zu erwartende Welle an neuen Wohnungslosen abfedern, sondern gleich ganz die "Obdachlosigkeit beenden". So lautet zumindest der Titel eines Strategiepapiers (pdf), das die Bawo erarbeitete und kürzlich im Rahmen eines Round-Table-Gespräches vorstellte und diskutierte.

25.000 Wohnungen bis 2025

Kernpunkt der darin beschriebenen Strategie: Bis 2025 sollen bundesweit 25.000 Mietwohnungen "aus dem Bestand" zur Verfügung gestellt werden, um auch wirklich allen von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen ein Zuhause anbieten zu können. Nach Bevölkerung und Städten gewichtet entfielen davon knapp 11.000 auf Wien, 3500 auf Oberösterreich, 2700 auf Niederösterreich und so weiter. Im Burgenland wären es 85.

Diese Wohnungen sollten wieder um "leistbar, dauerhaft und inklusiv" sein, wobei "inklusiv" meint, dass sie sich einerseits nicht von anderen Mietwohnungen unterscheiden und andererseits so beschaffen und gelegen sein sollen, dass sie den darin wohnenden Menschen "eine Möglichkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft bieten", wie es heißt. Nicht geeignet seien deshalb Wohnungen in peripheren Gegenden.

Innerhalb des Mietensektors werden alle drei Segmente – der kommunale, der gemeinnützige und auch der private Bereich – aufgefordert, "in einem ausgeglichenen Verhältnis Wohnungen bereitzustellen", heißt es in dem Papier. Von den gemeinnützigen Bauträgern, ohnehin schon bisher oft Partner von sozialen Einrichtungen (etwa im Rahmen des Programms "Housing First"), gab es dazu in Person des Verbandsobmannes Bernd Rießland auch ein klares "Commitment". Beim Round Table wies er etwa darauf hin, dass die GBV-Mitgliedsunternehmen rund 300.000 ausfinanzierte Wohnungen hätten und davon wohl die eine oder andere mehr dafür infrage käme.

"Finanzialisierung" des Wohnens

Man müsse aber auch den privaten Sektor "ganz gezielt adressieren und auch verpflichten", dafür plädierte etwa der Soziologe Christoph Reinprecht von der Uni Wien, der in seinem Statement auch die zunehmende "Finanzialisierung" des Wohnens beklagte. "Es ist atemberaubend, zu sehen, wie Wohnen spätestens seit der Finanzkrise kommodifiziert wird, während der zugäng liche und angemessene Wohnraum zunehmend verschwindet".

Obdachlosigkeit sei eine Menschenrechtsverletzung, sagte Hammer, und auch Reinprecht war der Meinung, man müsse über "ein echtes Recht auf Wohnen" diskutieren. In dem Zusammenhang wurde auch eine notwendige stärkere Sozialpflichtigkeit des Eigentums zur Sprache gebracht. Und ganz generell brauche es eine bessere Vernetzung von Wohn- und Sozialpolitik, insbesondere auf Landesebene, wo diesbezüglich alle Fäden zusammen laufen, sagte Hammer. Hier gebe es noch viel zu wenig Austausch, eine "zentrale Kompetenzstelle" könnte laut Hammer Abhilfe schaffen.

"Entstigmatisieren"

Andererseits sei es auch sehr wichtig, Wohnungslosigkeit zu entstigmatisieren. Man müsse ein Bewusstsein dafür schaffen, dass zumindest zeitweise Obdach- und Wohnungslosigkeit "jede und jeden treffen kann" meinte Rießland. "Da muss kein schuldhaftes Verhalten dahinterstecken." Genau dies müsse man stärker vermitteln. (Martin Putschögl, 10.4.2021)