Baudelaire, so scheint es auch 200 Jahre nach seiner Geburt, wird ein Poet für die Ewigkeit bleiben.

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"Unbequem" ist ein Eigenschaftswort, zu dem Kritiker gern greifen, um einen Dichter oder sein Werk in vorteilhaftes Licht zu rücken. Unbequem, das heißt: eigenwillig; gegen die Konvention gerichtet; unbesorgt um das "qu’en-dira-t-on", um das, was die Masse sagt. Charles Baudelaire, vor 200 Jahren, am 9. April 1821, in Paris geboren und ebenda 1867 mit nur 46 Jahren gestorben, war einer dieser großen Unbequemen. Er wäre mehr als eineinhalb Jahrhunderte nach seinem Tod kein quicklebendiger weltliterarischer Klassiker, wäre er nicht schon zu Lebzeiten unbequem gewesen und wäre er dies nicht bis heute geblieben.

In seinem Gedicht Ein Aas (Une charogne) beschreibt Baudelaire in einem subtil arrangierten Zwiegespräch mit seiner eigenen Seele eine hochsommerliche Begegnung mit einem krepierten Tier, das an einem Wegesrand mit weitgespreizten Läufen vor sich hin verrottete. Neun Strophen lang vertieft sich der Dichter, in perfekten Versmaßen, in alle Verwesungsdetails, den Gestank, die Maden, die aus dem fauligen Bauch hervorkriechen, und so fort.

Die Welt in Brand stecken

Noch unbequemer wird es, als sich Baudelaire plötzlich unerwartet an seine Geliebte wendet: So wie dieser abstoßende Dreckhaufen wird auch dein köstlicher Leib einmal aussehen, wenn du gestorben bist. Aber wenn es denn so weit ist, mein Augenstern, so sage den Würmern, die dein verfaulendes Fleisch küssen und an deinen Knochen nagen, dass ich, der Dichter, deine Form und deine göttliche Essenz bewahren werde.

Ein Aas ist eines der Gedichte, vielleicht das berühmteste, mit deren kalkulierten Schockeffekten sich Baudelaire in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachhaltig als Poète maudit in die literarische Szene Frankreichs einschreibt. Er wird zum Ahnherrn eines Dichtertypus – Verlaine, Rimbaud, Mallarmé –, der sich zum Gegenpol der behäbig-bourgeoisen Gesellschaft stilisiert und mit der Attitüde auftritt, die Welt in Brand zu stecken.

Für die Street-Credibility des verfemten Poeten sorgt der passende Lebenslauf: Baudelaire flaniert 1848 als "Dandy" durch das revolutionäre Paris, sympathisiert mit den Aufständischen, bringt seine Erbschaft durch und lebt in bitterer Armut, kultiviert seine Depression ("Spleen") und Einsamkeit, nimmt Drogen, verkehrt mit Prostituierten und holt sich die Syphilis, der er nach einer langen Agonie zum Opfer fällt. Unmittelbar nach dem Erscheinen seiner Blumen des Bösen (Les Fleurs du Mal) muss er sich 1857, unter der dubiosen Regentschaft von Napoleon III., wegen "Verstoßes gegen die öffentliche Moral" vor Gericht verantworten. Zu seinem Entsetzen sieht er sich gezwungen, sechs Gedichte aus dem Zyklus herauszulösen, zudem wird er zu einer Geldstrafe verurteilt.

Baudelaire ergeht es schlechter als Gustave Flaubert, der ebenfalls 1857 – der Autor Wolfgang Matz hat diesem Schlüsseljahr eine Monografie gewidmet –, wegen angeblicher Obszönitäten in seiner Madame Bovary, vor den Richter zitiert, aber freigesprochen wird. Der brutale zensorische Eingriff in die Blumen des Bösen ist Auftakt einer komplizierten Editionsgeschichte, die dem durchschlagenden Erfolg des Buches nach Baudelaires Tod freilich keinen Abbruch tut. "Die Fleurs du Mal", schreibt Walter Benjamin, einer der tiefsinnigsten und größten Exegeten Baudelaires, "sind das letzte lyrische Werk gewesen, das eine europäische Wirkung getan hat; kein späteres ist über einen mehr oder weniger beschränkten Sprachkreis hinausgekommen."

Sensibel und sadistisch

Gleich der erste Band der Pléiade-Bibliothek, des französischen Literatur-Pantheons, ist Werken Baudelaires gewidmet. Sein Œuvre ist vergleichsweise schmal, aber unerschöpflich. Es gibt den "linken" Baudelaire, der mit dem Tod der Armen (La mort des pauvres, das einzige Baudelaire-Gedicht, das Paul Celan ins Deutsche übertragen hat) berührende soziale Sensibilität demonstriert. Und es gibt den Poseur, der mit sadistischen, satanistischen Motiven provoziert und eine Ästhetik des Hässlichen kreiert, wie es sie bis dahin nicht gab.

An diesen Widersprüchen haben sich hunderte Interpreten abgearbeitet. Benjamin sieht es vor dem turbulenten Hintergrund einer Zeit, in der Paris zur "Hauptstadt der Moderne" wird, und stellt die Erfahrung des "choc" in das Zentrum seiner Analysen. Sartre dekonstruiert den Mythos von Baudelaire als Opfer der bürgerlichen Gesellschaft und stellt die "existenzialistische" Gegenbehauptung auf, der Dichter habe sein tristes Schicksal bewusst gewählt. Der italienische Schriftsteller Roberto Calasso (Der Traum Baudelaires) oder der Literaturwissenschafter Karl Heinz Bohrer (Der Abschied) haben in riesigen Studien einem Werk neue Aspekte abgewonnen, das noch längst nicht alle Geheimnisse preisgegeben hat. (Christoph Winder, 9.4.2021)