So kennen wir Jesus, immer mit der Zunge an der Bowlingkugel. In "Jesus Rolls" spielt das Wettkegeln aber kaum eine Rolle.

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Einen Film, der von seinen Fans so geliebt wird, dass sie auch nach Jahrzehnten einzelne Szenen auswendig nachsprechen können, lässt man besser unberührt. Das ist nur einer der guten Gründe, warum Joel und Ethan Coen stets ausgeschlossen haben, eine Fortsetzung von The Big Lebowski zu drehen. Sequels halten die US-Regiebrüder für Gift.

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Doch machen wir es nicht unnötig kompliziert: John Turturros Jesus Rolls hat mit The Big Lebowski in Wahrheit nur eine Figur gemeinsam, und zwar das puerto-ricanische Bowling-Ass Jesus Quintana. Trotz weniger Szenen hinterließ der Gockel bleibenden Eindruck. Ganz in Violett, die Zöpfe im Haarnetz aufgefangen und die Zungenspitze an der Bowlingkugel klebend, war Jesus eine dieser Figuren, die wie Salpetersäure auf der Haut reagieren. Vergessen konnte man ihn nie.

Das war offenbar auch bei Turturro selbst der Fall. Er sah in seiner Figur mehr als den charismatischen Aufschneider und entwickelte die Idee eines Spin-offs, das sich völlig neu ausrichtet: Als Vorbild diente Bertrand Bliers Les Valseuses(Die Ausgebufften) von 1974, eine Komödie um zwei Rabauken, die gegen die bürgerliche Ordnung aufbegehren. Ein gewisser Gérard Depardieu wurde darin im Verein mit Patrick Dewaere zum Star. Den Coen-Brüdern hat dieses nicht gerade naheliegende "Remake" offenbar gefallen, sie gaben Turturro grünes Licht.

Stars ohne Ende

Das Ergebnis ist zumindest skurril. Und zwar vielleicht gerade deshalb, weil der Italoamerikaner bis zum Ende nicht wirklich plausibel macht, warum es diesen Film gebraucht hat. Seine Überzeugungskraft – oder waren es Freundschaftsdienste? – muss enorm gewesen sein. Denn Turturro vermochte Großkaliber wie Susan Sarandon und Christopher Walken genauso zur Mitarbeit zu bewegen wie die einstige "Amelie", Audrey Tautou oder Saturday Night-Star Pete Davidson. Eine bunte Bande, die den Eklektizismus der Unternehmung noch zusätzlich unterstreicht.

Einer der schönsten Momente, der zugleich die abstruse Logik der Handlung deutlich macht, kommt mit Sarandon, die als "767" ihr halbes Leben im Gefängnis verbracht hat. Sie wird von Jesus und seinem Buddy Petey (Bobby Cannavale) zum Lunch ausgeführt, wo der kalauernde Tonfall des Films plötzlich einen Dreh ins Existenzielle erhält. Wie Sarandon das Geschenk genießt, etwas vom Geschmack des Lebens zurück zu haben und dann die Kellnerin auffordert, ihre monatliche Blutungen zu würdigen (bei ihr setzte die Regel im Knast aus), das vereint Pathos mit absurdem Humor. Turturro wirkt in dieser Szene wie der geistige Bruder von Regieexzentriker Quentin Dupieux.

Sexuell ausgebremst

Anders als das Duo aus Les Valseuses sind Jesus und Petey selbst nicht mehr ganz so taufrisch. Ihr genitalfixierter Machismo wirkt aus der Zeit gefallen, richtig zu Bewusstsein gekommen ist ihnen dies jedoch nicht. Turturro schickt die beiden auf eine Erweckungstour im Stil eines losen Road-Movies, bei der die überschüssigen sexuellen Fantasien immer wieder hart ausgebremst werden. Die Herren sind in Wahrheit nur im Reden gut. Das zeigt sich auch beim dritten Rad am Wagen, Kindfrau Marie (Tautou), die noch nie einen Orgasmus hatte.

Man muss das nicht lustig finden, bisweilen hat es den Eindruck, Jesus Rolls legt es auch gar nicht so sehr darauf an. Nicht wenige Szenen verlaufen pointentechnisch wie die Sexualakte im Film. Turturro zugutehalten kann man jedoch, dass er nie den Ausweg über die Ironie sucht. Er schätzt seine Figuren wirklich, jede einzelne ihrer Macken. Kurz glaubt man sogar, diese entflohenen Nebenfiguren hätten gemeinsam eine Chance. Aber dafür müssten sie ein bisschen weiterdenken als bis zur nächsten Erektion. (Dominik Kamalzadeh, 9.4.2021)