Gerade fertig und trotzdem zu: Der Pavillon ist bei seiner ersten Station auf dem Wiener Heldenplatz nur virtuell zu besichtigen. Demnächst real in Hartberg!
Foto: leisure communications / Christian Jobst

Identitäten können aus vielerlei Fäden gewoben werden, angefangen bei Herkunft und sozialer Zugehörigkeit über Beruf oder Geschlecht bis hin zu Kultur, Geschichte und Landschaftsverbundenheit. Wer sich heute zum Beispiel als Steirerin oder Steirer fühlt, muss sich nicht ausschließlich an den Dachstein, wo laut Landeshymne "der Aar noch haust", und historisches Brauchtum halten. Identifikation kann viel mehr sein.

Wie es anders geht? Auf eine offene Art mit Freude an Vielfalt und Veränderung. So jedenfalls versuchen die Steirer jetzt, in ihrer Steiermark-Schau zu vermitteln, wer wir sind. Als Flaggschiff dieser neuen Form von Landesausstellung dient ein eigens konzipierter Pavillon, der vom Wiener Heldenplatz aus durch das Bundesland tourt. Mit dabei sind in der steirischen Hauptstadt auch drei Häuser des Universalmuseums Joanneum: das Museum für Geschichte, das Volkskundemuseum und das Kunsthaus Graz.

Das heißt, eine mobile Kunsthalle und drei feste Institutionen bieten eine gemeinsame Ausstellung in vier Teilen: Im Pavillon bildet sich eine neue Kultur der Selbstsuche ab, das Museum für Geschichte ermöglicht eine Zeitreise in die Vergangenheit, im Volkskundemuseum wird auf die Gegenwart geschaut, und das Architekturphänomen Kunsthaus öffnet sich für die Zukunft.

Reflexion der Gegenwart

Pandemiebedingt musste der Pavillon-Start auf dem Heldenplatz aber in den virtuellen Raum verlegt werden – in Graz feiert die Schau ihre Eröffnung heute ebenfalls als Online-Event. Der Pavillon soll erste Besucher dann ab 8. Mai in Hartberg empfangen. Konzipiert wurde diese Kunsthalle mit einer Ausstellungsfläche von 800 Quadratmetern von dem Grazer Designer Alexander Kada. Ihre Außenhaut lockt als Lichtinstallation, das Innere als "Black Cube", in dem auf mehreren geschwungenen Screens von 200 Quadratmetern eine technisch ausgeklügelte Schau aus bewegten Bildprojektionen visualisiert wird.

Den Fokus des Programms bildet ein "Steiermark-Panorama" mit Auftragsarbeiten von 24 landesverbundenen Künstlerinnen und Künstlern.
Foto: KADADESIGN

Verantwortlich für die Kuratierung der Pavillon-Schau zeichnet Astrid Kury von der Akademie Graz. Das Ergebnis ist eine Kooperation mit insgesamt 78 Kunstschaffenden aus verschiedenen Sparten – in die inhaltliche Erarbeitung der Ausstellung waren 100 Personen involviert.

"Die Steiermark-Schau entwickelt mit dem Potenzial von Kunst und Wissenschaft ein international gültiges Kompendium der Reflexion zentraler Fragen unserer Gegenwart", erklärt Kury. Die Ausstellung sei ein "Plädoyer für Vielfalt". "Kunst ist ein Über-sich-selbst-Hinauswachsen für andere", sagt Kury, und werde durch diese Landesausstellung "breit im Bildungskanon verankert". Den Fokus des Programms bildet ein "Steiermark-Panorama" mit Auftragsarbeiten von 24 landesverbundenen Künstlerinnen und Künstlern.

Panoramen auf Plastik

Die Grazerin Susanne Miggitsch etwa hat sich für ihren Beitrag Und ich blieb stehen. (Mur) mit dem Hauptfluss der Steiermark befasst, um über Veränderlichkeit und das Flüchtige zu reflektieren. Das Künstlerkollektiv Total Refusal führt mit Superwonder in die Landschaften von Videospielen und die darin vermittelten Weltbilder. Der Grazer Fotograf Chien-Chi Chang fühlt sich als "The Airport Artist", der die Corona-Reisevollbremsung zwischen seiner Wohnung und dem Flughafen Thalerhof erlebt.

Aus den hier präsentierten Arbeiten lässt sich die inhaltliche und formale Bandbreite zeitgenössischer Kunst nachvollziehen. Mit aufgesammelten Abfall-Kunststofffolien beispielsweise inszeniert Catrin Bolt ihre landschaftlichen "Plastikpanoramen". Die gehörlose, in Afghanistan geborene Künstlerin Fatema Hamidi wiederum zeigt ein Video, in dem sie mit Gebärdensprache von "Schatten und Licht" erzählt. Und Claudia Larcher lässt bei Ore Panoramabilder vom Erzberg bis hinein in die Frauenmauerhöhle an den Augen der Betrachter vorbeiziehen.

Pralle Diversität

In einem weiteren Projekt äußern sich 31 Stimmen zur Steiermark aus Theater, der bildenden Kunst, Musik und Literatur, darunter Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek oder ihr Schriftstellerkollege Fiston Mwanza Mujila, zu ihren Anknüpfungspunkten mit der Steiermark. Außerdem ist im Pavillon zu erfahren, dass die Steirer heute neben ihren unverkennbaren Dialektvarianten noch weitere 150 Sprachen gebrauchen und warum es im Land auch – im übertragenen Sinn – "kontaminierte Landschaften" gibt.

An den drei Grazer Schauplätzen wird die Pavillon-Ausstellung weiter kontextualisiert. Im Museum für Geschichte unter dem Titel Was war mit einer von Bettina Habsburg-Lothringen, Ulrich Becker und Walter Feldbacher gestalteten "Wanderung durch Zeit und Raum", die das Verhältnis zwischen Mensch und Natur als Kompass nutzt.

Im Volkskundemuseum geht es in Wie es ist, einer Kuratierung von Birgit Johler, um Veränderungen der Lebenswelten im Steirerland, und im Kunsthaus Graz (Kuratorin: Bettina Steiner) werden unter dem Motto Wie es wird Möglichkeiten der Gestaltung von vielfältigen "Zukünften" entworfen. (Helmut Ploebst, 9.4.2021)