Der Planet ist verglüht und in der Billa-Familie aufgegangen – das wirkt sich vorerst vor allem optisch aus.

Foto: apa/gindl

Ärger vor dem Eingang. Wie erwartet. Der Merkur-Chip passt nicht ins Billa-Einkaufswagerl! Und, noch viel ärger: Das Wagerl mit dem Billa-gelben Griff schluckt zwar den Chip, gibt ihn aber nicht mehr her. Alles Rütteln, Drücken, Klopfen hilft nicht – das Einkaufswagerl bleibt schicksalhaft an seine Geschwister gekettet. Hilfsbereites Personal ist weit und breit nicht zu finden, der Chip muss aufgegeben werden. Okay, das war zu Merkur-Zeiten auch oft nicht anders. In den vergangenen Wochen schien allerdings im Merkur-Markt im Stadioncenter in Wien-Leopoldstadt die Wagerl-Anarchie ausgebrochen. Zumeist standen sie frei verfügbar herum, es war ein Geben und Nehmen.

Aber jetzt: alles anders, neue Ordnung. Der Supermarkt-Planet Merkur ist vorgestern verglüht und als Luxusgeschöpf "Plus" der Billa-Familie wiedergeboren worden. Passiert ist diese Eingliederung in Wahrheit nicht erst vorgestern, sondern vor langer Zeit. Sowohl Billa als auch Merkur gehören längst zum Rewe-Konzern. Dennoch: Am Ende ging alles ganz schnell. So schnell, dass offenbar auch die Beteiligten ein wenig überrascht waren. Das Eingangsportal des Stadioncenter-Marktes ist zwar mit einer Girlande aus gelben und weißen Luftballons verziert. Aber das "Billa Plus"-Schild wirkt noch ein wenig wackelig und provisorisch montiert. Die Sache mit den Wagerln ist optimierbar, und die Merkur-Fans unter den Kunden müssen erst überzeugt werden, dass sich eh nicht wirklich etwas geändert hat.

Da und dort stehen Billa-Eigenmarken herum, sie zwängen sich fast schüchtern ins Regal.

Allein durch das neue Werbevideo wird’s wohl nicht gelingen. Wen einst das kühl-gnadenlose Zorro-Gehabe des geheimnisvollen "Anonym" angesprochen hatte, der wird auf die Zwangsbeglückung mit Heimatkanal-tauglichem Hochzeitsvideo und dem aufmunterndem "Willkommen in der Familie!"-Plakat nicht hereinfallen. Hier das Versprechen, unerschütterlich auf Qualität zu achten – dort bloß Familie? Als ob das Wort allein ein Garant für frisches Obst und Gemüse, große Auswahl bei Milchprodukten und einwandfreies Bio-Fleisch wäre!

Dass Karl Wlaschek selig seine Supermarktkette einst vor allem als "billigen Laden" sah und jüngste Kiebitz-Ausflüge in dieselben vor allem matschiges Obst zutage brachten, macht die Umstellung auch nicht leichter.

So aufgeräumt

Voller dunkler Vorahnungen betritt man den Supermarkt seines Vertrauens – und ist erstaunt. Es sieht so aufgeräumt aus. Es ist so viel Platz zwischen den Regalen, zwei Wagerlschieber kommen plötzlich problemlos aneinander vorbei. Was ist los? Gar weniger Angebot? Ist womöglich der Ladentisch mit dem Bio-Gemüse kleiner geworden? Ein Marktmitarbeiter, fesch in der neuen schwarzen Arbeitsjacke mit gelbem Zippverschluss, beruhigt: Nein, alles wie immer. Nur ein bisschen umgeräumt. Okay. Misstrauisch schiebt man weiter. Von der Decke baumeln, ein wenig aufdringlich, "Preis-Party!"-Schilder. Es gibt natürlich jede Menge Sonderangebote, schließlich sind die Leute bei Rewe keine Anfänger. Aber man gibt’s ungern zu: Eigentlich wirkt alles wie immer. Die Nudeln sind dort, wo man sie gewohnterweise sucht. Brot und Gebäck ist weder besser noch schlechter als zu Merkur-Zeiten, genauso sieht es in der Wurstabteilung und bei den Tiefkühlregalen aus. Die große Erleichterung: Obst und Gemüse, ein echtes Merkur-Asset, wirkt genauso knackig wie immer. Da und dort stehen ein paar Billa-Eigenmarken herum, sie zwängen sich fast schüchtern ins Regal zwischen die gewohnten Marken.

Kaum Bobo im Zweiten

Es ist relativ viel los an diesem Donnerstagvormittag im neuen Billa Plus. Ob die Kundschaft aus purer Kauflaune nach den Lockdown-Feiertagen gekommen ist, ob einige – wie ich – einfach schauen wollen, ob sich etwas verändert hat, ist schwer zu sagen. Nur eines kann man mit Gewissheit feststellen: Das Publikum im Stadioncenter ist dasselbe – egal, ob Billa oder Merkur. Die Bobo-Attitüde von Besuchern eines Premium-Supermarktes wie etwa am Hohen Markt findet sich mitten im Zweiten nicht. Man ist hier bodenständig, so war es, und so wird es wohl auch weiterhin sein.

Ein kleines Drama entfaltet sich vor dem Joghurtregal. Eine ältere Dame sucht "ihr" Erdbeerjoghurt und kann es nicht finden. Der Gatte wirkt erst desinteressiert, dann desorientiert, am Ende holt die Dame kopfschüttelnd eine Mitarbeiterin aus der Saftabteilung. Die zeigt ohne zu zögern auf das Regal einen Meter weiter links, die Dame schnauft unwirsch und holt sich ihr Joghurt. "Tut mir leid, wir haben neu geordnet", entschuldigt sich die Mitarbeiterin höflich. Der Kundinnen-Gatte schaut ein bisschen böse, das Paar zieht weiter.

Die übliche Schlange bildet sich vor den wenigen geöffneten Bedienungskassen. Manche Dinge ändern sich nie, die Zahl der (zu Stoßzeiten oft zu wenigen) Mitarbeiter ist offenbar gleich geblieben. Also besser weiterschieben – zum "Kassomaten", der Selbstbedienungskassa. Scannen, Kundenkarte eingeben, zahlen, perfekt. Ein bisschen lästig ist, dass ich mir den Kauf einer Rotweinflasche von einer Fachkraft genehmigen lassen muss – auch wie immer. Beim Hinausgehen überreicht mir die Fachkraft mit routinierter Freundlichkeit eine lachsfarbene Makrone in Zellophan mit der Aufschrift "Willkommen in der Familie" (schon wieder!) und wünscht mir einen schönen Tag. "Bis bald!", ermuntert sie mich. Mit Sicherheit. Ich werde die Familie weiter beobachten. (Petra Stuiber, 9.4.2021)

Über Ostern wurde der Rewe-Supermarkt Merkur zum Rewe-Supermarkt Billa Plus – und das gleich in 144 Filialen. Dafür wurden mehr als zehn Millionen Preisschilder ausgetauscht und 40.000 Einkaufswägen farblich angepasst. Doch was sagen die Kundinnen und Kunden dazu, hat sich die Fusion gelohnt?
DER STANDARD