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Links im Bild verschwindet Jakobsen hinter den Absperrungen, sein Rad fliegt durch die Luft. Es war einer der schockierendsten Rennunfälle der Radgeschichte.

Foto: AP Photo/Tomasz Markowski

Vor acht Monaten war nicht einmal sicher, ob Fabio Jakobsen die nächste Nacht überstehen würde. In einem polnischen Krankenhaus lag der niederländische Radprofi damals, nach einem der fürchterlichsten Stürze in der Geschichte seines Sports. Mit schwersten Kopfverletzungen, entstelltem Gesicht, nur noch einem einzigen Zahn im Mund. "In dieser dunklen Phase hatte ich Angst, nicht zu überleben", sagte er.

Dass dieser Jakobsen am Sonntag bei der Türkei-Rundfahrt sein Comeback feiern wird, kommt einem Wunder gleich. Und ist für Jakobsen selbst das größte Geschenk. "Ich bin extrem dankbar", sagte der 24-Jährige, der die schwerste Zeit seiner Karriere, seines Lebens hinter sich hat.

"Ich dachte, dass Fabio stirbt"

"Selbst für jemanden in meinem Alter ist es sehr emotional, dass Fabio wieder Rennen fährt", sagt Yvan Vanmol. Der Belgier ist seit den Achtzigern als Teamarzt im Radsport tätig, hat die lange Geschichte von Jakobsens Quick-Step-Mannschaft komplett begleitet. Doch selbst den hartgesottenen Mediziner, der Jakobsen beim Weg zurück ins Leben begleitet hat, entsetzt der beinahe fatale Crash noch heute: "Ich dachte wirklich, dass Fabio auf dieser polnischen Straße stirbt."

Jakobsens ganzes Leben lässt sich in die Zeit vor und nach jenem verhängnisvollen 5. August 2020 in Kattowitz einteilen, an dessen entscheidende Momente sich "Fabio nicht mehr erinnert", sagt Vanmol, "er kennt den Sturz nur von den Videobildern. Es ist jedoch nicht in sein Gehirn eingraviert."

Abgedrängt

Es war die erste Etappe der Polen-Rundfahrt, eines der ersten Rennen nach dem Corona-Restart, die Fahrer überehrgeizig, aber ohne Rennpraxis, das Finale hektisch. Im Sprint um den Sieg drängt der Niederländer Dylan Groenewegen seinen Landsmann auf der zuvor schon wegen ihrer Gefährlichkeit kritisierten abschüssigen Zielgeraden in die Streckenbegrenzung, Jakobsen fliegt mit Tempo 80 gegen die Zielaufbauten, verschwindet in einem Orkan von Trümmern.

Während Jakobsen nach Groenewegens Disqualifikation zum Sieger erklärt wird, kämpfen die Ärzte gegen seinen Tod. Zunächst auf dem glühenden Asphalt an der Kreuzung von Korfantego- und Rozdzienskigo-Allee – "die Retter an der Ziellinie haben mir das Leben gerettet", sagt Jakobsen – schließlich im Krankenhaus von Sosnowiec. Erst als der schwerst am Kopf verletzte Jakobsen nach zwei Tagen aus dem künstlichen Koma erwacht, ist die unmittelbare Lebensgefahr gebannt.

Kiefer aus Beckenknochen

Heute, nach einem halben Dutzend Operationen, ist Jakobsen wieder voll hergestellt. Sein mit 130 Stichen geflicktes Gesicht, wirkt noch einen Hauch unnatürlich, sein neuer Kiefer, aus Jakobsens Beckenknochen modelliert, enthält provisorische Kunstzähne. "Das wird noch ein paar Monate dauern, bis alles verheilt ist und ich meine neuen Zähne bekommen kann", sagt Jakobsen.

Zurück – und frisch verlobt.

Das kann er, der so viel schon geschafft hat, verschmerzen, jeden Rennkilometer in der Türkei will er genießen. Und seinen Sprinterinstinkt hat er nicht verloren. "Er wird sich nicht davor fürchten, in einem Massensprint mitzumischen", sagt Doktor Vanmol: "Fabio ist bereit für den Wettkampf.

Sturzverursacher Groenewegen wird Jakobsen in der Türkei nicht begegnen – der ist wegen des Vorfalls noch bis Mai gesperrt. (sid, 9.4.2021)