Gestresste Kunden, gestresste Beschäftigte: Die Pandemie macht allen zu schaffen. Die Mitarbeiter im Handel müssen besonders viel aushalten.

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Wien – Renitente Kunden, die auf Aufforderungen, sich an Sicherheitsmaßnahmen wie Maskenpflicht und Abstand zu halten, aggressiv reagieren, Menschen, die einander in den Filialen genau deswegen beflegeln, zu viele Überstunden, unterschiedliche Einsatzorte mit erheblichen Anfahrtswegen: Geht es nach der Gewerkschaft GPA, ist für viele Handelsangestellte die Belastungsgrenze nun endgültig erreicht.

Das gelte vor allem im Lebensmittelhandel, der nun seit Monaten unter verschärften Bedingungen für die Kunden und Kundinnen geöffnet hat, sagte GPA-Gewerkschafterin Anita Palkovich am Freitag in einer Online-Pressekonferenz. Zu den genannten Problemen kämen "Personalmangel und mangelnde Wertschätzung sowie fehlender Respekt der Kunden gegenüber unseren Kolleginnen und Kollegen", so Palkovich.

Unter Druck

Palkovich beruft sich auf eine Umfrage, die die Gewerkschaft jüngst unter knapp 3.300 Gewerkschaftsmitgliedern im Handel durchgeführt hat – davon zwei Drittel weiblich. Vor allem im stationären Handel habe man besorgniserregende Rückmeldungen bekommen, sagt die Gewerkschafterin. Die Beschäftigten seien "teilweise am Ende ihrer Kräfte". Im Lebensmittelhandel fühlten sich 22 Prozent der Befragten "immer" gestresst, 39 Prozent "meistens", 36 Prozent "ab und zu" und drei Prozent "nie".

Die Zentralbetriebsratsvorsitzende von Interspar und stellvertretende Vorsitzende des GPA-Wirtschaftsbereiches Handel, Sabine Eiblmaier, und Billa-Betriebsratsvorsitzender und stellvertretender Vorsitzender des GPA-Wirtschaftsbereiches Handel, Werner Hackl, berichten ebenfalls von deutlich gestiegenem Druck von allen Seiten. "Letztes Jahr waren die Handelsmitarbeiter die beklatschten Helden – und jetzt?" Keiner rede mehr über die Arbeitsbedingungen, sagte Eiblmaier. Hackl sekundiert und verweist ebenfalls auf die hohe Belastung durch Mehrarbeit, kurzfristige Dienstplanänderungen und das ständige Tragen der FFP2-Masken.

Sicherheitsgipfel

Die Gewerkschaft fordert nun einen Sicherheitsgipfel mit der Wirtschaftskammer und der Regierung. Abgesehen vom Wunsch nach "mehr Respekt und Wertschätzung" für die Handelsangestellten von der Regierung, Kunden und den Betrieben brauche es ein Entlastungspaket.

Palkovich forderte die Aufstockung der Personaldecke im Lebensmittelhandel, Kontrollen der Corona-Maßnahmen durch eigenes Sicherheitspersonal, vorrangige Versorgung der Handelsangestellten mit Corona-Schutzimpfungen und keine Durchrechnung der Mehrarbeit. Von der Arbeitgeberseite wünscht man sich außerdem eine Abgeltung der Flexibilität der Beschäftigten in einem zeitlich befristeten Zusatzkollektivvertrag. Die geleistete Arbeit müsse auch am Ende des Monats bezahlt werden, so Palkovich. Einem solchen erteilt Rainer Trefelik, Bundesobmann der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer, eine Absage. Er sieht die Probleme vor allem in den großen Lebensmittelhandelsketten angesiedelt. "Das sind Fragen, die man auf innerbetrieblicher Ebene lösen muss", sagte Trefelik. Ein Kollektivvertrag, der auch viele Betriebe treffen würde, die derzeit gar nicht offen hätten, sei wohl nicht das richtige Instrument.

Das sieht der Handelsverbands-Geschäftsführer Rainer Will ebenso. Auch wenn die Probleme ernst zu nehmen seien, ein Zusatz-KV würde mehr bürokratischen Mehraufwand als Nutzen stiften und "bei großen Gipfeln kommt meist mehr heiße Luft als praktikable Lösungen heraus." Es gelt nun das Gespräch zu suchen.

Freistellung für Schwangere

Die Gewerkschaft will über noch anderes sprechen und appelliert zudem an die Handelsbetriebe, auch schwangere Handelsangestellte, die ständigen Kundenkontakt haben, sofort freizustellen. Vergleichbar mit den Regeln bei körpernahen Dienstleistern – dort gibt es eine Sonderfreistellung ab der 14. Schwangerschaftswoche. Außerdem fordert die GPA ein Aussetzen der Tourismusregelungen zur Sonntagsöffnung in den Bundesländern, solange die Hotels Corona-bedingt geschlossen sind. (rebu, 9.4.2021)