Bei archäologischen und kulturhistorischen Ausstellungen sind Reproduktionen längst breit im Einsatz. In der Debatte um Rückgaben von Originalobjekten aus kolonialen Kontexten könnten hervorragende Kopien noch wichtiger werden. Hier die Nachbildung einer Maisgöttin aus dem 15. Jahrhundert, zu sehen in der aktuellen Azteken-Ausstellung des Wiener Weltmuseums.
Foto: KHM-Museumsverband / Weltmuseum

Das Thema ist wohl so alt wie die Kunst selbst: Brauchen wir wirklich das originale, von Künstlerhand erschaffene Einzelstück vor unseren Augen, um uns daran zu erfreuen? Oder tun es auch gut gemachte Nachbildungen? Diese jedenfalls werden im Zeitalter von Laserscans und 3D-Druckern immer besser, sie seien heute sogar von "sensationeller Qualität", wie Christoph Thun-Hohenstein unlängst im STANDARD schwärmte. Der Direktor des Mak gehört zu jener wachsenden Kunstklientel, die in Kopien einen Beitrag zum Klimaschutz sieht, auch in Restitutionsfragen werden Replikate heiß diskutiert. Eine Glaubensfrage.

FÜR

Kennen Sie folgendes Problem? Sie stehen im Museum vor einem Kunstwerk, das Sie auf den ersten Blick fesselt. Sie sind ergriffen, weil Sie Werk und Künstler bereits kannten oder – wie bei einer anonymen antiken Statue – die bloße Handwerklichkeit bewundern. Und dann, beim Blick aufs Erklärschild, plötzlich ein Dämpfer: "Replikat" steht da. Eine Kopie! Das Gefühl von Betrogensein erfasst einen. Bitte weitergehen, denken Sie sich vielleicht, es gibt hier nichts zu sehen. Leider.

Aber muss dem so sein? Sind unsere Ehrfurcht vor und Gier auf das Original, die sich via Einzelstück-Kryptokunst mittlerweile auch im digitalen Raum fortsetzt, nicht bloß ein eingeübter Fetisch? Die profane Form von Götzendienerei, für die wir lange Warteschlangen, Geld und Mühen aufwenden? Würden wir da Vincis Mona Lisa, Michelangelos David und Co nicht viel besser als perfekt gemachte Reproduktion in unserem Museum vor Ort unter die Lupe nehmen können?

Demokratisch und grün

Walter Benjamins gern zitierter Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935), in dem er die besondere "Aura" des Originals hervorstrich, ist noch immer essenziell. Es ist aber die Kunst der klassischen Moderne, in der einsame Genies an ihren Bildern malten, die Benjamin verteidigt. Die Gegenwartskunst hat oft viel mehr mit den sogenannten alten Meistern gemein: Damals wie heute lässt man in zuarbeitenden Werkstätten produzieren, nicht die Hand, sondern allein die Idee des Künstlers zählt. Warum also vor Kopien zurückschrecken? Dank 3D-Druckern und hochpräzisen Scannern sind diese heute vom Original für das normalsterbliche Auge nicht mehr zu unterscheiden.

Museen würden Kosten sparen und die Umwelt schonen, wenn sie ihre Leihgaben seltener um die ganze Welt schickten; Menschen, die es von ihrem Heimatland aus nicht in die großen Museen von New York, London oder Paris schaffen, bekämen deren Highlights trotzdem physisch zu Gesicht – ein demokratischer Aspekt, den auch Benjamin erkannte.

Den größten Vorteil haben Replikate aber in der Debatte um Rückgaben kolonialen Raubguts aus dem Globalen Norden an den Globalen Süden. Während der Norden in den Objekten Kunsthandwerk sieht, haben sie für den Süden tatsächlich oft religiösen Aura-Charakter. Zurück bleiben sollten im Norden aber keine unnötig bedeutungsschweren "Lücken", wie Deutschlands Kulturstaatssekretärin vorschlug, sondern Replikate. An solchen ist nämlich mehr zu lernen als an leeren Sockeln.

WIDER

Seit Monaten kann man es miterleben: Durch sämtliche Museen wird per Videotour geführt. Diese neuen Formate funktionieren und werden bleiben. Allerdings als Zusatz. Denn allen ist klar, Ersatz ist das keiner. Nur ein Museumsbesuch ist ein Museumsbesuch. Dazu gehören das Erlebnis, die Atmosphäre – und das originale Kunstobjekt.

Und ähnlich verhält es sich mit der Idee, reproduzierte Werke stärker in den musealen Raum zu holen: Es ist einfach nicht das Gleiche. Das gilt für zeitgenössische Kunstwerke, alte Meister oder historische Artefakte. Zwar bleibt die Erfahrung des Besuchs, allerdings ohne das Erlebnis, ein Original gesehen zu haben. Und dieses ist ausschlaggebend.

Um mit Walter Benjamin zu sprechen: Das "einmalige Dasein" im Hier und Jetzt fällt dabei weg. Die "Aura", die originäre Objekte umgibt, fehlt bei Replikaten. Diese hängt mit der Tradition ihrer Entstehung zusammen und der daraus resultierenden Einzigartigkeit. Entspringt diese Argumentation vielleicht der Verehrung religiöser oder kultischer Objekte, kann sie problemlos auf Kunstwerke der Moderne übertragen werden. Wer würde sich nicht vor einem Monet verneigen?

Blockbuster en masse?

Könnte der Vorschlag, vermehrt Reproduktionen auszustellen, nicht sogar die Idee großer Museumsschauen ad absurdum führen? Wenn Werke nicht mehr als Leihgabe verreisen oder als Dauergast in bestimmten Museen residieren, sondern jedes Haus bereits über Reproduktionen großer Werke verfügt? Dass sich somit große Blockbuster-Ausstellungen reduzieren, könnte eine Falschannahme sein.

Denn vielleicht würden solche noch viel eher konzipiert werden, da viele Werke einfacher und billiger zu bekommen wären: gigantische Retrospektiven zu Frida Kahlo, Erwin Wurm oder Andy Warhol in jeder Stadt? Der Anspruch auf Ernsthaftigkeit und Einzigartigkeit, solchen Meisterwerken realiter gegenüberzustehen, könnte rein kapitalistischen Interessen erliegen – und das interessierte Publikum vielleicht sogar vergrault werden.

Klar ist, dass man sich klimaschonendere Strategien für Transporte von Kunstwerken überlegen muss und diese nicht mehr konstant quer über den Globus schicken kann. Dies geht aber auch mit Alternativen: klimafreundlichere Transportmittel, effektivere Logistik, Werke ohne Begleitung schicken. Vielleicht muss man in Zukunft einfach auf manches Objekt verzichten. Das Museum ist der Ort, an dem man Originale erwartet. Dann lieber weniger davon als viele reproduzierte.