Die 38-jährige Juristin Vjosa Osmani (hier mit einer ihrer Töchter) wurde vor einer Woche zur Präsidentin des Kosovo gewählt.

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Eine der ersten Persönlichkeiten, die Vjosa Osmani nach ihrem Amtsantritt empfing, war die Judoka Mjalinda Kelmendi, die bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio Gold für den Kosovo errang. Osmani und Kelmendi sind in ihrer Heimat Heldinnen. In einem Land, wo an Straßen und auf Hügeln martialische Denkmäler den Kriegern der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK Respekt zollen, ist die neue Staatspräsidentin das Symbol des gesellschaftlichen Wandels.

Die 38-Jährige wurde vergangenen Sonntag mit 71 von 120 Stimmen im Parlament gewählt. Eine Präsidentin des Volkes ist Osmani schon länger. Bei den Parlamentswahlen am 14. Februar bekam die wortgewandte Juristin 300.000 Vorzugsstimmen – so viele wie sonst keiner. Selbst Oppositionsparteien, die mittels Parlamentsboykott Osmani als Staatschefin verhindern wollten, gaben klein bei.

Sie hat sich das Vertrauen der Bürger hart erkämpft. Obwohl Osmani schon seit Jahren die beliebteste Figur der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) war, wurde sie im Vorjahr von den eigenen Leuten verraten und zur Seite gedrängt.

Sie hatte die Koalition zwischen der LDK und der Vetëvendosje (VV) von Albin Kurti miteingefädelt. Doch die Männer in den eigenen Reihen rebellierten, und mithilfe des Trump-Gesandten Richard Grenell wurde die neue Regierung nach nur wenigen Wochen gestürzt. Die LDK koalierte mit anderen. Nur Osmani blieb sitzen, wo sie saß, und wiederholte, dass sie dies alles für falsch hielt.

Nichtbeachtung und Schlagfertigkeit

Sie sagte immer schon, wenn sie etwas verkehrt fand. Sie passte sich nie an. In Erinnerung blieb etwa die Szene vor ein paar Jahren, als der damals wichtigste kosovarische Politiker, Hashim Thaçi, in Washington über Hillary Clinton reden wollte und sie mit Madeleine Albright verwechselte. Osmani sollte Thaçi eigentlich nur übersetzen, aber sie korrigierte ihn.

Mit einer Mischung aus Nichtbeachtung und Schlagfertigkeit begegnete sie als Parlamentspräsidentin im Vorjahr auch sämtlichen frauenfeindlichen Attacken. Ein Abgeordneter rannte sogar auf sie zu und verfluchte sie. Schließlich verließ sie die LDK, gründete die Initiative "Guxo!" (Trau dich!) und trat mit der VV bei den Wahlen am 14. Februar an. Grenell war weg, und Osmani und Kurti waren unschlagbar. Das Parteienbündnis bekam mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen.

Ihre alte Partei, die LDK, stürzte hingegen ab. Osmani war wie ein Phönix noch rechtzeitig aus der Altherren-Clique herausgeflogen. Mit ihr triumphierten viele, vor allem junge Frauen, die den alten Eliten, ihren korrupten Praktiken und ihrer Willfährigkeit ein Ende setzten.

Mit Kurti als Premier und Osmani als Präsidentin vollzieht sich nun nicht nur ein Generationswechsel, der Kosovo tritt auch aus der Nachkriegsära heraus, in der es um die Anerkennung der Unabhängigkeit ging.

Zweite Befreiung für den Kosovo

Osmani spricht von einer zweiten Befreiung des Landes. Sie will die alten Netzwerke ablösen, die sich bereicherten, korrupte Leute aus Justiz und Polizei entfernen und junge Eltern zu unterstützen. Ihre beiden eigenen Töchter und ihren Mann Prindon Sadriu, der im Außenministerium arbeitet, versuchte sie aus dem Wahlkampf rauszuhalten, sie selbst war aber in der Zeit an Covid-19 erkrankt und litt unter den körperlichen Folgen.

Ihr größtes Anliegen ist, dass mehr Frauen ins Berufsleben eintreten – zurzeit sind es offiziell nur 20 Prozent. Deshalb kämpft sie für mehr Kindergärten. 60 Prozent der Hochschulabsolventen sind zwar Frauen, aber die meisten Stellen werden doch mit Männern besetzt. Kurti und Omsani versprachen also, dass staatliche Stellen und Unternehmen angewiesen würden, die Gleichstellung der Mitarbeiter durchzusetzen.

Die Zuversicht und der Kampfgeist der kleinen Frau mit den langen schwarzen Locken sprang auf andere über. Unter Schülerinnen und Studentinnen machte sich Aufbruchsstimmung breit. Viele Frauen schlossen sich Osmani im Wahlkampf an.

So zog etwa die Deutschkosovarin Donika Gërvalla-Schwarz wieder in ihre Heimat und wurde nun Außenministerin. Auch die 30-jährige Anwältin Doarsa Kica gab ihren Job auf, um zu kandidieren. In der kosovarischen Regierung und im kosovarischen Parlament sitzen nun so viele Frauen wie noch nie zuvor.

Mächtig und populär

Osmani sticht heraus: Ihre Bodenständigkeit und Widerstandsfähigkeit bringen ihr mitunter den Vergleich mit der jungen Angela Merkel ein. Die Völkerrechtlerin, die an der Universität Prishtina unterrichtete, leitete im Parlament den Ausschuss für die europäische Integration. Mit ihrem perfekten Englisch – sie hat in der US-Industriestadt Pittsburgh studiert – ihrer Intelligenz und ihrer Selbstsicherheit galt sie bald als große politische Hoffnung.

Keine andere Politikerin in Südosteuropa ist nun so mächtig wie sie, keine so populär. Anders als im Fall der serbischen Regierungschefin Ana Brnabić, die Anweisungen vom "Chef", Präsident Aleksandar Vučić ausführt, steht hinter Osmani niemand – außer Osmani selbst.

Sitzt man etwa mit Kurti und ihr zusammen, so hört er ihr andächtig zu. Sie hat natürliche Autorität. Kurti und Osmani kennen einander übrigens lange. Der rebellische Politiker empfahl als Mitglied eines Komitees vor vielen Jahren die damalige Studentin Osmani für ein Stipendium.

Sie trägt auch Perlenkette

Anders als Kurti repräsentiert sie das bürgerliche Reformlager und trägt zuweilen Perlenkette. Sie geht aber auch zum Fußballmatch, ehrt die Opfer der Widerstandsbewegung und setzte sich vor allem erfolgreich dafür ein, dass Frauen, die im Krieg 1999 vergewaltigt wurden, entschädigt werden.

Zuweilen zieht sie ihre Augenbrauen hoch, wenn sie energisch wird. Sie kennt die Politik bereits gut, war etwa Beraterin des Ex-Präsidenten Fatmir Sediju und hat als Juristin daran mitgearbeitet, dass die Unabhängigkeit des Kosovo 2008 rechtlich als legitim erachtet wurde. Sie spricht vier Fremdsprachen und ist international bestens vernetzt, vor allem in Washington und Berlin. Aber sie ist keine Befehlsempfängerin wie viele vor ihr.

Osmani ist aber nicht die erste Staatspräsidentin des jüngsten Staates Europas. Im Kosovo hat das fast schon Tradition. Von 2011 bis 2016 hatte Atifete Jahjaga die Position inne, allerdings war sie von den Amerikanern ausgesucht worden. Osmani selbst meint, es sei entscheidend, dass der Kosovo nicht nur für eine Präsidentin bereit sei, sondern trotz Frauenfeindlichkeit und einer "patriarchalischen Mentalität, die Jahrhunderte lang aufgebaut wurde" auch für eine gestimmt hat.

Vorbei mit Bravsein

Mit dem Bravsein ist es nun jedenfalls vorbei: Wie viele ihrer Landsleute ist die überzeugte Proeuropäerin enttäuscht, dass die EU ihr Versprechen gegenüber Kosovo nicht gehalten hat und es keine Schengen-Visaliberalisierung gibt. Als Kritik aus Brüssel ertönte, weil die kosovarische Botschaft in Jerusalem und nicht in Tel Aviv eröffnet wurde, sagte sie: "Bevor die EU solche Kommentare macht, sollte sie lieber erklären, weshalb sie keine Visaliberalisierung gemacht hat."

Osmani findet auch, dass die EU mit ihrer Erweiterungsblockade dazu beiträgt, die Rolle Russlands und der Türkei zu stärken. Mit den Amerikanern will sie demnächst reden, weil sie einen Teil des Abkommens, das unter Trump geschlossen wurde, für rechtswidrig hält.

Auch in Belgrad ist man auf klare Ansagen gefasst: Osmani, die selbst als Kind im Krieg vertrieben wurde, sagt immer wieder, dass "Serbien sich nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzt und keine Gerechtigkeit schafft". Ihren serbischen Amtskollegen Vučić nannte sie jüngst eine Drama-Queen. Sie ist aber gelassen, obwohl Serbien den Kosovo nicht anerkennen will. "Der Kosovo ist hier, um zu bleiben", meint sie. Schmutzige Deals wie Grenzziehungen nach ethnischen Kriterien prallen an der Völkerrechtlerin ab.

Doch Kosovaren, die fälschlicherweise Veteranen-Pensionen beziehen, will sie die Privilegien streichen. "Wir sind nicht gewählt worden, um Angst vor Ärger zu haben", stellt sie klar. Und der wird wohl nicht ausbleiben. (Adelheid Wölfl, 10.4.2021)