Ein Chef fasst vor Kollegen die Brüste einer Handelsangestellten an. Als sich die Frau aufregt, sagt er nur, sie solle sich "nicht so anstellen". Daraufhin geht sie zur Arbeiterkammer (AK) Oberösterreich und erkämpft eine Schadenersatzzahlung. Ein Linzer Arbeitnehmer wird vom Chef dauernd beleidigt und mit Aufträgen überhäuft – nur um dann vor versammeltem Team ausgelacht zu werden, weil er diese nicht bewältigt hat. Nach einem Jahr wird der Mitarbeiter wegen des Mobbings psychisch krank – und schließlich gekündigt. Auch er kämpft mit der Arbeiterkammer gegen die Diskriminierung.

Die beiden Fälle stehen exemplarisch für physische, psychische und sexuelle Gewalt und Mobbing an Österreichs Arbeitsplätzen. "Gewalt am Arbeitsplatz ist ein Tabuthema, bei dem es auch wenige wissenschaftliche Daten gibt", sagt Eva Mandl, Arbeitspsychologin bei der Arbeiterkammer Oberösterreich. Am Mittwoch wurde der Forschungsbericht "Berufsrisiko Gewalt", den sie mitverfasst hat, präsentiert. Dafür wurden Daten von Beschäftigten, Betriebsräten und Experten herangezogen.

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Üble Nachrede, unangenehme Anspielungen, Beleidigungen und Beschimpfungen sind ganz oben auf der Liste der erlebten psychischen Gewalt im Job.
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Das Ergebnis: Im Vorjahr waren sieben Prozent der Beschäftigten von körperlicher Gewalt betroffen, acht Prozent wurden Zeugen davon.Sechs Prozent erlebten im Job bereits sexuelle Belästigung, vier Prozent sexuelle Übergriffe. Unter 30-jährige Frauen berichteten am häufigsten von solchen Erfahrungen.

"Ein Faustschlag ist sichtbarer, aber psychische Gewalt ist verbreiteter als physische", sagt Mandl. 16 Prozent der Beschäftigten gaben an, von Beleidigungen oder Beschimpfungen betroffen gewesen zu sein. Oft sagten das 15- bis 29-Jährige sowie Personen mit Migrationshintergrund. Üble Nachrede hat ein Drittel erlebt, ein Viertel unangenehme Anspielungen. Mobbing, Drohungen und Erpressungen betrafen bislang elf Prozent. Auch Ignoranz oder Ausgrenzung von Information zählt zu psychischer Gewalt. Zwischen den Geschlechtern gibt es da Unterschiede: Frauen sind eher Opfer psychischer und sexualisierter Gewalt, Männer von körperlicher.

Kunden als Risikofaktor

Das Risiko hängt auch von der Branche ab. Zum Beispiel ist es in jenen mit Kundenkontakt höher. In der Gastronomie, der Pflege oder im Handel und bei der Polizei. Oder Bankangestellte, die überfallen werden. Laut der AK-Studie betrifft Gewalt auch Beschäftigte, die in der Nacht tätig sind, Kontrolltätigkeiten im Betrieb verrichten, im Callcenter Beschwerden entgegennehmen sowie mit Personen in psychischen Ausnahmezuständen arbeiten.

Die Täterinnen und Täter sind einerseits oft Kundinnen und Kunden oder Patienten und deren Angehörige. Andererseits zeigt sich innerhalb der Organisation Gewalt zum Beispiel als Mobbing oder Beleidigungen im Team oder als unterschwellige Druckausübung der Führungskraft. Vielfach werde der Machtmissbrauch von oben auf die Hierarchieebenen nach unten weitergeleitet, sagt Mandl von der AK.

Seit der Pandemie hat sich die Situation am Arbeitsplatz mit den Lockdowns und Kurzarbeit, Ausnahmesituationen in den Spitälern, Hamsterkäufen in Supermärkten, missachteten Corona-Regeln und Homeoffice verschärft. Die aktuelle Situation berge Konflikte, vermuten die Meinungsforscher von Ifes. Das Institut hat für die Arbeiterkammer die Gewalterfahrung für das erste Quartal 2021 erhoben. Beschimpfungen, Beleidigungen, üble Nachrede und Mobbing haben in den ersten Monaten 2021 verglichen mit der Befragung 2019/2020 um je zehn Prozentpunkte zugenommen. Die Belästigung über Homeoffice-Tools und soziale Medien dürfte da in der Pandemie ein häufiger Weg sein. Aber auch die körperliche Gewalt im Job stieg um zwei Prozentpunkte. Im Gesundheitsbereich sei Gewalt stärker verbreitet.

Belastung und Auswege

Von Gewalt betroffen zu sein hat Einfluss auf die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, betont Arbeitspsychologin Mandl. Erhöhter Stress, Angstsymptome, Depressionen, Schlafprobleme oder Kopfschmerzen können die Folge sein. Auch Arbeitsmotivation und das Privatleben litten. Konflikte sind auch eine enorme Belastung für das Team und die Firma und schlagen sich in schlechtem Arbeitsklima, mehr Fehlzeiten oder Fluktuation nieder. Auch Imageverlust und finanzielle Kosten resultieren aus Gewalt.

Was kann also getan werden? Ein Mix aus vielen Maßnahmen hilft, sagt Mandl. Der Arbeitgeber muss ohnehin in seiner Fürsorgepflicht die Gesundheit der Angestellten schützen. Auch im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz sind Sicherheit und Gesundheit im Job geregelt.

Oftmals lägen die Ursachen für Konflikte aber in den Strukturen des Betriebs und nicht in individuellen Problemen zwischen Personen, weiß Psychologin Mandl: Personalmangel, enge Büros, schlechtes Führungsverhalten oder rassistische Kunden. Führungskräfte seien hier besonders gefragt, resümiert Johann Kaliauer, Präsident der AK Oberösterreich. Sie könnten eine gewaltfreie Kultur verankern, indem sie offen und vertrauensvoll darüber sprechen. Zudem helfen Schulungen, Supervision, Coaching und sogenannte Konfliktlotsen als Mediatoren im Betrieb, sagt Mandl.

Ein erster Schritt für Betroffene kann jedenfalls ein Gespräch mit der Chefin, dem Betriebsrat oder der Arbeiterkammer sein, wie es die erwähnte Handelsangestellte und der Arbeitnehmer gemacht haben. (Selina Thaler, 10.4.2021)