Die Arbeitnehmer im MAN-Werk in Steyr haben mit der Absage an den Verkauf ihrem Ärger Luft gemacht. Jetzt gilt es, die Schließung verhindern.

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Wien/Steyr – Katerstimmung am Tag nach der Abstimmung gegen den Verkauf des Lkw-Werks in Steyr an Investor Siegfried Wolf. Sozialpartner, Betriebsrat und Politik drängten erneut auf Verhandlungen mit der zu Volkswagen gehörenden Konzernmutter MAN um den Fortbestand des hundert Jahre alten Standorts über 2023 hinaus zu sichern.

Die lässt sich freilich bitten und wird dabei von Volkswagen-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, einem gebürtigen Österreicher, unterstützt. "In der Konsequenz dieses Ergebnisses muss MAN die Schließungspläne für das Werk wieder aufnehmen", wiederholte Pötsch anlässlich einer Veranstaltung der deutschen Handelskammer in Wien, was MAN seit Wochen predigt. Außer Wolfs Angebot lägen keine Alternativen vor, "die es lohnt weiter zu verhandeln".

Hoffnung auf Verhandlungen

Arbeiterbetriebsratschef Helmut Emler gab sich dennoch zuversichtlich, mit MAN doch noch in konstruktive Verhandlungen eintreten zu können und auf einen grünen Zweig zu kommen. Prompt öffnete MAN-Chef Andreas Tostmann die Tür einen Spalt. Die alternativen Ideen zu Wolfs Konzept unter der Marke Steyr seien zwar "alle nicht tragfähig" und daher eine Schließung unvermeidlich. "Sollte es auf dem Weg dorthin zügig eine Abbiegung geben, etwa durch neue Initiativen, versperren wir uns dem zwar nicht. Nur bleibt nicht mehr viel Zeit", betonte Tostmann. Eine Kürzung der Löhne sei aber unvermeidlich.

Klagen, etwa auf Einhaltung des im September seitens MAN aufgekündigten Standortsicherungsvertrags, bezeichnete Neo-Betriebsratschef Emler als das letzte Mittel, das nur unmittelbar vor der Schließung zum Einsatz käme, wenn quasi nichts mehr geht.

Betriebsvereinbarung oder nicht?

Wie scharf die Klinge dieses erst 2019 aufgesetzten Vertrags als Schwert im Abwehrkampf gegen Massenkündigungen tatsächlich sein wird, darüber gehen die Meinungen unter Fachleuten ziemlich weit auseinander. Universitätsprofessor Gert-Peter Reissner vom Institut für Arbeits- und Sozialrecht in Graz deutet "gewisse Inhalte dieser Vereinbarung als Inhalte einer echten, normativ wirksamen Betriebsvereinbarung". Insbesondere Punkt 4 der Standortsicherungsvereinbarung, wonach "betriebsbedingte Beendigungskündigungen bis zum 31. Dezember 2030 für alle Beschäftigten der MAN Truck & Bus ausgeschlossen" sind, stellten eine derartige "echte Betriebsvereinbarung" gemäß Arbeitsverfassungsgesetz dar, heißt es in der gutachterlichen Stellungnahme, die dem STANDARD vorliegt.

Damit wären Dienstgeberkündigungen wohl nicht generell für alle Zeit unwirksam, aber betriebsbedingte, also Personalabbau größeren Ausmaßes, der dem Arbeitsmarktservice zu melden ist, etwa aufgrund schlechten Geschäftsgangs. Falls die normative Wirkung dieses Kündigungsverzichts nicht gegeben sei, schreibt Reissner weiter, könnte selbiger Teil jedes einzelnen Arbeitsvertrages der Dienstnehmer geworden sein.

Gravierende Nachwehen

Die von MAN im Vorjahr überraschende Aufkündigung des Standort- und Beschäftigungssicherungsvertrags an sich ist laut der im Auftrag von Arbeiter- und Angestelltenbetriebsräten erstellten Expertise übrigens nicht rechtsunwirksam. Aber sie könne Nachwirkungen entfalten, die MAN teuer kommen könnten, weil die Kündigungsbeschränkung für jene Dienstnehmer weiter gilt, die zum Zeitpunkt der Kündigung einen aufrechten Dienstvertrag hatten.

Wie hart dieser Rechtsanspruch tatsächlich ist, wird wohl Gerichte beschäftigen. Die MAN-Geschäftsführung in Österreich schien diesbezüglich ebenfalls uneins. Eine Kontroverse über die Notwendigkeit von Rückstellungen in Höhe von 1,2 bis 1,5 Milliarden Euro in der Bilanz 2020 für allfällige Klagen endete im März mit dem Abgang eines Geschäftsführers – DER STANDARD berichtete.

Sehr skeptisch

Arbeitsrechtsprofessor Wolfgang Mazal von der Uni Wien ist diesbezüglich wenig optimistisch. Er verweist darauf, dass Arbeitnehmern in Steyr aus der Standortsicherungsvereinbarung 2019 keinerlei subjektive arbeitsrechtliche Ansprüche erwachsen.

Im Gegenteil. Der von MAN im September lediglich sicherheitshalber gekündigte österreichische Vertrag ist in seinem Bestand ausdrücklich an die deutsche Gesamtbetriebsvereinbarung gebunden. Betriebsbedingte Kündigungen von Arbeitnehmern seien nur während der Laufzeit ausgeschlossen gewesen. Aber: "Endet die deutsche Vereinbarung, geht auch die österreichische unter", sagte Mazal dem STANDARD. Daher enthalte der österreichische Pakt auch keine Bestimmungen zur Auflösung oder Kündigungsfristen.

Individuelle Ansprüche?

Eine Nachwirkung nach Vertragskündigung verneint Mazal: "Die gibt es nur, wenn es sich um eine Betriebsvereinbarung handelte, was aber nicht der Fall ist." Das gelte auch für einzelne Teile dieses Vertrags. Individuelle Ansprüche seien übrigens auch in Vorgängerverträgen ausdrücklich ausgeschlossen, verweist Mazal auf jene aus 2013 und 2015.

Vor der Auszählung in Pension

Gerüchte, der am Abend der Urabstimmung – noch vor Beginn der Auszählung der Stimmen – zurückgetretene Arbeiterbetriebsratschef Erich Schwarz wäre mit einem Golden Handshake in die Pension verabschiedet worden, erhärteten sich übrigens nicht. Der 65-Jährige, der im Werk Steyr einst als Lehrling begonnen hatte, bekommt zwölf Monatsentgelte Abfertigung, also keinen Cent mehr als einem Dienstnehmer nach mehr als 45 Jahren an gesetzlicher Abfertigung zusteht. Das geht aus der mit 7. April datierten Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung von Schwarz' Dienstverhältnis hervor, die dem STANDARD zugespielt wurde. (Luise Ungerboeck, 10.4.2021)