Europa verliert zunehmend an Gewicht in der Weltwirtschaft.

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In der Corona-Krise fällt Europa wirtschaftlich weit zurück. Die Länder Asiens erholen sich viel schneller, ebenso die USA. Dabei wirkt die Pandemie nur wie ein Beschleuniger bestehender Trends. Anfang der 1990er zählte der alte Kontinent viele der weltweit größten Wirtschaftsnationen – um 30 Jahre darauf von den Volkswirtschaften Asiens überholt zu werden. Drei Hauptursachen, warum Europa zurückfällt.

Der Westen verpasste seine Chance im Welthandel

Das vergangene Jahrhundert stand ganz im Zeichen der Globalisierung. In dieser Zeit wuchs der Welthandel um das Vierzigfache. Federführend bei dieser Entwicklung waren die USA, Westeuropa und Japan. Mit dem Aufstieg Chinas entstand eine verlängerte Werkbank für alles von der Barbiepuppe bis zum Smartphone. Der Löwenanteil der Wertschöpfung blieb in Händen der reichen Industrieländer.

Doch der alte Kontinent hat im Welthandel in den letzten Jahren an Bedeutung eingebüßt, das Gewicht hat sich weiter nach Asien verlagert. Im Osten entstehen wettbewerbsfähige Volkswirtschaften, die einen Wandel von der Billigproduktion hin zu Hightech vollziehen und somit neue Lieferketten um sich herum formen, sagt Birgit Meyer vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Die Politik hätte auf diesen Wandel besser reagieren können. "Brüssel hat es verabsäumt, mit vielen dieser Länder Handels- oder Investitionsabkommen zu schließen", sagt Meyer.

Inzwischen hat sich China im Vorjahr mit allen großen asiatischen Volkswirtschaften mit Ausnahme Indiens in der Regionalen, umfassenden Wirtschaftspartnerschaft (RCEP) zusammengeschlossen. Dazu gehören auch Industriestaaten wie Japan, Südkorea und Australien. Immerhin steht die EU kurz davor, ein Investitionsabkommen mit China zu unterzeichnen. Brüssel will damit fairen Wettbewerb forcieren. Peking stütze mit Subventionen einheimische Konzerne und schaue beim Schutz geistigen Eigentums weg, lautet der Vorwurf.

Dass man direkt mit Peking verhandelt, liegt auch daran, dass Washington die großen Handelspakte mit Europa und den pazifischen Anrainerstaaten nicht in trockene Tücher gebracht hatte. Vom Stillstand gelangte man in den Rückwärtsgang: Mit dem Protektionismus unter Donald Trump wurden Zölle hochgezogen statt Barrieren abgebaut. Hätten die EU und die USA unter sich sowie zusammen mit vielen der aufstrebenden Nationen rund um China ein modernes Regelwerk für Handel und Investitionen aufgestellt, müsste sich Peking eher an Standards bei der Sicherheit, im Umweltschutz und Wissenstransfer halten, bedauern Handelsexperten.

"Der Zug ist noch nicht abgefahren", sagt Meyer, "denn der Welthandel verlagert sich zunehmend von Gütern auf Dienstleistungen." Hier spiele die Wissensökonomie eine größere Rolle, in der Europa durchaus punkten könne.

Europa verliert bei Zukunftstechnologien den Anschluss

Lange war Europa im Mobilfunk führend, die finnische Nokia war weltweit die Nummer eins bei Endgeräten. Bis sich Mitte der 2000er mit der Erfindung des Smartphones die Welt wandelte: Apple und asiatische Erzeuger beherrschen nun den Markt, während Europas Anbieter die Entwicklung verschliefen und bei Smartphones keine bedeutende Rolle mehr spielen. Diese Entwicklung droht sich nun zu wiederholen, warnt Harald Oberhofer, stellvertretender Leiter des Instituts für Internationale Wirtschaft an der WU Wien – und zwar in einem für Europa sehr bedeutenden Sektor: der Automobilerzeugung.

Wieder ist es mit Tesla ein US-Unternehmen, das mit einer Art fahrenden Smartphone mit Elektroantrieb neue Maßstäbe gesetzt hat. Neuerlich drohen Europas Anbieter, die sich nur zögerlich von Verbrennungsmotoren lösen, von dieser Entwicklung überrollt zu werden. Anders in China: Dort hat der Staat viel Geld in die Hand genommen, um mit eigenen Herstellern – teils geleitet von aus Europa abgeworbenen Managern – vorne mitzumischen. Da der europäische Sektor mit Verbrennern kurzfristig erfolgreich sei, dämpfe dies den Innovationsdruck, sagt Oberhofer. "Dann ist das Risiko da, die Entwicklung zu verschlafen." Ob es tatsächlich so kommt, werde sich in einigen Jahren zeigen.

Aus China kommen längst innovative Smartphones, die Software liefert freilich der US-Konzern Google.
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Anders bei Digitalisierung und Internet, wo Europa in machen Bereichen längst abgehängt wurde. Während es in China mit Alibaba und Wechat Pendants zu Amazon und Facebook gibt, sind die User am alten Kontinent gewissermaßen Trittbrettfahrer bei US-Anbietern. Was laut Oberhofer auch am strengen Umgang mit Daten liegt, der Europa nicht zum attraktivsten Standort für das Geschäft mit Big Data und künstlicher Intelligenz mache. Ähnliches gelte auch für neue Zahlungsmethoden über das Smartphone wie Apple Pay oder das chinesische Alipay, während in Europa Bargeld nach wie vor beliebt ist – auch die Mentalität der Bürger kann zur Innovationsbremse werden. Hinzu kommt, dass fremde Patentrechte in China mitunter abgekupfert werden – in Europa undenkbar.

Weiterhin führend ist der alte Kontinent gewissermaßen in der Old Economy. Gemeint ist die Sachgütererzeugung, also klassische Industrie wie Chemie oder Maschinenbau, wovon Europa viel exportiert. Wie sich allerdings zeigt, ist dies alleine wohl keine langfristige Erfolgsstrategie.

Alterung setzt Grenzen des Wachstums

Europas Bevölkerung hat den Plafonds erreicht. Rund 450 Millionen Menschen leben in der EU. Prognosen gehen davon aus, dass die Bevölkerung bis 2030 stabil bleibt und von da an allmählich schrumpft. Durch die Alterung sinkt die arbeitsfähige Bevölkerung in Ländern wie Deutschland oder Österreich bereits heute.

Ähnlich ergeht es China, wo die Ein-Kind-Politik dazu führte, dass die Bevölkerung nun altert und in einem Jahrzehnt zu schrumpfen beginnen soll. Seit 2016 dürfen Paare in China zwei Kinder haben, aber der erhoffte Babyboom blieb aus. Japan ist in dieser Entwicklung voraus, die Bevölkerung altert stark und schrumpft bereits seit einem Jahrzehnt.

Anders entwickeln sich die USA, dort soll die Bevölkerung kontinuierlich wachsen, selbst in Szenarien, die von niedriger Immigration ausgehen, wie eine Auswertung der Brookings Institution zeigt. Indien ist mit seiner jüngeren Bevölkerung im Begriff, China als bevölkerungsreichstes Land zu überholen, Indonesien steuert ebenso zielstrebig auf 300 Millionen Einwohner bis 2030 zu.

In Japan schrumpft die arbeitsfähige Bevölkerung schon länger. Roboter könnten mehr Aufgaben wie Lieferdienste übernehmen.
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Diese Trends beeinflussen das Gedeihen von Volkswirtschaften wie kein anderer Faktor. Noch nie in der Geschichte habe es Wirtschaftswachstum ohne steigende Bevölkerung gegeben, warnte die EU-Kommission bereits im Jahr 2005. In den vergangenen 1000 Jahren lasse sich etwa die Hälfte des Wirtschaftswachstums auf die Bevölkerungsentwicklung zurückführen, betont Ruchir Sharma, Leiter der Strategieabteilung bei Morgan Stanley Investment Management in seinem jüngsten Buch über erfolgreiche Volkswirtschaften.

Demnach muss sich die Welt auf eine geringere Dynamik einstellen: Im Jahr 1980 wuchs die arbeitsfähige Bevölkerung in 17 der 20 größten Volkswirtschaften über zwei Prozent im Jahr. Heute erreicht von den größeren Schwellenländern diesen Wert nur Nigeria.

Staaten werden vermehrt versuchen, den Mangel an Arbeitskräften zu bremsen. Zur Wahl stehen eine offene Migrationspolitik, Förderung von Familienplanung durch Kindergeld und Betreuungsangebote, spätere Pensionsantritte und nicht zuletzt Investitionen in Roboter, listet Sharma auf. Natürlich sind all das positive Impulse aus Sicht eines Investors. Für den einzelnen Bürger reicht es wohl, wenn der Wohlstand pro Kopf stabil bleibt. Hier haben die reichen Industrieländer noch beträchtlichen Vorsprung. (Alexander Hahn, Leopold Stefan, 10.4.2021)