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"Halbgar", "langweilig", "was für ein Fehlschlag". Der neue Platformer Balan Wonderworld (Windows, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series S/X, Switch) wird in der Gamespresse dieser Tage durch den Fleischwolf gedreht. Wer die Rezensionen liest, könnte den Eindruck bekommen, es mit einem der schlechtesten Spiele der zumindest jüngeren Vergangenheit zu tun zu haben.

Elf Stunden lang habe ich mich dem Game mittlerweile gewidmet, und wer mich kennt, der weiß, was das bedeutet. In der Regel fliegen Spiele, die mich nicht fesseln können, nach zwei Stunden vom System. Titel, die rezensiert werden, bekommen natürlich eine längere Frist, allerdings nicht elf Stunden. Dazu kommt, dass der Test eigentlich gar nicht geplant war. Nach dem Anspielen der Demoversion hatte ich allerdings große Lust auf mehr. Was ich damit eigentlich sagen will: Balan Wonderworld verdient die Häme nicht.

IGN

PC-Version als liebloser Konsolenport

Ja, das Game aus dem Hause Square Enix hat seine unbestreitbaren Schwächen. Eine wäre etwa, dass die PC-Version technisch gesehen ein recht liebloser Konsolenport ist. Es gibt nur rudimentäre Grafikoptionen, keine Möglichkeiten, erweitertes Antialiasing oder andere Effekte einzuschalten, um die Ressourcen meines Computers besser zu nutzen.

Im Gegenteil: Mit maximal 60 Frames pro Sekunde läuft das Game, mehr werden einfach nicht unterstützt. Dass mein Monitor auch das Doppelte schafft, ist dem Spiel egal. Auch die Menüführung, die ein wenig ans Playstation-2-Zeitalter erinnert, stimmt mich in diesem Belang nicht gnädiger. Und mit 60 Euro darf man den Preis für das Spiel auch getrost als "mutig" bezeichnen.

Im Kampf gegen böse Geister

Das Game lässt den Spieler als Kind – Emma oder Leo – in eine Fantasiewelt eintauchen, in die es die mysteriöse Hutfigur Balan verfrachtet hat. Diese wird von einem Finsterling heimgesucht, der den Frust von Menschen dazu nutzt, Ungemach zu säen. Welt für Welt hilft man ihnen aus der Patsche: dem Bauern, dem es die Maisernte weggestürmt hat, dem jungen Tüftler, der es einfach nicht schafft, ein funktionierendes Flugzeug zu bauen, dem Mädchen, das um seine Katze trauert, oder der Schach-Großmeister, der mit Niederlagen nicht mehr umgehen kann.

Ausgangspunkt ist die Insel der Tims, ein schwebender, paradiesischer Fleck Erde, auf dem kleine pelzige Tierchen wohnen. Diese füttert man mit Kristalltropfen, die man in den Levels findet. Haben sie genug gefressen, legen sie Eier, aus denen neue Tims schlüpfen. Eier lassen sich auch während der Abenteuer aufspüren. Mit den Tims baut man als Nebenaufgabe einen Turm auf, auf dem sie sich vergnügen und dessen höherer Zweck, sofern vorhanden, sich wohl erst nach Fertigstellung weisen wird. Ein paar der quietschenden Fellbälle kommen auch immer mit auf die Reisen und machen sich dort gelegentlich nützlich, indem sie Gegner herumschubsen, Tropfen sammeln oder Eier aus Winkeln holen, an die man selbst nicht herankommt.

Minimalistische Steuerung, riesige Garderobe

Die Entwickler sind offenkundig mit der Prämisse an die Arbeit gegangen, ein möglichst zugängliches Spiel zu machen. Dementsprechend gibt es neben der Richtungssteuerung auch nur eine Aktionstaste und zwei Buttons zum Wechseln der Kostüme, die man in dem Spiel findet. Das Gameplay ist auch rund um das Konzept dieser Kostüme gebaut, von denen es in jeder Welt eine Reihe zu entdecken gibt. Insgesamt 80 verschiedene können gefunden werden, den Großteil davon entlang des schwer zu verfehlenden "Hauptpfades" jeder Welt. Wieder andere sind etwas versteckter.

Die Bandbreite ist groß. Mal wird man zum Gecko, der sich mit seiner Zunge an bestimmte Stellen ziehen kann. Ein andermal ist man ein Klingen-werfendes Insekt, dann wieder ein wandelndes Zahnrad, ein Schaf, das schweben kann, oder ein Fuchs, der sich regelmäßig in eine unverwundbare Box verwandelt. Die Bandbreite ist allerdings nicht so groß, wie die schiere Zahl von insgesamt 80 Verkleidungen vermuten lässt, und auch die Nützlichkeit schwankt beachtlich. Manche reichen zum Durchqueren des Großteils vieler Level, andere wiederum benötigt man nur für bestimmte Situationen. Bis zu drei davon können ausgerüstet werden. Nimmt man Schaden, verliert man das aktuell getragene.

Square Enix

Sehr wichtig sind auch goldene Balan-Statuetten, die in den Levels verteilt sind. Denn sie sind der Schlüssel, um weitere Welten freizuschalten – und ein wenig das Pendant zu den Sternen in Super Mario 64. In den Bosskämpfen lassen sich durch den Einsatz unterschiedlicher Attacken bis zu drei verdienen, für den Rest müssen die Level erkundet werden. Dabei kommt man auch nicht umhin, frühere Welten erneut zu besuchen, denn manche der Statuetten sind mit dem Kostüm-Arsenal der jeweiligen Welt gar nicht zu erreichen. An den Checkpoints, an die man auch zurückgesetzt wird, sollte man alle drei Kostüme verlieren und dann erneut Schaden nehmen, kann man aber auch die Garderobe betreten und sich mit allen Verkleidungen ausrüsten, die man bisher gefunden hat.

Dabei gibt es jedoch einen Wermutstropfen: Ein einmal entdecktes Kostüm ist nicht dauerhaft freigeschaltet, sondern wird bei jedem Aufsammeln "eingelagert". Sie können also auch ausgehen, was mitunter bedeuten kann, dass man in ein Level zurück muss, nur um eine bestimmte Verkleidung wieder zu "holen". Ärgerlich ist das bei Kostümen, die tatsächlich einzigartig sind (etwa "Hothead", mit dem bestimmte Fackeln und Lunten angezündet werden können), weniger bei solchen, die im Prinzip das Gleiche tun wie manche andere. Allein für weiteres Springen bzw. Gleiten gibt es eine ganze Palette an Outfits.

Fantastische Levels, wunderschöner Soundtrack

Ankreiden kann man dem Spiel auch, dass die Widersacher abseits der Welt-Endgegner keine wirkliche Herausforderung sind. Und auch ein Teil der Quicktime-Events, mit denen sich der eigene Kristall-Kontostand vermehren lässt, liefert eher dröge Minigames.

Die Stärke des Games liegt in seinem Leveldesign, das Spieler zum Erkunden und Knobeln anregt, um an die begehrten Statuetten zu gelangen. Bei der grafischen Umsetzung und musikalischen Untermalung der verschiedenen Welten haben die Verantwortlichen offenkundig viel Freude gehabt, die sich direkt ins Spiel übersetzt. Die Levels haben alle einen sehr individuellen, charmanten "Vibe" mit allerlei durchgeknallten Elementen an allen Ecken und Enden. An Fantasie steht Balan Wonderworld hier Games wie Mario 64 in nichts nach.

Square Enix

Das setzt sich nahtlos bei den Endgegnern fort, bei denen eine skurrile Gestalt die nächste Jagd. Diese Kämpfe sind auf den ersten Blick recht einfach, wenn man sich nur auf eine meist sehr offensichtliche Angriffsmethode beschränkt. Die Kunst liegt eher darin, herauszufinden, wie sich die eigenen Kostüme noch einsetzen lassen, um den Bossen zuzusetzen. Drei Möglichkeiten gibt es jeweils, und wer sie alle anwendet, bekommt auch drei Statuetten spendiert.

Zur von Fantasie nur so strotzenden grafischen Umsetzung gesellt sich ein famos guter Soundtrack, der die Atmosphäre fast jeden Levels perfekt in Musik übersetzt. Überall tauchen außerdem tanzende Figuren auf, und nach jedem überstandenen Bossfight gibt es zusätzlich eine kleine Vorführung. Fallweise macht sich Balan Wonderworld aus wie ein spielbares Musical.

Fazit

Es ist genau dieser Vibe, diese Mischung aus Mario und Alice im Wunderland, der mich weiter und trotz seiner Schwächen immer wieder in die Balan Wonderworld zurückkehren und so manchen Level erneut spielen lässt. Ich möchte wissen, wie die nächsten Welten aussehen, ihre Umwege, versteckten Ecken und geheimen Schalter finden und ausknobeln, wie man doch an diese oder jene unerreichbar scheinende Statuette gelangen mag.

Gleichzeitig verstehe ich, warum man das Game auch nicht mögen kann. Manche wollen auch abseits der Endgegner von Widersachern gefordert werden, haben auch keine Muße, noch einmal in frühere Levels abzutauchen, oder lassen sich frustrieren, wenn das Lieblingskostüm ausgeht und wieder beschafft werden muss. Auch wenn ich mir wünschen würde, dass die Entwickler insbesondere bei letzterem Punkt nachbessern, vermag die geballte künstlerische Kreativität, die in diesem Werk steckt, mir zu helfen, über diese Probleme hinwegzusehen.

In einem Punkt muss dieser Eindruck aber relativiert werden. So schön Balan Wonderworld auch ist, mit der Preisvorstellung von 60 Euro ist Square Enix übers Ziel hinausgeschossen. Wer dem Game seine – verdiente – Chance geben möchte, sollte zum einen vorher die Demo spielen, und zum anderen zuwarten, bis es um einen faireren Preis zu haben ist. (Georg Pichler, 13.4.2021)