Am Samstag bemühten sich Kanzler Kurz (li.) und sein Vize Kogler noch, Einigkeit vorzutäuschen. Doch hinter den Kulissen scheint es zu brodeln.

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Wien – Am Samstagvormittag schien die türkis-grüne Welt noch in Ordnung zu sein. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) präsentierten ihre Ideen für einen wirtschaftlichen "Comebackplan" zur Bewältigung der Krise. Sie traten gemeinsam vor die Medien; ließen sich ablichten, wie sie im Gleichschritt und voller Harmonie durch den Garten des Palais Schönburg spazierten. Nicht ganz eineinhalb Stunden später verschickte die ÖVP-Bundespartei eine Aussendung: "Nächster Kogler-Vertrauter bekommt Versorgungsposten" – eine offensive Attacke gegen den eigenen Koalitionspartner.

Nach dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigung" agiert die ÖVP im Rahmen der derzeit laufend aufpoppenden Affären nun schon länger. Zuerst wurde die ermittelnde Justiz kritisiert, seit der Veröffentlichung hochbrisanter Chatnachrichten, die türkisen Postenschacher nahelegen, weisen ÖVP-Funktionäre auf Postenbesetzungen durch andere Parteien hin. Nun stehen also die Grünen im Fokus: Der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Andreas Hanger unterstellt Kogler, wiederholt engen Vertrauten zu staatsnahen Jobs verholfen zu haben. Aber wie war das alles wirklich?

Grüne Netzwerke? Oder türkise?

Konkret geht es um Josef Meichenitsch, der zum Aufsichtsrat in der Abbag, der Verwertungsgesellschaft der Hypo Alpe Adria, bestellt wurde. In hämischem Ton bezichtigt Hanger den Vizekanzler, "den Begriff Green Jobs offenbar falsch verstanden" zu haben. Es werde "immer klarer ersichtlich", dass die Grünen mit "Green Jobs" in Wahrheit meinen würden, "fleißig Postenversorgung für ihre grünen Parteifreunde" zu betreiben, erklärt Hanger in der Aussendung.

Als weitere Beispiele nennt der ÖVP-Mandatar den ehemaligen Grünen-Abgeordneten Dieter Brosz, der Sport-Abteilungsleiter in Koglers Ministerium wurde; den ehemaligen Büroleiter des grünen Klubs, Marc Schimpel, der nun Geschäftsführer der Covid-19-Finanzierungsagentur Cofag ist; und die ehemalige grüne Bezirksrätin Karin Tausz, die man in den Aufsichtsrat der Austro Control entsandt hat. Darüber hinaus ortet Hanger "grüne Netzwerke" hinter der Bestellung von Kathrin Vohland zur Direktorin des Naturhistorischen Museums. Die Deutsche sei ebenfalls als Grünen-Politikerin aktiv gewesen.

Was Hanger nicht erwähnt: Der grüne Schimpel ist Teil einer Doppelspitze in der Cofag. Er leitet die Geschicke zusammen mit Bernhard Perner, früher Kabinettsmitarbeiter im ÖVP-geführten Finanzministerium. Perner ist darüber hinaus auch Geschäftsführer der Abbag, wo Meichenitsch nun bald Aufsichtsrat werden soll.

Kogler wollte zwei neue Aufsichtsräte

Hier wird die Geschichte besonders skurril: Denn Meichenitsch, der bei den Regierungsverhandlungen im Team der Grünen saß , war noch gar nicht darüber informiert worden, dass er diese Funktion tatsächlich bekommt.

Der Abbag-Aufsichtsrat besteht aus vier Personen. Zwei werden vom Finanzministerium bestellt, zwei vom Vizekanzler in Absprache mit dem Finanzministerium, das die Bestellung letztlich absegnet. Das Finanzministerium hatte Kogler vorgeschlagen, den gesamten bisherigen Abbag-Aufsichtsrat zu verlängern. Der Grünen-Chef wollte die zwei Kontrollore, die er bestellen kann, aber selbst auswählen. Sein Ressort schlug neben Meichenitsch auch die Finanzrechtsexpertin und Universitätsprofessorin Sabine Kirchmayr-Schliesselberger vor. Meichenitsch ist Abteilungsleiter bei der Österreichischen Nationalbank. Er wurde freilich vor seiner Nominierung gefragt, doch vor einer fixen Zusage wurde die Aussendung Hangars publik.

Wer wusste was, wann und von wem?

Ein Frage, die sich dabei aufdrängt: Woher wusste der türkise Abgeordnete überhaupt, dass Meichenitsch zum Abbag-Aufsichtsrat bestellt wird? Selbst Vizekanzler Kogler erfuhr laut eigener Auskunft aus den Medien, dass sein Vorschlag angenommen wurde. ÖVP-Mandatar Hanger gibt sich Sonntagnachmittag auf STANDARD-Nachfrage zugeknöpft: Die Information sei Ergebnis einer "klubinternen Recherche", die er auf eigene Faust angestellt habe. Ob der Finanzminister ihm die Information gab? "Nein", sagt Hanger. Er habe aufzeigen wollen, dass die Diskussion um Postenbesetzungen im ÖVP-Dunstkreis "an Doppelbödigkeit nicht zu überbieten" sei.

Am Sonntagabend meldete sich plötzlich der ÖVP-Parlamentsklub beim STANDARD und bat um eine Klarstellung: Denn nun hieß es, man habe die Information über Meichenitschs Bestellung aus der Samstagsausgabe der Kronen Zeitung erfahren. Dort ist tatsächlich eine Meldung dazu erschienen. Allerdings bleibt vorerst unklar, wie diese Information aus dem Finanzministerium an die Krone gehen konnte, bevor der Vizekanzler oder der Bestellte selbst davon erfuhren.

Die Veröffentlichung – durch Hangers Aussendung vom Samstag sowie in der Kronen Zeitung – verletzt nach Einschätzung des Verwaltungsjuristen Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck nun allerdings die Amtsverschwiegenheit. Im aktuellen Fall bestehe ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen, also Meichenitschs. Der sei schließlich verpflichtet, seinem Arbeitgeber, der Nationalbank, eine solche Nebentätigkeit wie jene im Abbag-Aufsichtsrat zu melden. "Es ist eine sehr ungute Situation, wenn der Betroffene und sein Arbeitsgeber das aus den Medien erfahren", sagt Bußjäger. Dass diese Information womöglich aus dem ÖVP-geführten Finanzministerium über einen ÖVP-Abgeordneten an die Öffentlichkeit drang, deute – "ohne etwas unterstellen zu wollen", wie es Bußjäger vorsichtig ausdrückt – auf "Unsauberkeiten" hin.

7.000 Euro im Jahr für Aufsichtsrat

Übrig bleibt die Frage: Haben die Grünen Posten an Günstlinge vergeben – und ist das vergleichbar mit der Besetzung von Thomas Schmid? Der hat – so legen es die Chats nahe – an der Ausschreibung seines aktuellen Jobs als Alleinvorstand der Staatsholding Öbag selbst mitgeschrieben und den Aufsichtsrat, der ihn später bestellt hat, mitausgesucht.

Jedenfalls muss man zwischen von Ministerien zu besetzenden Aufsichtsratsposten in staatsnahen Betrieben und ausschreibungspflichtigen Topjobs in der Republik differenzieren. Aus rechtlicher Perspektive sei die Veröffentlichung der Chat-Protokolle mit öffentlichem Interesse an Aufklärung zu begründen, erklärt Bußjäger. "Denn hier entsteht der Anschein, dass rund um diese Vorstandsbestellung strafbare Handlungen gesetzt wurden." Zudem gehe es bei Öbag-Vorstand Schmid um einen Job mit einem Jahresgehalt zwischen 400.000 und 610.000 Euro – je nach Erfolgsprämien. Anders gestalte sich der Fall bei der Bestellung Meichenitschs zum Abbag-Aufsichtsrat, sagt Bußjäger: "Hier gibt es nicht einmal einen Hinweis auf rechtlich falsches Vorgehen. Und der Posten ist ein vergleichsweise belangloser." Tatsächlich erhielten die Abbag-Aufsichtsräte 2019 eine Jahresvergütung von 7.000 Euro pro Person.

Die Grünen zeigen sich überrascht, dass der Koalitionspartner so aggressiv agiere und auf sie losgehe. Man führe das auf eine gewisse Nervosität zurück. Dass manche eigene Besetzung – wenn auch rechtlich in Ordnung und in einer völlig anderen Größenordnung – kein schlankes Bein mache, sieht man bei den Grünen so nicht. Alle Kandidaten seien unbestritten qualifiziert. (Steffen Arora, Katharina Mittelstaedt, 11.4.2021)