Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden gilt als ein mögliches Vorbild für das HGM. Es wurde 2011 neu eröffnet.

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"Ohne Bilder vom Krieg und seinen Auswirkungen kann man sich keine Vorstellung von der Wirklichkeit machen", sagt Gorch Pieken.

Pieken

Im angestoßenen Erneuerungsprozess für das Heeresgeschichtliche Museum (HGM) wird ein mögliches Vorbild häufig genannt: das im Jahr 2011 inhaltlich wie architektonisch neu aufgestellte Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden (MHM).

Als Projektleiter zwischen 2006 und 2011 sowie danach als Direktor bis 2017 war der Historiker Gorch Pieken wissenschaftlich für das MHM verantwortlich. Nun war er Mitglied in der elfköpfigen Expertenkommission, die das HGM unter die Lupe nahm. Der Bericht der Kommission sieht große Mängel im HGM: Unkritische Habsburg-Verklärung, Militärgeschichte aus der Perspektive des Feldherrenhügels und wissenschaftlich aus der Zeit gefallen, lautete der Befund.

STANDARD: Muss das HGM in Wien völlig neu gedacht werden?

Pieken: Nichts ist von Dauer in der Geschichte, und das gilt auch für historische Dauerausstellungen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Ausstellungsbereiche, die fünfzehn oder fünfunddreißig oder im Kern gar fünfundsechzig Jahre alt sind, nicht immer dem aktuellen Forschungsstand entsprechen. Das gilt auch für die Publikumsansprache, die noch vor zehn Jahren eine andere war als heute.

Das HGM ist ein Schatzhaus mit Strahlkraft selbst über Europa hinaus. Aber gerade darin besteht auch eine Herausforderung für die Museumsleitung. Bei aller Faszination, die von den Exponaten ausgeht, muss bedacht werden, dass sie nur zu denjenigen sprechen, die ihre "Sprache" beherrschen. Gegenüber Menschen ohne Fachwissen "schweigen" die Objekte. Und wen die Aura des Exponats nicht affiziert, wer von Ausstellungen auch Erklärungen und Orientierung erwartet, der wird sich ebenfalls nicht angesprochen fühlen.

STANDARD: Angesprochen fühlten sich bislang sehr wohl Rechtsextreme, Monarchisten, Militaristen. Wer für alle offen ist, ist nicht ganz dicht, oder?

Pieken: Ein und dieselbe Ausstellung kann von verschiedenen Besuchern ganz unterschiedlich wahrgenommen werden. Unstrittig sollte aber sein, dass ein Museum zum einen Orientierung gibt und auch Positionen vertritt, zum anderen aber Geschichte und Traditionen als Diskussionsfelder öffnet. Es soll ein Ort eines demokratischen Austauschs und von Debatten sein.

STANDARD: Militärmuseen dienen aber nach wie vor in vielen Staaten der patriotischen Erbauung. Bis zu welchem Grad darf das noch Platz haben?

Pieken: Ein Militärmuseum gerade im Organisationsbereich eines Verteidigungsministeriums ist ein Ort, Traditionen aufzuzeigen und auch Brüche in diesen Traditionen zu thematisieren. Es kann kein vereinheitlichtes nationales Geschichtsbild verordnet oder überhaupt für wünschenswert erklärt werden. Militärgeschichte ist kompliziert und ein umstrittenes Feld – und von positiven und negativen Mythen durchzogen. Museen sind als Foren denkbar, auf denen sehr verschiedene Positionen miteinander argumentieren. Dabei sollte geschichtliche Besinnung mit kritischer Auseinandersetzung und Wertung verbunden werden.

STANDARD: Als Vorbild für ein neues HGM wird das unter Ihrer Leitung 2011 neu konzipierte Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden bezeichnet. Was war der wichtigste Aspekt dieser Neuausrichtung?

Pieken: Wir hatten die Chance, ganz neu anzufangen, auf rund 10.000 Quadratmeter in einem Neubau mit einem sanierten Altbau. "Ambivalenz" und "Kontextualisierung" wurden Leitbegriffe für uns. Das bedeutet, Militaria nicht isoliert und Geschichte nicht in erstarrten historischen Prozessen darzustellen, sondern in größere ökonomische, ereignis- oder kulturhistorische Zusammenhänge einzubinden.

Das MHM versteht sich nicht so sehr als ein Haus der Sinnstiftung, sondern mehr als eines der Denkstiftung. Es gibt in Dresden wenig Herrscherlob und keine Verherrlichung der Macht. Dafür bietet gerade die deutsche Geschichte auch wenig Anlass, und dafür ist einfach zu viel Blut geflossen. Und das zeigen wir. Das ist eher ungewöhnlich für Ausstellungen in militärhistorischen Museen, die meist unter Hämaphobie leiden. Ohne Bilder vom Krieg und seinen Auswirkungen kann man sich aber keine Vorstellung von der Wirklichkeit machen, auch nicht von der aktuellen Einsatzrealität von Soldaten und Soldatinnen.

STANDARD: Das MHM zeigt sich also gesellschaftspolitisch reflektiert, es hat aber auch Publikum verloren. Vergrault man also angestammte Besucher, die sich klassische Waffenschau und Uniformen erwarten und kein Seminar in Konflikttheorie wollen?

Pieken: Das MHM ist beides: Museum für ein vielgestaltiges Publikum und Fachmuseum, in dem viele Waffen ausgestellt werden, Heereskunde, Operationsgeschichte und Technikgeschichte. Dadurch, dass sich das MHM für zwei Zugänge zur Militärgeschichte entschieden hat, die sich methodisch und räumlich unterscheiden – wenn auch mit zahlreichen Überschneidungen und Bezügen –, ist die soziale Reichweite des MHM größer und nicht kleiner geworden. Die Mischung macht es aus, um das militärerfahrene und militäraffine Publikum bei der Stange zu halten und neue Besucher für Militär- und Zeitgeschichte und damit auch für aktuelle sicherheitspolitische Fragestellungen und die Bundeswehr selbst zu interessieren.

STANDARD: Die österreichische Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hat bekundet, den Vorschlägen der Kommission folgen zu wollen. Nun machen aber rechtskonservative Kreise Druck, alle Reformpläne fallen zu lassen. Was wird hier verteidigt?

Pieken: Ich kenne die Gegenargumente nicht, kann daher nicht konkret auf sie antworten. Der Kommissionsbericht sollte aber als eine Möglichkeit verstanden werden, mit neuem Schwung und Ressourcen sich auf das Kerngeschäft der Dauerausstellung zu fokussieren, wozu auch die Beseitigung baulicher Mängel gehört, um das Haus ins 21. Jahrhundert zu führen. Der Legitimationsdruck gerade auf große Museen, sich gegenüber der Gesellschaft weiter zu öffnen, wird eher noch zu- als abnehmen.

STANDARD: Die rechte FPÖ, die über Freundeskreise stark hineinwirkt ins HGM und Heer, will das Haus am liebsten so belassen, wie es ist. Es gibt also keine Gegenargumente. Die Evaluierung wird als linker Angriff empfunden und grosso modo abgelehnt.

Pieken: Ein erstes wichtiges Ergebnis des Kommissionsberichts ist ja, dass er die große Bedeutung des HGM bestätigt hat. Mit der Folge, dass eine erste Finanzspritze in Millionenhöhe schon eingetroffen war, noch ehe die Kommission ihre Arbeit beendet hatte. Der Kommissionsbericht legt nichts fest und empfiehlt, einen Strategieprozess zu beginnen, dessen Ausgang vollkommen offen ist – und an dem sich viele gesellschaftliche Gruppen beteiligen können. Der Bericht ist daher kein Angriff, sondern eine Chance, sowohl für den Erhalt der Gebäude als auch für den Lernort Museum.

STANDARD: Das MHM ist wie das HGM institutionell an Heer und Verteidigungsministerium angebunden. Sie wissen es aus eigener Erfahrung: Wie frei ist ein Museum da wirklich?

Pieken: Ich habe auch viel Museumserfahrung mit Häusern in anderer Trägerschaft. Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftspluralismus betreffend gibt es zwischen diesen und beispielsweise dem MHM keinen Unterschied. Eines war aber wichtig: 1998 wurde ein wissenschaftlicher Beirat eingesetzt. Dieses Gremium aus unabhängigen Experten erwies sich als entscheidend bei der Umsetzung und vor allem Durchsetzung eines modernen Museumskonzepts und neuer Sichtweisen und Ideen.

STANDARD: Ein solcher Beirat wird nun auch fürs HGM gebildet. Und die Museumsleitung wird neu ausgeschrieben. Würden Sie sich bewerben?

Pieken: Zum Erfolg der Neukonzeption des MHM hat maßgeblich der ehemalige Direktor des HGM beigetragen, Manfried Rauchensteiner. Auch vor diesem Hintergrund kann ich mir eine Mitarbeit im Museumsbeirat des HGM sehr gut vorstellen, eine andere Aufgabe aber nicht. (INTERVIEW: Stefan Weiss, 12.4.2021)