Medizinisches Personal legt auf einer Intensivstation des RKH-Klinikums Ludwigsburg einem Covid-19-Patienten einen Zugang für die künstliche Beatmung.

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Dramatisch: So beschreibt Klaus Markstaller, Leiter der Uniklinik für Intensivmedizin am Wiener AKH und Präsident der Gesellschaft für Intensivmedizin, auf Ö1 die derzeitige Situation auf heimischen Intensivstationen. "Es sind 600 Intensivpatienten zusätzlich zu einem System, das normalerweise voll ausgelastet ist. Und das ist eben das Problem." Das Virus habe sich verändert, da hätten wir alle ein "Riesenpech", und die erst recht schlechte Nachricht: Durch diese Mutation sei der Krankheitsverlauf nicht harmloser geworden, "nein – er ist eher schwerwiegender".

Krisengipfel am Montag

Die Zahlen dazu: Am Sonntag lagen 602 Corona-Erkrankte auf Intensivstationen, am Montag sind es landesweit 611. Besonders dramatisch ist die Entwicklung dabei in Wien. 245 Schwerkranke liegen hier am Montag auf Intensivstationen, zwei mehr als am Sonntag – so viele wie noch nie. Um die vielen Corona-Infizierten intensivmedizinisch versorgen zu können, müssen hier ganze Krankenhausstationen für Covid-Fälle umfunktioniert und planbare Operationen von nicht an Covid erkrankten Personen verschoben werden – allein Anfang April waren es 500 OPs, die verschoben werden mussten.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat für Montagnachmittag daher erneut einen Gipfel mit Expertinnen und Experten – darunter natürlich Intensivmedizinerinnen und Intensivmediziner – zur Corona-Situation einberufen. Es sollen die aktuelle Lage in der Hauptstadt analysiert und notwendige Ableitungen, etwa die Verlängerung des Lockdowns, debattiert werden.

Alltag einer Krankenpflegerin

Zurück auf die Intensivstationen: Was die Lage derzeit außerdem erschwere, sei, dass die Patienten durchschnittlich sehr lange blieben, sagt Markstaller. Am AKH würden derzeit beispielsweise 25 Patienten parallel an der Herz-Lungen-Maschine hängen. Die Sterblichkeit liege bei etwa 30 bis 35 Prozent durch diese Therapie. "Das heißt, dass zwei Drittel damit überleben, obwohl sie eine an sich komplett kaputte Lunge haben. Das ist weltweit ein Spitzenwert. Aber es macht eine unglaubliche Belastung für das Personal und auch für die Belegung und damit für die Patienten aus."

Wie sich diese Belastung im Arbeitsalltag anfühlt, weiß Olivia Auer. Sie arbeitet als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin auf einer herzchirurgischen Intensivstation in Wien. Olivia Auer ist dabei nicht ihr wirklicher Name – den möchte sie nicht nennen, um keine Probleme mit dem Arbeitgeber zu bekommen. Auer befindet sich derzeit in der Intensivpflegeausbildung – diese muss innerhalb der ersten fünf Jahre, in denen man als Pflegefachkraft auf einer Intensivstation arbeitet, abgeschlossen werden – und lernt dadurch auch Covid-Intensivstationen kennen. "Erschöpft und ausgezehrt zu Hause anzukommen und zu hoffen, dass im nächsten Dienst der Zustand der Patientinnen und Patienten nur mehr halb so kritisch ist, ist zu unserem Alltag geworden", sagt sie zum STANDARD.

Druck und Tränen

Der Druck, funktionieren zu müssen, "obwohl manchmal dafür die Kraft fehlt", sei groß, auch wegen des bereits vor Corona bestehenden Personalmangels. "Ich darf jetzt nicht krank werden, ich werde gebraucht, ich muss leisten – all diese Gedankengänge sind ständige Begleiter und verstärken die Schwere unserer Arbeit."

Neu ist für Auer auch, wie schnell alles mitunter geht. "Die Patientinnen und Patienten bestmöglich zu stabilisieren und zu begleiten sind wir gewöhnt. Aber die rapide Verschlechterung, die zu einer lebensbedrohlichen Situation und oft zum schnellen Tod führt, das ist neu und für uns alle eine starke Belastung."

Auer, selbst Anfang 30, erschüttert außerdem das geringere Alter ihrer Patientinnen und Patienten: "Wenn ich plötzlich gleichaltrige oder sogar jüngere Menschen betreue, die um jeden Atemzug ringen, kann ich gar nicht in Worte fassen, wie hilflos ich mich fühle. Mit Tränen in den Augen versuche ich dennoch stark für die Erkrankten zu bleiben und mein Bestes zu geben."

Priorisierung wegen fehlender Betten und Maschinen

Das Wort "Triage", also zu entscheiden, wer das eine freie Bett oder die eine freie Lungenmaschine bekommt, kommt Auer zwar nicht über die Lippen. Sie spricht von einer "Priorisierung" – dass diese stattfinde aufgrund der fehlenden Kapazitäten, sei "herzzerreißend". Vor der Pandemie sei auch priorisiert worden, "allerdings nicht, weil zu wenige Betten oder Geräte vorhanden waren".

Was ihr für die Arbeit immer Kraft gegeben habe, seien die Pausen mit den Arbeitskolleginnen und -kollegen gewesen, der gemeinsame Kaffee oder das Mittagessen. "Mentale Abgrenzung und Ausruhen" nennt Auer das. Seit der Pandemie sei auch das nicht mehr gewährleistet. "Wir schaffen es kaum, unsere Pausen einzuhalten. Und essen dürfen wir ja derzeit nur getrennt, um andere nicht zu gefährden."

Nun seien es die Erfolge bei Patienten, die sie motivierten. Außerdem würden sich die Mitarbeiter gegenseitig aufbauen und füreinander da sein. "Ich hoffe, dass wir da nicht auch bald die Kraft dazu verlieren." (Lara Hagen, 12.4.2021)