Kommt die Panik, ist es wichtig, aus der Situation auszubrechen, um sich zu beruhigen.

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Wien – Es passiert in der Schlange an der Supermarktkasse, in einem Aufzug oder in einer überfüllten U-Bahn: Oft sind es Situationen, die als unangenehm empfunden werden, in denen bei manchen plötzlich die Panik heraufkriecht. Die Symptome sind unterschiedlich, viele erzählen aber von Herzrasen, Schwitzen, Atemnot – und Todesangst.

Solche Panikattacken haben durch die Corona-Krise zugenommen, sagt der Psychotherapeut Peter Stippl. Der Präsident des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie bezeichnet sie aber nur als Spitze eines riesigen Eisbergs: "Darunter steht ein ganz großer Sockel an Angst, Depressionen und Verunsicherungen in der Bevölkerung."

26 Prozent depressiv

Wie sehr die Corona-Pandemie an der psychischen Gesundheit der Bevölkerung nagt, zeigen Zahlen, die die Donau-Uni Krems mit Unterstützung des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie erhoben hat. Depressionen, Angst und Schlafstörungen haben seit Beginn der Pandemie stark zugenommen. Die Inzidenz von Depressionen lag in der Bevölkerung vor Corona bei vier bis fünf Prozent. Im heurigen Jänner lag sie bei 26 Prozent.

Psychisch besonders stark betroffen sind die Jungen, besser geht es den Pensionistinnen und Pensionisten. Noch etwas ist bemerkenswert: Die Angst, sagt Stippl, ist bei Frauen sehr viel größer als bei Männern. Frauen sind häufiger von Panikattacken betroffen. Denn sie neigen dazu, Aggressionen nach innen zu richten, erklärt der Psychotherapeut.

Raus aus der Situation

Beim ersten Lockdown vor mehr als einem Jahr seien viele Menschen mit ihrer Angst noch besser zurechtgekommen, weil sozialer Druck erst einmal weggefallen ist, erklärt die Psychologin Marion Kronberger, Vizepräsidentin des Berufsverbands österreichischer Psychologinnen und Psychologen (BÖP). Nun sind viele neue Ängste hinzugekommen: etwa vor einer Ansteckung mit dem Virus oder davor, andere anzustecken. Auch Existenzängste sind bei vielen angesichts der wirtschaftlichen Lage nun drängend geworden. "Und die Angst verursacht körperliche Symptome", sagt Kronberger.

Wird aus der Angst eine Panikattacke, glauben manche, dass sie einen Herzinfarkt haben. Im Krankenhaus wird ihnen dann zwar erklärt, dass alles in Ordnung ist. "Aber die Betroffenen sind nur kurz beruhigt und vermuten schnell wieder, dass etwas nicht stimmt", sagt Kronberger. Letztendlich sei eine solche Attacke ein Hinweis auf eine massive Stresssituation – häufig ohne einen konkreten Auslöser.

Wie man sich beruhigt

Eine wichtige Erkenntnis für Betroffene: "Man hat immer die Freiheit, aus der Situation herauszugehen", betont Stippl. Im Lift kann man beim nächsten Stockwerk aussteigen, in der U-Bahn gleich bei der nächsten Station, in der Schlange an der Supermarktkasse das Wagerl zur Seite schieben und das Geschäft kurz verlassen.

Vielen helfe in der Situation, ins Freie zu gehen und auf dem Handy ein paar Lieblingslieder anzuhören. "Mit Musik kann man seine Stimmung am schnellsten verändern", sagt Stippl. Auch das Anschauen von Fotos auf dem Handy – vom Hund, von den Kindern, von einer schönen Wanderung – kann helfen. Andere lenkten ein Zahlenspiel oder Übungen mit Muskelanspannung ab.

Das Ziel: die Situation unterbrechen und sich so beruhigen. Auch wenn eine Panikattacke im beruflichen Kontext kommt, könne man sich für zwei Minuten entschuldigen und den Raum verlassen.

Erste Anzeichen

"Das Problem ist aber, dass einem so etwas in der Situation selbst nicht einfällt", sagt der Psychotherapeut. Daher müssten Betroffene vorbereitet sein, wenn die ersten Anzeichen auftreten – etwa wenn sich der Magen zusammenzieht und sie zu schwitzen beginnen. "Wichtig ist, die Angst vor der Angst wegzubekommen", sagt Stippl.

Er bemerkt auch in seinem beruflichen Alltag seit dem Herbst eine Zunahme an Angst. Situationen, die in normaleren Zeiten unangenehm sind, aber mit denen man umgehen kann, sind für viele nun ein Problem. Ein erstes Warnsignal sei beispielsweise schon, wenn man sich übertrieben über Dinge ärgert, die einen sonst kaltlassen.

Normale Reaktion auf abnormale Lage

Was helfen kann: es anzuerkennen, wenn man nach einem Jahr Pandemie Wut, Aggression, Verzweiflung oder Angst verspürt. "Das sind ganz normale Reaktionen auf eine nicht normale Situation", sagt Stippl. Und damit sei man nicht allein. Ein Problem sei, dass sich viele für die Gefühle genieren und sich schwach fühlen: "Man muss sich selbst zugestehen, dass wir uns in einer Ausnahmesituation befinden und dass man jetzt speziell auf sich schauen muss."

Etwa indem man sich überlegt, was einem bei Überforderung hilft. Sport etwa oder die Lieblingsmusik. Stippl rät aber auch zu einem gewissen Optimismus: "Die Situation wird nicht für immer so sein wie jetzt." Daher solle man sich auch Ziele stecken, mit denen man sich nach der Pandemie für die schwierige Zeit belohnt.

Sichere Landung

Wenn die Angst noch nicht alles überlagert, kann auch Ablenkung funktionieren, sagt die Psychologin Kronberger: Beim Spazierengehen, Stricken, Mandala-Malen oder Puzzeln kommt man schnell in einen Flow. "Und wenn das gelingt, baut man Stress ab."

Noch ein Lichtblick: Vielen Menschen, die nun psychisch unter der Situation leiden, wird es nach dem Ende der Pandemie wieder besser gehen. Die Psychologin Kronberger vergleicht das mit einem unruhigen Flug, der für die meisten Menschen fast wieder vergessen ist, sobald das Flugzeug sicher gelandet ist. (Franziska Zoidl, 6.5.2021)