Es ist mitten in der Nacht, 4.15 Uhr, um genau zu sein, als mein Handy neben dem Bett läutet. Ich habe Standby (Bereitschaftsdienst), und die Firma ist dran. "Hallo, Anna Marchetti spricht", murmle ich leise ins Handy. "Hi, Anna, wir brauchen dich für einen Flug nach Frankfurt. Um 6.25 Uhr Lokalzeit hast du Check-in am Flughafen." Ich tappe orientierungslos auf meinem Nachtkästchen nach einem Kuli und einem Zettel, auf den ich schnell die wichtigsten Informationen kritzle. Dankend lege ich auf.

Der Rest geht schnell. Rote Strumpfhose an, Kleid drüber, Schürze eingepackt, Autoschlüssel in der Tasche. Routine? Seit Corona wohl kaum. Vielleicht bin ich aber auch genau deshalb noch gesammelter und strukturierter, wenn es um die Dienstabläufe geht.

Frankfurt ist eine meiner Lieblingsdestinationen. Ein klassisches Reiseziel für Geschäftsleute, die wissen, wie der Hase läuft. Selten muss ich mich um überfüllte Gepäckfächer kümmern. Die Laptops der Gäste bei den Notausgängen sind meist schon in den Compartments verstaut. Keine Diskussionen. Das ist angenehm.

Ungewohntes Briefing

Eine gute Stunde vor Abflug treffe ich die restliche Crew am Flughafen beim Briefing. "Guten Morgen, Günther mein Name. Ich bin heute euer Kapitän." Bin ich schon einmal mit ihm geflogen? Er kommt mir so bekannt vor. Ich male mir sein Gesicht unter der Maske aus. "Wann waren denn eure letzten Flüge?", fragt er in die Runde. Seit Corona muss ich länger überlegen. Letzte Woche Samstag sind insgesamt nur drei Flüge auf dem Bildschirm gelistet gewesen. Ich dachte, die Anzeige sei falsch. Viel hat sich verändert im vergangenen Jahr. Was sich anfangs niemand vorstellen konnte, wurde zum Alltag im Ausnahmezustand.

Es fällt mir schwer, mir die neuen Namen der Crew mit halbverdecktem Gesicht zu merken. Die Augen haben durch die Maske einen viel höheren Stellenwert bekommen. Die Mimik fällt fast vollständig weg. Im Crewbus, auf dem Weg zum Flugzeug, wiederhole ich im Stillen noch einmal die Namen der Kollegen.

Letzte Vorbereitungen

Der Flugzeuggeruch erinnert mich jedes Mal an meine ersten Flüge. Unverändert. Sobald ich einen Fuß in den Flieger gesetzt habe, fühle ich mich automatisch wohl. Ein Gefühl von Sicherheit breitet sich aus.

Ein Blick aus dem Flugzeug.
Foto: Anna-Marleen Marchetti

Ich überprüfe in Ruhe mein Equipment. Taschenlampen, Sauerstoffflaschen, Erste-Hilfe-Kasten, Schwimmwesten – alles da. Obwohl ich viel mehr Zeit für diese Checks habe, habe ich das schnelle Arbeiten noch immer intus. Gut so. Aus dem kleinen Fenster am Gang sehe ich schon die ersten Passagiere aus dem Bus Richtung Flugzeug spazieren. Spätestens wenn ich den Walzer von Johann Strauss zum Boarding höre, weiß ich: Hier bin ich daheim. Hier gehör ich hin. Kaffeepäckchen sind hergerichtet, Wasser heiß, Tassen in Griffweite. Startbereit. Die Gäste können einsteigen.

Masken erschweren die Kommunikation

Nachdem ich meinen Notausgang eingewiesen habe, an dem heute zwei Piloten als Passagiere sitzen, werden die Sicherheitsanweisungen abgespielt. Das Interesse der Fluggäste an meinen Demonstrationen hält sich in Grenzen. Sobald ich die FFP2-Maske dann herunternehme, um hervorzuheben, dass man zum Aufsetzen der Sauerstoffmaske die andere vorher abnehmen muss, sind plötzlich hunderte erstaunte Augen auf mich gerichtet. Die Neugier der Passagiere ist jetzt groß – und ich muss lächeln.

Das Flugzeug beginnt zu rollen. Noch auf dem Weg zu meinem Sitz werde ich mehrmals aufgehalten und gefragt, welche Papiere denn für die Einreise auszufüllen sind. "Ich steige in Frankfurt aus, um dann nach Düsseldorf weiterzufahren. Soll ich das Formular dann auch ausfüllen? Falls ja, bitte um einen Kugelschreiber, ich möchte mich auf keinen Fall infizieren und habe keinen eigenen da."

Die Dame am Mittelsitz hat drei Desinfektionsflaschen rund um ihren Platz verteilt. Noch während ihrer Frage drückt sie kräftig auf eines der Fläschchen und reibt sich wild die Hände damit ein. Fragende Gesichter in jeder zweiten Reihe. Ich versuche weiterzuhelfen, bin mir aber oft selbst unsicher. Reisebestimmungen sind nicht universell gültig und ändern sich laufend. Hektik und Unsicherheit der Passagiere sind stärker spürbar als vor Corona.

War das jetzt "Ein Kaffee"? "Ein Tee"? Oder ein "Nee"?, frage ich mich. "Ich habe Sie leider noch immer nicht verstanden, könnten Sie das bitte wiederholen?" Es ist mir unangenehm, mehrmals nachzufragen. Schon vor Corona war die Verständigung im Flugzeug nicht immer einfach. Die Triebwerke dröhnen, Zeitungen rascheln, das Zischen der frisch geöffneten Mineralwasserflaschen, Papierbecher, die im Trolley verstaut werden, tratschende Passagiere, Sitzgurtsignale. Jetzt, mit Maske, ist es noch schwieriger, Wörter richtig einzuordnen.

Ein junger Herr vor mir, ich schätze ihn auf Mitte 20, trägt gleich zwei übereinander. Einen Mund-Nasen-Schutz aus hellblauem Stoff, eine weiße FFP2-Maske darüber. Um auf Nummer sicher zu gehen, hat er zusätzlich noch ein Face-Shield aus Plastik zum Schutz des restlichen Gesichts. Er lehnt seinen Oberkörper weit nach hinten, als würde er am liebsten in der Sitzlehne verschwinden.

Einmal wieder so tun als ob

Nicht alle fühlen sich im Flugzeug so unwohl wie er. Die Geschichten der Kollegen aus Cockpit und Kabine, aber auch von Passagieren, mit denen ich mich unterhalte, verraten etwas von der Leidenschaft für das Abheben, das Fliegen. Die ist spürbar. Offenbar nicht nur für mich. Manche aus meinem Basiskurs haben sich während des Lockdowns ihren nächsten Flug bildlich vorgestellt. Den Flug von Check-in bis Check-out aufgeschrieben vor lauter Sehnsucht. Andere, die ihre Uniform beim Kochen zu Hause anhatten. Danach wurden die Speisen ihren Liebsten serviert. Wie in der Businessclass. Einmal wieder so tun als ob. Piloten, die sich alte Fotos "von oben, über den Wolken" ausgedruckt und ins Wohnzimmer gehängt haben.

Umso größer die Sorge, bald nicht mehr gebraucht zu werden. Die Flotte wird verkleinert. Austrian Airlines wird bald nur mehr mit etwa 60 Flugzeugen fliegen. Für viele bedeutet das Ungewissheit.

Wie wird es weitergehen?

Während ich dem letzten Passagier Milch und Zucker überreiche, höre ich das Signal für die Landung. Ich schaue noch einmal durch die Kabine und mache mich auf den Weg in die Küche, um alles vorzubereiten. Dann eine sanfte Landung in Frankfurt. Wann werde ich das nächste Mal im Flugzeug stehen und meine Uniform tragen?

Zu Hause angekommen, Dienstende. Ich sitze auf meiner Couch, genieße den langsam anbrechenden Abend und höre mir die Nachrichten an, in denen von steigenden Corona-Zahlen berichtet wird. Fragen gehen mir durch den Kopf. Werden wir im Sommer wieder einen halbwegs normalen Flugalltag erleben? Mein Handy läutet. Es ist Crew-Control, das Team, das die Dienstpläne und Flüge zuteilt. Ein spontaner Flug für morgen? Wohin wird es wohl als Nächstes gehen? (Anna-Marleen Marchetti, 13.4.2021)