Die Dose auf der Straße: Wie sehr stört Sie das?

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Sabine Pahl ist Umweltpsychologin an der Universität Wien.

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Ich bin neu in Wien. Die Stadt ist bezaubernd, selbst im Corona-Lockdown, mit ihren historischen Plätzen, architektonischen Juwelen und den wunderschönen Parks, Wäldern und Gewässern. Aber es gibt doch etwas, was mir im Stadtbild auffällt: immer wieder sehe ich Plastikflaschen und Metalldosen herumliegen, neuerdings auch Mund-Nasen-Schutzmasken. Im Umkreis von 100 Schritten meiner Wohnung sind vor allem Dosen häufig und lästig. Mal stehen sie, fast wie neu, am Gehsteig, mal liegen sie schon von Reifen zerquetscht auf der Straße. Sie passen auf jeden Fall nicht zu dem Wien, das ich schon kennen- und liebengelernt habe.

Warum stört uns Müll?

Zum einen sind es ästhetische Werte, die beleidigt werden. Wir akzeptieren Müll im urbanen Raum im Prinzip mehr als in natürlichen Umwelten, aber gerade in unserer Wohngegend lässt er uns an achtlose, rücksichtslose Menschen denken. In deren Nähe möchten wir nicht unser Zuhause haben. Das hat auch eine moralische Komponente. Wir halten uns doch meist an die Regeln – so funktioniert eine Gesellschaft – aber hier ist jemand, dem die Regeln offensichtlich egal sind, und das ist nicht fair. Moralische Normen und wahrgenommene Fairness können starke Emotionen auslösen und sind wichtige Motivationen für Verhalten. Wo schon Müll liegt, ist es viel wahrscheinlicher, dass Müll dazu kommt. Solche Zeichen von Unordnung oder "Incivility" können weitere unerwünschte Verhaltensweisen zur Folge haben. Es ist auch ärgerlich für Hersteller, wenn eine bestimmte Marke oder Produkt vermehrt auftaucht, das beschädigt das Image. Außerdem ist es eine Verschwendung, da Aluminium ein wertvoller Rohstoff ist und allein seine Gewinnung eine große Umweltbelastung verursacht. Laut Wirtschaftskammer werden 8,5 Kilogramm Treibhausgas pro Kilo recyceltem Aluminium eingespart, also sollte dieses Material wiederverwertet werden.

Warum finden wir Müll am Straßenrand?

Bei uns in der Nachbarschaft habe ich beobachtet, wie eine Person sorgfältig eine halbleere Dose aus dem Auto auf den Gehsteig stellt, aufrecht, als ob es ganz wichtig sei, den letzten Inhalt nicht zu verschütten. Ich nahm an, dass diese Sorgfalt auf fachgerechte Entsorgung hindeutet, aber als ich zurückkam, stand die Dose noch genauso da, nur das Auto war weg. Wie ist so ein Verhalten zu erklären? Nun: Die Dose im Auto ist ein Risiko. Wenn der Inhalt verschüttet würde, wären klebrige Autositze die Folge – ein Ärgernis. Wenn die Dose schon länger geöffnet ist, schmeckt auch der Inhalt nicht mehr gut. Aber die Recyclingtonne ist wohl zu weit weg, vielleicht ist die Person in Eile, oder sie denkt, dass die Dose von anderen aufgehoben wird (aber siehe unser Punkt zur Fairness oben), vielleicht denkt sie auch gar nicht wirklich darüber nach und hat sich dieses Verhalten irgendwann angewöhnt, so dass es jetzt automatisch ist. Aber würde sie es auch tun, wenn jemand anderer direkt daneben steht? Soziale Normen und potenzielle Missbilligung sind maßgebliche Einflüsse auf unser Verhalten und damit potenzielle Hebel zur Verbesserung des Problems. Doch – absichtliches Littering, wie hier im Beispiel, ist nur eine Quelle von Müll am Straßenrand, unabsichtliches Littering und Wind und Wetter tragen auch bei.

Grund zur Hoffnung

Die meisten Menschen lassen nicht bewusst und mit Absicht Müll fallen, es ist wichtig, das zu betonen. Wir sollten uns nicht von den schlechten Beispielen in unserem normalen, guten Verhalten beirren lassen. Im Gegensatz zum Beispiel oben beobachte ich auch immer wieder Menschen, die etwa eine Dose aufheben und entsorgen. Und es gibt in Wien die 48er, die regelmäßig vorbeikommen. Wir können uns glücklich schätzen, funktionierende und reaktionsschnelle Müllsysteme zu haben. In anderen Ländern sind Müllprobleme vor allem dann sehr groß, wenn keine Ressourcen für Infrastruktur da sind. Das Management von Müll wird dort noch erschwert, wenn wohlhabendere Länder ihren Restmüll – teilweise illegal – exportieren.

Was tun Sie im Alltag gegen Müll?

Jeder Einzelne hat es, sprichwörtlich, in der Hand, mitzuhelfen. Heben Sie selbst manchmal die eine oder andere Dose auf? Würden sie fremde Personen ansprechen, die achtlos Müll wegwerfen? Oder sehen Sie die Hauptverantwortung eher bei der Regierung, oder den Herstellern, die die Endverwertung ihres Produkts mitdenken und auf die Verpackung achten sollten? Und wie effektiv wäre aus Ihrer Sicht ein Umschwenken auf umfassendere Pfandsysteme? (Sabine Pahl, 12.4.2021)