Eines der Poster, das einen Fötus in einer Gebärmutter zeigt – mit der Adresse eines der Kinderhospize.

Foto: JANEK SKARZYNSKI

Die rätselhaften Großplakate tauchen zuerst in den polnischen Großstädten Warschau und Posen auf: "Mama und Papa, habt euch lieb", steht da in krakeliger Kinderhandschrift auf Wänden mehrstöckiger Gebäude. Noch fragen sich Passanten und Autofahrer, worum es hier eigentlich geht: Scheidungskinder? Oder doch wieder heile Familie mit Mann und Frau als Eltern?

Da rollt schon die nächste Plakatwelle an. Von weitem wirken die Bilder in den leuchtenden Vitrinen der Straßenbahn- und Bushaltestellen, als werde dort ein rot verpacktes Schokoherz angepriesen. Doch bei genauem Hinsehen ist zu erkennen, dass dies eine Gebärmutter darstellen soll, in der ein Säugling bereits kopfüber auf seine Geburt wartet.

Darunter steht beispielsweise der Satz "Ich bin fünf Monate alt" oder "Ich vertraue dir" – und die Adresse einer Internetseite für polnische Kinderhospize.

Seit der Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen durch das Verfassungsgericht vor einigen Monaten müssen Polinnen auch nicht überlebensfähige Babys zur Welt bringen, die dann in den Hospizen sterben können. Inzwischen gibt es kaum noch eine freie Hauswand in Polen ohne ein "Mama und Papa, habt euch lieb"-Plakat oder eine Haltestelle ohne Werbung für Kinderhospize. Immer mehr Polen und Polinnen fühlen sich durch die Plakate emotional belästigt. Es regt sich Widerstand.

Finanzieller Background

Hinter beiden Aktionen steht die Stiftung "Unsere Kinder – Bildung, Gesundheit, Glaube" des Multimillionärs Mateusz Klosek und seiner Firma Eko-Okna ("Öko-Fenster"). Firmen- und Stiftungssitz ist Kornice in Oberschlesien. In der letztes Forbes-Rangliste der 100 größten polnischen Firmen mit einem Umsatz von über einer Milliarde Złoty (rund 250 Millionen Euro) jährlich nimmt Eko-Okna Platz 78 ein.

In einem Interview, das Klosek vor kurzem dem rechtsnationalen Wochenblatt Gazeta Polska gab, lüftete er das Finanzgeheimnis: Die Stiftung besitze knapp die Hälfte aller Eko-Okna-Aktien und habe daher die Möglichkeiten für mehrere polenweit angelegte Plakataktionen. "Ich bin selbst ein Scheidungskind", bekennt Klosek. "Ich weiß, wie sich ein Junge fühlt, dem die Liebe zwischen den Eltern fehlt." Er konzediert zwar, dass die Plakate "Mama und Papa, habt euch lieb" bei Kindern alleinerziehender Eltern Trauer, Wut und Schmerz auslösen können. "Aber sie werden in Kürze selbst Eltern sein, sodass sich die Botschaft nicht nur an die Eltern, sondern voll und ganz auch an die Kinder richtet."

Doch die Kritik an Klosek, seiner Stiftung und den beiden Plakataktionen wird immer schärfer. Alleinerziehende Väter und Mütter sind empört, dass die Plakate auch vor Kindergärten und Grundschulen platziert sind. Viele Kinder würden die Schuld für die gescheiterte Ehe ihrer Eltern auf sich nehmen. "Mein Sohn ist völlig traumatisiert", beschwerte sich ein Vater bei der Stadt Warschau, die die Werbeflächen vermietet. "Er denkt, wenn er auch so einen Satz – Mama und Papa, habt euch lieb – geschrieben hätte, wären wir noch eine intakte Familie. Aber das ist doch absurd!" Die Pressesprecherin der Stadt bedauert, nichts gegen die Plakate tun zu können, da der Inhalt kein geltendes Recht verletze.

Widerstand mit Ironie

Aktiven und durchaus witzigen Widerstand gegen die Plakat-Schwemme haben sich dagegen etliche Bürgerinitiativen auf die Fahnen geschrieben. Sie produzieren zum Verwechseln ähnliche Plakate mit leicht geändertem Text. "Warum heiratet ihr nicht endlich, Mama und Mama" steht da in krakeliger Kinderhandschrift. Oder: "Tut mir nicht länger Leid an! Lasst euch endlich scheiden, Mama und Papa!" Oder ein Appell an die Eltern lesbischer oder schwuler Kinder: Neben dem Satz "Mama und Papa, habt mich lieb" steht ein Teenager mit einer Umhängetasche in den Regenbogenfarben der LGBT-Bewegung und dem roten Abdruck einer festen Ohrfeige im traurigen Gesicht. Statistiken zufolge entziehen 70 Prozent aller polnischen Eltern ihrem Kind die Liebe, wenn sich herausstellt, dass es homosexuell ist.

Agnieszka Graff, eine der tonangebenden Feministinnen im Land, geht davon aus, dass die Plakataktion des katholischen Fensterbauers und seiner Stiftung nur der Vorbote einer weiteren Freiheitseinschränkung sein könnte. "Ich wette, dass eine Gesetzesinitiative ‚von unten‘ zum Verbot der Scheidung noch in diesem Jahr den Weg ins Parlament schafft", schrieb Graff im Frauenmagazin Wysokie Obcasy der linksliberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Unterstützt werde die "Mama und Papa"-Aktion nämlich vom ultrakatholischen Verein "Sychar – Gemeinschaft schwieriger Ehen", der davon ausgeht, dass "jede sakramental geschlossene Ehe auch aus der tiefsten Krise zu retten ist". (Gabriele Lesser aus Warschau, 13.4.2021)