Ihm sei die Kraft ausgegangen, erklärte Rudolf Anschober am Dienstag bei seinem Rücktritt als Gesundheitsminister. Er sei "überarbeitet und ausgepowert" und habe gemerkt, dass er die "Notbremse ziehen" müsse. Auch um sich "nicht kaputtzumachen".

Wer energielos ist, permanent das Bedürfnis nach Erholung übergeht, brennt früher oder später aus. Das weiß Anschober, der bereits vor einigen Jahren ein Burnout hatte – und nun erste Anzeichen ernst nimmt. Doch die Pandemie verlangt nicht nur einem Gesundheitsminister viel ab, sondern uns allen.

Frage: Was sind Anzeichen einer Überlastung?

Antwort: Je nach Person zeigt sich die Überarbeitung anders, weiß die Arbeitspsychologin Claudia Altmann. In ihrer Praxis bemerkt sie seit der Pandemie einen "massiven Anstieg an Belastung" – egal in welchen Berufen. Auch wenn wir uns relativ schnell an die neuen Lebensumstände gewöhnt haben, befänden wir uns doch "ständig im Krisenmodus, wo wir uns jede Woche neu anpassen müssen". Und das geht an die Substanz. Wer seinem Gehirn keine Pausen zur Regeneration gibt, um den Akku aufzuladen, werde unkonzentrierter und vergesslicher, reagiere schneller aufbrausend und verärgert. Auch Schlafstörungen, psychosomatische Beschwerden wie Magen-Darm-Probleme, ausbleibendes Hungergefühl, Kopfschmerzen und das Gefühl, mehr Maschine als Mensch zu sein, sind Anzeichen einer Überlastung. Gerade Letzteres drücke sich in geringerer Selbstbestimmung und damit weniger Selbstwert aus. "Wir haben dann das Gefühl, dass wir unsere Leistung nicht mehr abrufen können oder die ganze Zeit Fehler machen", sagt Altmann.

Frage: Und ab wann wird von einem Burnout gesprochen?

Antwort: Oft wüssten die Betroffenen gar nicht, wann die Situation gekippt ist und aus der Überlastung ein Burnout geworden ist, sagt die Arbeitspsychologin. "Das ist ein schleichender Prozess." Die Überlastungsdepression – wie Burnout auch genannt wird – hat die gleichen, aber oft stärker ausgeprägten Symptome wie eine Überlastung oder Depression: "Man kommt aus der Spirale nicht heraus, kann sich nicht erholen, die normalen Stressbewältigungsstrategien greifen nicht mehr, die Freude am Leben sinkt." Dann sollten die Alarmglocken schrillen. Denn je länger man die Erschöpfung ignoriert, desto schwieriger und länger dauert ihre Behandlung, sagt Altmann.

Frage: Was sind die Auslöser dafür?

Antwort: Jüngste Untersuchungen – darunter auch eine kürzlich publizierte Studie der Sigmund-Freud-Privat-Uni – zeigen, dass nicht zwingend das Arbeitspensum ausschlaggebend ist. "Es geht nicht nur um den reinen Stress, sondern auch um die Persönlichkeit", sagt Altmann. Wer schlecht Nein sagen könne, harmoniebedürftig oder leistungsorientiert ist, laufe eher Gefahr, sich zu übernehmen. Es führt aber auch zu andauerndem Stress, wenn man "sich im Job ständig verbiegen muss oder unter Bedingungen arbeitet, die einem nicht entsprechen".

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Die vergangenen 15 Monate fühlten sich für Anschober an wie 15 Jahre, sagte er am Dienstag bei der Pressekonferenz
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Frage: Wer ist davon betroffen?

Antwort: Abgesehen von der Persönlichkeit kann Altmann keine Gruppe ausmachen, die besonders gefährdet ist, sich zu überlasten. Doch laut aktuellem Arbeitsklima-Index der Arbeiterkammer übergehen vor allem Frauen die Warnsignale ihres Körpers. Mehr als die Hälfte der weiblichen Befragten gab an, im vergangenen Pandemiejahr krank zur Arbeit gegangen zu sein. Damit ist der Präsentismus – der seit Corona zugenommen hat – bei ihnen etwas weiter verbreitet als bei Männern. Oft sind Zeitstress und Arbeitsdruck die Gründe dafür.

Frage: Was kann man dagegen tun?

Antwort: Ein erster Schritt ist für Altmann die Selbstfürsorge. Wer unter Dauerstress steht, geht oft schlecht mit sich selbst um, isst, trinkt oder schläft zu wenig. Oder ignoriert sogar den Toilettengang über mehrere Stunden. "Wir spüren uns oft selbst nicht mehr", sagt Altmann. In solchen Situationen sei es wichtig, in sich hineinzuhören und zu fragen: Was brauche ich gerade? "Man kann nicht immer gleich auf Urlaub fahren, sondern sollte kleine Pausen zur Selbstfürsorge in den Alltag einbauen." Egal, ob diese ein paar Sekunden dauern, in denen man aus dem Fenster schaut, lüftet oder sich streckt, oder mehrere Minuten, in denen man mit Kollegen spricht, um den Block geht.

Wichtig ist, dass man dabei Dinge tut, die einem guttun und keine Leistung fordern. Hilfreich sind auch klassische Entspannungstechniken wie autogenes Training oder Achtsamkeitsübungen sowie Bewegung. Wer keine Kraft für ein Workout hat, kann auch spazieren gehen. Diese Zeit ist jedenfalls nicht verschwendet: "Wir gewinnen so an Zeit, weil unser Gehirn wieder leistungsfähiger wird." Wer die Erholung nur auf den Urlaub verlegt, steht womöglich unter Druck, zur Ruhe zu kommen, und kann die Zeit nicht genießen. Zumal derzeit die Zerstreuung fehlt, wenn man den Urlaub nur in den eigenen vier Wänden verbringen kann. "Das macht es schwieriger, sich zu erholen."

Frage: Wie setzt man Grenzen?

Antwort: Abgrenzung ist gerade im Homeoffice schwierig, wo Job und Freizeit verschwimmen. Aber auch wer krisenbedingt Angst hat, seine Stelle zu verlieren, neigt zur Dauererreichbarkeit. Laut einer Umfrage des Jobportals karriere.at gaben mehr als ein Drittel der Beschäftigten an, immer für ihre Kollegen und Vorgesetzten erreichbar zu sein. Ein Viertel ist nur in der vorgegebenen Arbeitszeiten verfügbar, ein Fünftel auch länger, wenn es nötig ist. "Abgrenzung erfordert viel Selbstdisziplin", sagt Altmann. Viele hätten Angst, auf dem Abstellgleis zu landen, wenn sie nach Feierabend den Anruf nicht mehr entgegennähmen.

Unterstützen kann dabei eine räumliche Trennung. Ist das im Homeoffice nicht möglich, sollte man es zum Feierabendritual machen, die Arbeitsutensilien aus dem Blickfeld zu räumen, Handy und PC auszuschalten. Altmann empfiehlt auch, Stundenlisten zu schreiben, um sich bewusstzumachen, wie viel man wirklich arbeitet und wie oft man Pausen macht. Schon das könne einen Perspektivenwechsel bringen, um einen Gang herunterzuschalten.

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Nur noch ein Schatten ihrer selbst: Wer unter Dauerstress steht, spürt sich oft selbst nicht mehr. Die Warnsignale sollte man nicht ignorieren.
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Frage: Wie können Führungskräfte unterstützen?

Antwort: Gerade in schwierigen Zeiten sollte das persönliche, offene Gespräch nicht zu kurz kommen, um so auch zu erfahren, wie es den Mitarbeitenden wirklich geht. Zudem sollten Vorgesetzte laut Altmann klare Regeln zur Erreichbarkeit festlegen und Work-Life-Balance vorleben. Ebenso beuge es einer Überarbeitung und Konkurrenzdruck vor, wenn Führungskräfte den Fokus stärker auf erreichte Ziele und nicht auf die abgesessene Arbeitszeit legen.

Frage: Wann ist es wirklich genug?

Antwort: Betroffene merken oft selbst nicht, dass sie überarbeitet sind. "Viele wollen es nicht wahrhaben, denken, sie sind anders als die anderen und schaffen das", sagt Psychologin Altmann. Angehörigen fällt es daher oft als Erstes auf, wenn wir uns zurückziehen oder gereizter sind als sonst. Eine konkrete Dauer, ab wann die Reißleine gezogen werden müsse, gebe es nicht. "Entscheidend ist, ob sich stressige und unstressige Phasen die Balance halten. Ein Jahr durchzuarbeiten ist zu viel." Und wer sich trotz Erholungsphasen nicht erholt fühlt, sollte zur Beratung oder Therapie, rät Altmann. Schon in wenigen Stunden könne man Werkzeuge an die Hand bekommen, wie man künftig mit Stresssituationen umgehen kann.

Dem Job muss man dafür nicht unbedingt den Rücken kehren, man könne ihn gleich als Übungsfeld sehen. Wichtig ist auch zu reflektieren, was der eigene Anteil an der Überlastung ist, sagt Altmann: "Nur den Job zu wechseln, aber die Probleme mitzuschleppen, bringt nichts. Dann passiert dasselbe wieder." Dann hilft als letzter Ausweg oft nur mehr, sich drei, sechs oder mehr Monate aus dem Berufsleben zurückzuziehen. Und für Erkrankungen, brauche sich niemand zu schämen, wie Anschober sagte. (Selina Thaler, 14.4.2021)